Enterprise-Computing unter Internet-Bedingungen

Notes 4.6: Schritte auf dem Weg zur offenen Plattform

07.11.1997

Die Notes-Entwickler arbeiten bei der Umwandlung der im Kern proprietären Groupware zu einer offenen Internet- und Intranet-Plattform gleich an mehreren Baustellen. Neben der Einführung von neuen Features gehört dazu die Verbesserung von Gateway-Funktionalität, die schon in früheren Versionen vorhanden war. Mit ihrer Hilfe öffnen die Notes-Designer das Produkt in Richtung Internet-Mail und Web. So unterstützt der für die dynamische Umwandlung von Notes-Dokumenten in HTML-Seiten zuständige Domino-Server nun das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) 1.1 und Secure Socket Layer (SSL) 3.0. Der für den Versand von Internet-Mail notwendige Mail Transfer Agent (MTA) entspricht den Standards Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) sowie Multipurpose Internet Mail Extension (Mime) und kommt nicht mehr als separates Produkt, sondern kann gleich bei der Installation mit eingerichtet werden. Weitere Optimierungen betreffen Performance-Steigerungen der bisher eher trägen Implementierung von Post Office Protocol 3 (POP 3) und SMTP, auch die Leistung des Web-Servers soll sich nach Angaben des Herstellers erheblich verbessert haben.

Neben der Überarbeitung bestehender Funktionen fügten die Notes-Entwickler eine Reihe neuer hinzu. Dazu zählen das Net News Tranport Protocol (NNTP), so daß Notes-Anwender nun auch an den Internet-Diskussionsforen teilhaben können. Das Namens- und Adreßbuch steht in der neuen Version allen Clients offen, die das Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) beherrschen, beispielsweise Net- scapes "Communicator". Ein weiteres Protokoll kommt mit dem Internet Mail Access Protocol 4 (Imap 4) hinzu.

Neben der Optimierung und Erweiterung der Internet-Funktionalität ist der Umbau von Notes als Entwicklungplattform in vollem Gang. Nach der zu Spaghetti-Code neigenden Makrosprache und dem Basic-Derivat Lotusscript stellt Lotus nun klar die Weichen in Richtung Java. Die Version 4.6 gibt Java-Programmierern den vollen Zugriff auf das Notes-API und läßt die Ausführung von Java-Programmen sowohl am Client als auch am Server zu.

Strategisch verfolgt die IBM-Tochter damit zwei Ziele: Notes soll für die steigende Zahl von Java-Entwicklern attraktiver werden und das zu erwartende große Angebot an Java-Komponenten nutzen können. Zweitens aber muß Notes als Internet- und Intranet-Plattform Browser mit dem proprietären Client gleichstellen. Java soll die Beschränkungen von HTML überwinden und dem Web-Front-end zu den Funktionen verhelfen, die dem Notes-Desktop bisher vorbehalten waren.

Dieses Vorhaben bringt die Notes-Architekten in einige Zwickmühlen. Beide Client-Typen besitzen einen unterschiedlichen Funktionsumfang, so daß eine komplexere Anwendung je nach Design auf einem der beiden Front-ends Probleme bereiten kann. So vermag ein Browser mit Lotusscript-Programmen nichts anzufangen, der Notes-Client hingegen verweigert die Ausführung von Javascript. Als Kompromiß räumten die Notes-Entwickler die Option ein, Teile eines Dokuments wahlweise vor einem Browser oder dem eigenen Client zu verstecken. Auf diese Weise können Programmierer Applikationen erstellen, die in beiden Umgebungen ablaufen - ähnlich wie das heute Web-Entwickler für die untereinander inkompatiblen Browser schon häufig machen. Dieser Zwiespalt beim Übergang zu Standard-Clients zeigt sich auch bei Mail. Der Notes-Server kann Mime-Anhänge jetzt auch ohne Konvertierung direkt abspeichern. Dies ist praktisch, wenn Anwender ihre Post stets mit einem POP-3-Client wie "Eudora" oder "Microsoft Outlook" abholen, macht aber Umstände, wenn gelegentlich das Notes-Front-end zum Zuge kommt. Deshalb läßt sich Post optional für jeden Benutzer gleich doppelt abspeichern, nämlich im Internet- und im Notes-Format.

