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Notizen von der Comdex

18.11.1999

Nach vier Tagen Vegas und fünf Keynotes bietet die Wüstenstadt nur noch wenig überraschendes. Jeden Tag das gleiche Bild. Während sich die eine Hälfte der Las-Vegas-Besucher auf der Comdex von den vermeintlichen Segnungen des Internet berieseln läßt, sitzt die andere Hälfte vergnügungssüchtig stumpf vor den Zillionen von Daddelmaschinen. Für Black-Jack, Roulette und unzählige Automaten werden Milliarden zum Fenster hinausgeworfen.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen, mich in das wunderbare Internet einzuwählen, das Modem dazu zu bringen, einen Wählton zu produzieren und immer eingeschränkt durch die Betriebsdauer meines Laptop-Akkus, beschleicht mich die Frage: Was reden die eigentlich für einen Sch...? Wieso träumen sich die Vertreter der Industrie in eine goldene Zukunft, in der jede Zapfsäule (Chambers), Glühbirne (McNealy), Kamera (Idei) oder Uhr (Fiorina) einen Internetanschluß hat, wenn sich mein Rechner nur dann hochfahren läßt, wenn er will? Globale Kommunikation nur funktioniert, wenn man zufällig den richtigen Adapter oder den richtigen Stecker für die Telefonbuchse dabei hat? Selbst Vertreter der Open-Source-Bewegung wie Linus Torvalds scheinen keine Lust zu verspüren, unsere Allerweltsprobleme zu lösen, sondern schwelgen in der Zukunft eines zugegebenermaßen pfiffigen und preiswerten Betriebssystems.

Hier in Las Vegas war in den ersten vier Tagen viel vom Kunden die Rede, was er will, was er braucht und wie bequem man es ihm zu machen gedenkt. Er bekommt ja zukünftig alles übers Internet - außer der Luft zum Atmen vielleicht. Und weil er dann dank Teleworking, E-Learning und E-Commerce gar nicht mehr mobil sein muß, stattet man die Fahrzeuge und Zapfsäulen mit Internet-Anschluß aus. Das geht natürlich nur deshalb, weil dann kaum noch jemand auf unseren Autobahnen unterwegs ist. Oder können Sie sich eine Autobahnraststätte im sommerlichen Reisestau vorstellen, wo der Wagenlenker beim Tanken einen gemütlichen Internet-Chat mit seiner Oma hält oder nach dem Wetter in Italien fragt?

Okay, ich hab´s gemerkt, nach vier Tagen Las Vegas ist es Zeit, daß ich hier wegkomme...

Christoph Witte, Chefredakteur COMPUTERWOCHE, Las Vegas