NETZWERK-MANAGEMENT

Notnagel SNMP blockiert Erfolg der OSI-Norrn CMIP

31.07.1992

Mit der zunehmenden Vernetzung in Unternehmen - lokal, regional, überregional und international - steigen nicht nur die Anforderungen an die Netzadministratoren. Es wächst auch deren Bedürfnis, diese komplexen Gebilde mit Hilfsmitteln zu kontrollieren. Der Ruf dieser Klientel nach Netzwerk-Management-Systemen verhallte nicht ungehört. Die Hersteller forcierten in den vergangenen zwei Jahren die Weiterentwicklung solcher Systeme: Sie wurden zwar immer subtiler und vielseitiger, können aber der Komplexität heterogener Systeme nur begrenzt Rechnung tragen.

Ohne Management keine Integration

Der Terminus Netzwerk-Management ist zu einer festen Größe der DV geworden. Die Ursache dafür liegt in der Vernetzung homogener Systeme zu heterogenen DV-Welten, die komplexe Integrations-, Koordinations- und Kontrollprozesse bedingen. Ohne Management-Systeme wäre diese Integration für Netzadministratoren nicht zu bewältigen. Sie sind zum verlängerten Arm einer Berufsgruppe geworden, über die der Segen der verteilten DV mit Client-Server-Architektur, Integration von PC-Netzen, etc., aber auch die Forderung nach Ausfallsicherheit des Netzwerkes eher wie ein Fluch hereingebrochen ist.

Die Zeiten, als das Management der homogenen DV-Landschaft mit Hilfe eines proprietären Herstellerproduktes noch überschaubar war, sind vorbei. Vielmehr sind diese Systeme heute ein Problem, weil sie für die Verwaltung heterogener Netze weitgehend ungeeignet sind, auch wenn Anbieter das Gegenteil behaupten. Andererseits ist der alles integrierende Manager of Managers - der Wächter über das Corporate Network - nicht in Sicht. Die Verwaltung des gesamten Netzes mit all seinen Subnetzen bleibt bis auf weiteres eine heikle Aufgabe. Sie ist nur mit Hilfe zahlreicher, mehr oder minder kompatibler, auf Teilbereiche spezialisierter Systeme möglich.

Sicherlich ist mit dem Simple Network Management Protocol (SNMP) ein für den LAN-Sektor halbwegs tauglicher Management-Standard kreiert worden. Ein Allheilmittel für die Zukunft ist der Standard trotz seines Erfolges nicht. SNMP ist eben, wie der Name sagt, simpel, und von daher für den Einsatz über LAN-Grenzen hinaus nicht prädestiniert.

Für höhere Aufgaben wäre eigentlich der OSI-Standard Common Management Information Protocol (CMIP) konzipiert. Statt in Netzwerken zirkuliert CMIP derzeit aber leider nur im Teufelskreis der Schuldzuweisung zwischen Anwendern und Herstellern. Die einen beklagen fehlende Produkte, die anderen mangelnde Nachfrage.

Einen Silberstreif am Horizont sehen viele in dem Produktstandard Distributed Management Environment der OSF. Die Hersteller müssen die SNMP und CMIP integrierende Technologie OSF/DME aber erst noch in ihre Applikationen einbauen. Das kostet Zeit.

Ohne Standard kein Manager of Managers

Noch ist der Manager of Managers im Corporate Network eine Vision - könnte jedoch Realität werden. Voraussetzung dafür wäre ein einheitlicher, integrativer Standard, der in der Lage ist, alle Management-Bereiche des Netzwerkes für den "Super-Manager" kompatibel zu machen.