Änderung der Preispolitik

Die Ablösung des proprietären durch offene Front-ends wirkt sich auch auf die Vertriebspolitik aus. Die zunehmend bessere Notes-Unterstützung für Internet-Clients, die preiswert bis kostenlos zu haben sind, beeinträchtigt den Verkauf des Notes-Clients. Dessen Verkaufspreis ist in den letzten Jahren ohnehin schon gefallen, abgespeckte Ausführungen wie "Notes Mail" und "Notes Desktop" bieten für viele Arbeitsplätze Einsparungsmöglichkeiten. Einkünfte muß daher zunehmend der Server gewährleisten. Deshalb wird Domino 4.6 rund 500 Dollar mehr kosten als die Vorgängerversion. Analysten gehen davon aus, daß Lotus in absehbarer Zeit genauso wie konkurriernde Anbieter auf ein Lizenzmodell ausweichen wird, das beim Server gestaffelte Preise erlaubt, beispielsweise abhängig von der Anzahl der Prozessoren.

Einen weiteren Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung von Notes legen die Lotus-Verantwortlichen auf das Enterprise-Computing. Seit der Übernahme durch die IBM positionieren sie die ursprünglich auf die Abteilungsebene ausgelegte Group- ware vor allem für den Einsatz im Großkundenbereich. Wichtig ist dort die Anbindung an Unternehmensdaten, besonders wenn Notes als Dateneingabesystem genutzt wird. Notes selbst ist für umfangreichere Transaktionverarbeitung nicht ausgelegt. Deshalb kommt der stattfindenden Integration mit der Middleware "MQ Series" und "CICS" erhöhte Bedeutung zu. In die gleiche Richtung geht die Version 2.5 von "Notes Pump". Es dient der Anbindung von Notes an relationale Datenbanken. Bisher war das Zusatzprodukt darauf beschränkt, Informationen aus Notes-Datenbanken im Batch-Modus mit SQL-Servern auszutauschen. Die neue Ausführung kann diese Aufgabe online erledigen und unterstützt neben diversen Datenbankformaten auch die Kommunikation mit SAP R/3.

Warten auf Domino 5.0

Die Öffnung für das Enterprise-Computing spielt sich nicht nur am Back-end ab, sondern auch in Richtung Kunden. Der "Merchant Server 2.0" vervollständigt die Auftragsverarbeitung in Richtung Internet.

Viele der geplanten Umbaumaßnahmen bleiben zukünftigen Versionen vorbehalten, besonders dem auf Mitte 1998 verschobenen Domino 5.0. Dazu zählen unter anderem die Unterstützung für Corba und damit auch für das Internet Inter-ORB Protocol (IIOP), Javabeans sowie Microsofts Distributed Component Object Model (DCOM). Vor allem verspricht Lotus, daß dann ein und diesselbe Applikation unverändert im Browser oder Notes-Client ablaufen kann.

Bestehende Notes-Kunden werden über die Verschiebung der Version 5.0 nicht unglücklich sein, da sie mit den Update-Intervallen in den letzten zwei Jahren kaum Schritt halten konnten. Allerdings steckt Lotus auch hier in einem Dilemma: Während vorhandene Anwender sich ein mäßigeres Tempo wünschen, warten viele potentielle Kunden auf den Abschluß der Umbauarbeiten. Die Version 4.6 werden viele Nutzer voraussichtlich überspringen, um gleich das große Update im nächsten Jahr mitzumachen. Allerdings rät die Gartner Group aufgrund der zahlreichen Optimierungen, die in Domino 4.6 vorgenommen wurden, Notes-Server auf den aktuellen Stand zu bringen und das Client-Update auf die Version 5.0 zu verschieben.

Notes 4.6: Neuerungen

- Administration und Überwachung des Servers über das Web,- NNTP, Imap 4, LDAP, HTTP 1.1, SSL 3.0, X.509-Zertifikate,- Server kann Post über POP 3 von anderen Servern abholen,- Mime-Anhänge lassen sich ohne Konvertierung abspeichern und- Zugriff auf das Notes-API aus Java.