Notes-Entwickler Ray Ozzie bleibt - vorerst Lotus-Boss Jim Manzi hielt bei IBM nur 99 Tage durch

20.10.1995

MUENCHEN (CW) - Jim Manzi, seit zehn Jahren oberster Lotus-Mann, ist zurueckgetreten. Seit der Uebernahme des Softwarehauses durch Big Blue im Juni 1995 nahm er die Position eines Senior Vice- President bei der IBM ein. Manzi hat keine Angaben ueber seine Zukunftsplaene gemacht. Mit Michael Zisman und Jeffrey Papows wurden umgehend zwei Nachfolger benannt.

Manzis Ruecktritt kommt fuer Brancheninsider nicht ueberraschend. Die Charakterzuege des Lotus-Chefs seien, so Kenner der Szene, nicht mit der bei der IBM herrschenden Management-Kultur vereinbar gewesen.

Nach 99 Tagen unter dem Gespann Thompson/Gerstner warf Manzi nun das Handtuch. Zwischen den Zeilen seiner offiziellen Demissionserklaerung scheinen die von Analysten beschriebenen Unvereinbarkeiten mit dem neuen Arbeitgeber durch: "Ich habe Eigenschaften, die mich zum - wie ich glaube - effektiv arbeitenden CEO einer knapp eine Milliarde Dollar grossen Firma gemacht haben. Dies sind aber nicht notwendigerweise Wesenszuege, die einem Manager abverlangt werden, der eine Division innerhalb einer viel groesseren Organisation fuehren soll." Die Herausforderungen, die ihn bei Lotus begeistert haetten, seien nicht unbedingt die gleichen, mit denen sich das Softwarehaus nun konfrontiert sehe, fuhr Manzi fort.

Gerstners Reaktion auf Manzis Abgang kann man als politisch korrekt bezeichnen. In einem internen Memo an die Mitarbeiter schrieb der IBM-Topmanager:

"Ich verstehe und respektiere Jims Entscheidung. Jim hat viele wichtige Beitraege fuer Lotus geleistet. Wir wuenschen ihm alles Gute."

Als Nachfolger fuer Manzi bestellte Gerstner zwei Manager aus der Fuehrungsriege der Communications Business Group von Lotus. Zisman wie Papows fungierten dort als Senior Vice-Presidents. Sie machen ab sofort als Tandem das Office of the President aus und rangieren in der IBM-Hierarchie als Executive Vice-President. Zisman erledigt zudem die Aufgaben als CEO, Papows als COO (Chief Operating Officer). Beide berichten an Softwarechef John Thompson.

Seit 1986 an der Lotus-Spitze

Waehrend die Branche auf Manzis Rueckzug eher gelassen reagierte, fragen sich viele Insider und Anwender vor allem, ob im Gefolge des Wechsels auch andere wichtige Manager Lotus den Ruecken kehren. Robert Weiler, Senior Vice-President der Division Desktop Business und International Sales, trat bereits zurueck.

Die Befuerchtungen um einen weiteren Aderlass konzentrieren sich aber im Prinzip auf eine einzige Person: Ray Ozzie. Ozzie kann getrost als die ueberragende Entwicklerpersoenlichkeit bei Lotus eingestuft werden. Seit 1981 in Diensten des Softwarehauses aus Cambridge, Massachusetts, kreierte er zunaechst "Symphony", ein integriertes Softwarepaket. 1984 gruendete Ozzie Iris Association. Die Finanzspritze von einer Million Dollar stammte von Lotus- Gruender Mitch Kapor. Mit drei Kombattanten schuf Ozzie, was fuer Lotus die Killerapplikation schlechthin werden sollte: Notes. Die Groupware also, allein deretwegen sich IBM Lotus im Sommer dieses Jahres einverleibt hat.

Anwender befuerchten nun, Ozzie koenne den Manzi-Abschied zum Anlass fuer seinen eigenen Rueckzug nehmen. Damit, so die Aengste, koennte auch Release 4 von Notes gefaehrdet sein. Nicht ohne Grund beeilte sich Lotus denn auch, eine Erklaerung zu veroeffentlichen, derzufolge Ozzie "sich verantwortlich zeigt fuer die Zukunft von Notes".

Manzis Karriere bei Lotus begann im Mai 1983 als Marketing- Direktor. Zuvor hatte er als McKinsey-Berater die Strategie zur Markteinfuehrung der Tabellenkalkulation "Lotus 1-2-3" entworfen. Bereits im November 1984 ernannte ihn Kapor zum President und COO, bevor er Manzi im April 1986 den Fuehrungsstab des CEO uebergab. Seit Juli desselben Jahres belegte Manzi in Personalunion auch das Amt des Chairman.