Netzwerk-Management kann heute in großen Unternehmen kaum mehr auf den Bereich der LANs reduziert werden. Es gibt zwar Produkte, die speziell auf die Verwaltung dieser kleinsten Netzwerkeinheiten im Enterprise Network ausgerichtet sind, sie decken damit im Regelfall aber nur eine Teilmenge eines Ganzen ab. Die Netzwerk(infra)struktur in Unternehmen entwickelt sich mehr und mehr zu einer Basis von vielen untereinander entweder direkt oder über Backbones vernetzten LAN Einheiten (Subsysteme). Doch damit nicht genug: Der Trend im Corporate Networking geht zweifellos dahin, diese in sich geschlossenen Subsysteme über WANs national wie international zu einem Gesamtsystem zu verbinden.

Ein Befragung der Yankee Group bei Unternehmen in Amerika und Europa hat ergeben, daß die LAN/WAN Integration in die bestehenden Netzstrukturen mit 58 Prozent an erster Stelle der Prioritätenliste steht. Neben der Realisierung von neuen Applikationen, Multiprotocol Netzen, Daten- und Sprachintegration über Backbones nimmt auch der internationale Ausbau eine wichtige Stellung bei der Entwicklung und Planung von Unternehmensnetzen ein. Darüber hinaus wird die Zahl an das Netz angeschlossener Rechner (Terminals, PCs, Workstations) den Marktforschern zufolge von 31 Prozent im Jahr 1989 auf 83 Prozent bis 1993 ansteigen.

Netz-Manager in großen Unternehmen sind neben den genannten Faktoren aber noch mit einem weiteren wesentlichen Kriterium konfrontiert: der Tendenz zur Dezentralisierung der DV-Welt.

Status quo der Netzverwaltung

Mainframes spielen in den neuen DV-Konzepten nicht mehr die zentrale Rolle, sondern sind als "bessere Server" lediglich ein Bestandteil der Client-Server-Architektur, die überall als Mittel der modernen DV Einzug hält. Verteilte Anwendungen und Zugriffsrechte, Ressource Sharing etc. erhöhen den Nutzen des Anwenders, stellen aber im Vergleich zu früher in verstärktem Maß Ansprüche an die Netzadministratoren und Netzwerk-Management-Systeme.

Mit dem Client-Server-Computing ist die Struktur der Netzwerke zwar heterogener geworden, aber es wird den Netzverantwortlichen auch oft die Realität der Inkompatibilität vor Augen geführt. Effizientes Netz-Management scheitert heute in erster Linie aus diesem Grunde, jedoch auch an fehlenden Produkten und einheitlichen Standards Maßgeschneiderte Installationen sind daher sehr kostspielig, Experten ohnehin Mangelware.

Kein Wunder, daß auf der Wunschliste der Netz Manager standardisierte Produkte, integrierte Plattformen, einheitliche Management-Systeme, hohe Funktionalität sowie die Kooperation der Hersteller an erster Stelle stehen. Es wird zunächst bei den Wünschen bleiben. Die Verwaltung des Corporate Networks durch ein Management-System ist bis auf weiteres Utopie. Versuche von Herstellern wie AT&T, DEC, Hewlett-Packard und IBM, mit ihren in erster Linie proprietären Produkten Accumaster, EMA Openview oder Netview einen solchen integrativen Ansatz zu schaffen, konnten diesem Anspruch bislang über die herstellerspezifischen Architekturgrenzen hinaus jedoch nur geringfügig gerecht werden.

"In einem großen Unternehmen mit heterogener Landschaft müssen für das Netzwerk-Management zwangsläufig unterschiedliche Systeme eingesetzt werden, weil sie für bestimmte Komponenten einfach am besten geeignet sind", beschreibt Rainer Janssen, unabhängiger Berater in Frankfurt, den Status quo der Netzverwaltung, stellt aber auch die Frage: "Welches System übernimmt die Integration?"

Komplexe Netzwerke werden also auch in Zukunft nicht durch ein System allein, sondern nur durch eine Summe mehr oder weniger miteinander kompatibler, hierarchisch im Netz integrierter, auf LANs, WANs, herstellerspezifische Architekturen oder Telekommunikation spezialisierter Management-Produkte kontrollierbar sein. Die Netzwerkverwaltung findet zum Beispiel im LAN-Bereich durch Tools zur Kontrolle von LAN-Komponenten statt, deren Informationen im optimalen Fall von einem "Manager of Managers" mit integrierender Funktion verarbeitet werden.

