Notizen von der "electronica" in München: Kleiner, schneller, billiger

28.11.1980

Die "electronica" in München - alle zwei Jahre ist das der Ort, an dem frühzeitig die Trends sichtbar werden, die sich später mit mehr oder weniger großem Abstand in fortschrittlicher Computer-Hardware niederschlagen. Fortschritte in der Halbleiter-Technologie, moderne Glasfaser-Kommunikation, futuristische Sprachein- und -ausgabesysteme oder was auch immer an anderen, weniger spektakulären, in der Summe aber weitreichenden Innovationen auf uns zukommt - der Blick in die Münchner Messehallen ist immer auch ein Blick in die Zukunft der Computerei.

Je mehr elektronische Funktionen die Hardware-Produzenten zu immer kleineren Kosten auf immer engerem Raum unterbringen können - die in mehreren Versionen vorgestellten 64-K-RAMs sowie etwa die 1-MB-Bubble-Speicher seien hier nur als herausragende Beispiele genannt -, desto rascher dürfte im Kommunikationswesen die Digitalisierung der Übertragungsnetze voranschreiten und -Satelliten-, Breitband- und Glasfaserkommunikation eingeführt werden. Das führt nach den Worten von Gert Lorenz vom Valvo-Unternehmensbereich Bauelemente - er sprach auf dem ,,9. Kongreß Mikroelektronik" - zum Zusammenwachsen von Telefon, Computer und Fernseher und zu neuen Kommunikations- und Informationssystemen wie

- leistungsfähigeren Komforttelefonen;

- Bildschirmtextdiensten mit Zugriff zu externen Rechnern;

- Bürofernschreibnetzen, die eine DIN-A4-Seite in zwölf Sekunden übertragen und an die auch Textautomaten angeschlossen werden können;

- Kabelbild- und -textnetzen mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit

- und zur Integration von Personal Computer in die übrigen Kommunikationsdienste.

Die Entwicklung führt laut Lorenz also in Richtung Dezentralisation von Information und Intelligenz.

Zum oben genannten Stichwort ,,Bildschirmtext" stellte Valvo übrigens auf der electronica ein interessantes Konzept vor, wie man die Nachteile des heutigen Bildschirmtextes, nämlich begrenzte Auflösung und eingeschränkte Farbwahl beheben könnte: mit DRCS, sprich "Dynamically Redefinable Character Sets".

Im vorgestellten DRCS-System besteht ein Zeichenplatz aus einer 10 x 12-Matrix, was mehr als 10E36 verschiedene Zeichen ermöglicht. Die bei einer Übertragung tatsächlich verwendeten Zeichen werden dabei zunächst von der Bildschirmtext-Zentrale an den Empfänger überspielt (vorerst maximal 96), gespeichert und dann zur Darstellung der Bildschirmtext-Seiten herangezogen. In der Demonstration am Stand lieferte DRCS typographisch sehr befriedigende Schriftbilder.

Zu den interessantesten Themen des Mikroelektronik-Kongresses zählte das Gebiet Sprecher- und Spracherkennung sowie Sprachsynthese, also praktisch Wege, wie man Computer auf die menschliche Stimme ,,dressieren" und ihnen das Sprechen beibringen kann.

Wie Klaus Fellbaum vom Institut für Fernmeldetechnik der TU Berlin erläuterte, ist die Aufgabe, eine dem Computer bereits bekannte Stimme zu identifizieren, prinzipiell bereits gelöst; sogar ins Telefon sprechende Menschen sollen bald eindeutig an der Stimme wiedererkannt werden können. Dagegen ist die Identifizierung von Sprechern, die nicht erkannt werden wollen - etwa als Erpresser -, heute noch weitgehend ungelöst, allerdings für den regulären Computer-Alltag auch nicht eben ein brennendes Problem.

Kostengünstige Systeme zur Erkennung eines begrenzten Vorrats an Befehlsworten - etwa zwischen zehn und 300 - gibt es, wie auch die "electronica" zeigte, bereits eine ganze Reihe. Üblicherweise wird das System dabei individuell auf jeden Sprecher, auf den es hören soll, in einer kurzen Lernphase eingestellt, bei der die einzelnen Befehle der Reihe nach eingegeben werden.