Die Notwendigkeit größerer Netzwerke, deren Überwachung und das Bedürfnis nach Sicherheit haben ihren Preis. Gut ein Fünftel des Communication Budgets in Unternehmen wird 1995, so die Yankee Group, vom Netzwerk-Management verschlungen - Tendenz steigend. Der Anteil der Communications Budgets am gesamten IS-Budget wächst ebenfalls. Bei amerikanischen Unternehmen wird er den Marktforschern zufolge im Durchschnitt von 30 Prozent im Jahr 1991 auf 43 Prozent bis 1995 klettern, obwohl die Wachstumskurve der IT-Budgets abflacht.

Während also bei Hard- und Software der Rotstift angesetzt wird und deren Anteil am IT-Haushalt rückläufig ist, nimmt die Investition im Bereich Netzwerk und Network Management zu. Das bedeutet jedoch nicht, daß Netz-Manager das Geld zum Fenster hinauswerfen können. Der Forderung nach hoher Verfügbarkeit, Leistungsstärke und Sicherheit des Netzwerkes sowie der unternehmensweiten Vernetzung, steht die Maßgabe des Managements gegenüber, die Kosten für den Netzbetrieb zu senken.

Wie aber die Kosten reduzieren, wenn es an Produkten mit einheitlichen Standards fehlt? Das Politikum Standardstreitigkeiten scheint jedenfalls wieder einmal auf dem Rücken der Anwender ausgetragen zu werden. Um die Standards Simple Network Management Protocol (SNMP) oder das Common Management Information Protocol (CMIP) ist ein heftiges Tauziehen entbrannt, dessen Ausgang ungewiß ist. Dabei deutete vor wenigen Jahren, als es nur herstellerspezifische Management-Lösungen gab, alles auf CMIP als einzige Alternative hin. SNMP, das von der Internet Engineering Task Force (IETF) im Schnellverfahren als Notnagel zum Management von TCP/IP-Netzen normiert wurde, hatte damals niemand auf der Rechnung.

Über die zugedachte Rolle des Lückenbüßers wuchs SNMP jedoch hinaus. Insbesondere bei Herstellern von LAN- und Internetworking-Komponenten wie Bridges, Router und Hubs erfreut sich der Standard großer Beliebtheit, ungeachtet der in Fachkreisen unbestrittenen Tatsache, daß SNMP als Enterprise Network Protocol ungeeignet ist. Der Grund: SNMP kann Multivendor-fahige Netzwerk-Management-Systeme nicht integrieren.

Die SNMP fehlende Funktionalität wird CMIP zugesprochen. Trotzdem fristet das vom Network Management Forum definierte OSI-Protokoll bislang ein kümmerliches Dasein. Wie schon so oft im DV-Geschäft, schieben sich Anwender und Hersteller gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Während die Anbieter den Anwendern vorwerfen, an Produkten mit dem Protokoll nicht interessiert zu sein, klagen die User ihrerseits über ein kaum vorhandenes Produktspektrum.

Die zahlreichen Marktforschungsunternehmen sind sich zwar darüber einig, daß die großen Konzerne in den nächsten fünf Jahren gewaltig in Netzwerk-Management-Equipment investieren werden, Einigkeit darüber, welches der beiden Protokolle sich durchsetzen wird, besteht indes nicht. Bei einer Umfrage der Infonetics Research Inc. legten sich immer hin 28 der 32 befragten Unternehmen auf SNMP fest, nur zwei auf CMIP.

Konkurrenz könnte der OSI-Spezifikation CMIP auch durch das Simple Management Protocol (SMP) drohen - eine Weiterentwicklung von SNMP. Das neue Protokoll, das von vier SNMP-Software-Häusern entwickelt wurde und die Defizite von SNMP wettmachen soll, liegt derzeit dem IETF zur Prüfung und Verabschiedung vor. Mit der Unterstützung der Hersteller wird gerechnet.