Erst in Ansätzen befindet sich die Erkennung fortlaufender Sprache, weshalb laut Fellbaum auch das Traumziel einer ,,phonetischen Schreibmaschine" vorerst noch weit entfernt ist - jedenfalls, wenn man dabei auch den Preis im Auge behält.

Großen Zulauf fanden beim Publikum Sprachausgabe-Systeme, beispielsweise von Texas Instruments und anderen Herstellern. So verblüffend sich ,,sprechende Computer" anhören - will man einen unbegrenzten Wortschatz synthetisieren, so steht man laut Fellbaum auch heute noch vor einem Bündel ungelöster linguistisch-phonetischer Probleme. Was nicht heißt, daß nicht mit Sprachsynthese-Einheiten begrenzter Wortzahl bereits leistungsfähige neue Systeme zur besseren Mensch-Maschine-Kommunikation aufgebaut werden könnten.

Blasen in Kassetten

Viel diskutiert wurden auf dieser Elektronik-Messe "Magnetblasenspeicher", die inzwischen ja von einer ganzen Reihe von Firmen angeboten werden. Zwar sind sie erheblich langsamer als Halbleiterspeicher, doch speziell in widrigen Umgebungen

stellen sie eine interessante (nichtflüchtige!) Alternative etwa zu Disketten-, Platten- oder Bandlaufwerken dar. Außerdem sind sie konkurrenzlos kompakt.

Stellen heute 256-KB-Bubblespeicher den Stand der Technik dar, so präsentieren führende Hersteller, etwa National Semiconductor, inzwischen bereits 1-MB-Einheiten beziehungsweise auf ihnen basierende Speicherkarten mit bis zu 256 KB RAM, natürlich ebenfalls nichtflüchtig.

In besonderer Weise nutzt der japanische Hersteller Fujitsu die Vorteile der Bubble-Technologie: Dieses Unternehmen präsentierte Bubble-Einsteckkassetten - man könnte sie in Analogie zu auswechselbaren magnetischen Datenträgern setzen -, die bis zu 256 KB Kapazität pro Kassette aufweisen. Fujitsu empfiehlt sie als Ersatz für Lochstreifen und -karten, für NC-Steuerungen und als Speichereinheiten für Sprachausgabe-Systeme.

Bei den Mikroprozessoren fiel vor allem eine Reihe neuer CMOS-Versionen altbekannter Mikros auf, beispielsweise der von NEC präsentierte 80C48 oder der CMOS-6805 von Motorola. Auf der anderen Seite fanden Ein-Chip-Mikrocomputer, vor allem für Steuerungen etc., reges Interesse, ebenso aber auch eine Reihe bemerkenswerter Weiterentwicklungen am oberen Ende des Mikro-Spektrums, also bei den 16-Bit-Prozessoren. So ist Motorolas MC 68000 mit einer 32-Bit-Architektur ausgestattet, was schon heute Rückschlüsse auf den künftigen Entwicklungstrend bei High-End-Mikros gestattet; übrigens arbeitet dieser Prozessor nicht nur mit Mikrobefehlen, sondern in einer "zweiten Ebene" sogar mit "Nanobefehlen", wie auf dem Mikroelektronik-Kongreß näher erläutert wurde: Diese Technik spart eine Menge interner ROM-Kapazität.

Schließlich noch zwei weitere Highlights der Münchner Elektronik-Messe: National Semiconductor stellte mit dem 8073 einen Mikro vor, der auf dem Chip einen Tiny-Basic-Interpreter enthält, und Texas Instruments zeigte mit dem 9995 eine Version, die im Vergleich zu den bisherigen Mikros dieser Reihe den dreifachen Datendurchsatz ermöglicht.

Wäre abschließend noch zu erwähnen, daß sich die Glasfasertechnik in München zusehends als fest etabliertes Übertragungsmedium präsentiert; daß allgemein Fortschritte bei Halbleiterspeichern notiert wurden (schneller, weniger Verlustleistung , Boards mit integrierten Schaltungen zur Fehlererkennung und -korrektur) und daß vielfältige Hardware-, Firmware- und Software-Hilfen und -Werkzeuge den Entwicklern von Steuerungen und Mikrocomputersystemen das Leben immer mehr erleichtern. Mit einem Wort: Die Elektronik-Szene bleibt auch in den nächsten Jahren weiter in vollem Schwung.

Egon Schmidt ist freier Fachjournalist in München.