Gegenwärtig sprechen die Zahlen aber eindeutig für SNMP. Einer Studie der Insight Research Corp. zufolge wurden im vergangenen Jahr 150 Millionen Dollar mit SNMP-Systemen umgesetzt, aber nur 10 Millionen Dollar mit CMIP-Komponenten. Für dieses Jahr erwarten die Analysten aus Livingston, New Jersey, einen SNMP-Umsatz von 350 Millionen Dollar, gegenüber 20 Millionen Dollar für CMIP-Equipment. Mittelfristig aber - spätestens 1996 - so die Studie, wird CMIP mit 1,6 Milliarden Dollar die Verkaufszahlen von SNMP übertreffen, dessen Umsatzrate dann bei rund einer Milliarde Dollar rangieren wird. Die Ursache: Hinter CMIP steht die internationale Phalanx der Carrier, die ihre Netzwerk-Management-Systeme auf Basis von CMIP aufbauen, weil sie sich mehr an den Vorgaben der CCITT orientieren müssen.

Vermutlich werden sich aufgrund des Engagements der Telecom-Anbieter auch die Hersteller von Nebenstellenanlagen und Multiplexer auf CMIP einschwören. Ob aber die Produzenten von Intenetworking-Equipment in den nächsten fünf Jahren von SNMP auf CMIP als Kommunikationsprotokoll in Sachen Netzwerk Management wechseln, steht in den Sternen. Von Planungssicherheit für den Netzadministrator also keine Spur.

Ein Siberstreif am Horizont für Anwender könnte hinsichtlich dieser Misere die Distributed Management Environmet (DME) der Open Software Foundation sein. "Auf OSF/DME ruhen derzeit die Hoffnungen vieler Anwender, weil diese Technologie verschiedene Funktionalitäten bereitstellt, wo SNMP und CMIP nur Transportmechanismen sind", erklärt Berater Janssen den Vorteil des Produktstandards.

Outsourcing als ein Ausweg

Mit OSF/DME könnten die beiden Protokolle SNMP und CMIP also unter einen Hut gebracht werden. "Der Anwender interessiert sich weniger für SNMP oder CMIP, sondern vielmehr dafür, welche Management-Applikation und -Lösung er bekommt", sieht Janssen den Nutzen in OSF/DME. Der Berater warnt aber davor, hinter dem OSF-Standard eine fertige Lösung zu vermuten. Die Bausteine dieser Kerntechnologie müßten, so der Experte, von den Herstellern jetzt erst in ihre Pakete integriert und mit Zusatzfunktionalität angereichert werden. In der Kerntechnologie seien die Applikationen dann kompatibel, nicht aber bei den Zusatzanwendungen .

Unternehmen, denen dies alles zu unsicher und kostspielig ist, bleibt nur der Ausweg des Outsourcing, entweder des gesamten Netzwerkes oder des Netzwerk-Managements. Der Trend zum Outsourcing ist zweifellos vorhanden, das dokumentiert die steigende Zahl der Vertragsabschlüsse in der jüngsten Vergangenheit. Nach Ansicht von Janssen scheuen viele Unternehmen diesen Schritt noch wegen des Abhängigkeitsverhältnisses und der Angst, Daten preiszugeben.

"Der Markt ist für Netzwerk-Management-Outsourcing noch nicht bereit", meint Wayne Mc Glashan, Manager Computer und Telecommunications Infrastructure bei Hoffmann-La Roche in Basel, der für den Pharmakonzern derzeit die Angebote sondiert. Gegenwärtig, so die Erfahrung des Netzwerkverantwortlichen, sei zwar das Marketing der Anbieter gut, es stecke aber nichts dahinter. Trotzdem, da ist sich Glasham sicher, wird der Weg in Richtung Outsourcing bei Netzwerken und deren Management führen.