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Thema des Tages

Nortel schluckt Clarify für 2,1 Milliarden Dollar

19.10.1999
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das gab es bisher noch nie: Ein Anbieter von Netzwerk-Equipment erwirbt einen Hersteller von CRM-Lösungen (Customer Relationship Management). Die kanadische Nortel Networks Corp. wird die Softwareschmiede Clarify im Rahmen eines Aktientauschs für 2,1 Milliarden Dollar übernehmen. Mit dieser Akquisition wollen die Netzwerker zusammen mit ihrer Hardware die entsprechenden Front-office-Anwendungen für den E-Commerce-Einsatz anbieten. Die Mehrheit der Analysten zeigte sich angesichts des Deals überrascht; sie hatten damit gerechnet, daß Clarify von einem ERP-Anbieter (Enterprise Resource Planning) gekauft werden würde.

Die Clarify-Aktionäre, die der Fusion noch zustimmen müssen, werden für jeden ihrer Anteilscheine 1,3 Nortel-Aktien erhalten. Das Softwarehaus wird zu einer vollständigen Tochter von Nortel und Teil seiner Enterprise Solutions Division unter der Leitung von President Bill Connor. Der Clarify-CEO (Chief Executive Officer) Tony Zingale und die rund 800 Mitarbeiter sollen ebenso wie der Standort San Jose, Kalifornien, beibehalten werden. Die Akquisition wird voraussichtlich im zweiten Quartal 2000 abgeschlossen sein.

Auch wenn die Analysten sich erstaunt zeigen, macht diese Technologie-Kombination für Nortel Sinn. Die Netzwerker wollen mit der Clarify-Software wie "E-Front-Office" ihre E-Commerce-Produktpalette ausbauen. Damit werden Unternehmen laut Nortel künftig in der Lage sein, auf einen Blick sämtliche kundenrelevante Daten in bezug auf Vertrieb, Marketing und Service auf einen Blick zu erfassen. Diese Daten können aus verschiedenen Kanälen wie Telefon, Fax oder Internet eingespeist werden. "So wie die Datenverarbeitung und Telekommunikation zunächst komplett getrennt waren, aber nun zusammenwachsen, passiert das jetzt auch mit der Netzwerktechnologie und dem CRM-Bereich," erläutert Connor. Im Rahmen dieser Strategie hatten die Kanadier erst im August Periphonics Corp., einen Anbieter von Call-Center-Lösungen, für 436 Millionen Dollar in Aktien gekauft.

Die Analysten hatten dennoch eher mit einem Käufer aus den Reihen der ERP-Anbieter gerechnet, da sich der Markt in bezug auf ERP und CRM derzeit konsolidiert und integrierte Front-office- und Back-office-Lösungen gefragt sind. Erst vergangene Woche hatte Peoplesoft den CRM-Spezialisten Vantive für 433 Millionen Dollar übernommen (CW Infonet berichtete). Die ERP-Riesen Oracle und SAP wiederum basteln an ihren eigenen CRM-Suiten. Nur die Nummer eins unter den reinen Front-office-Anbietern, Siebel Systems, hat sich noch nicht mit einem Back-office-Partner zusammengetan. Dieses Schwergewicht dürfte sich allerdings um seine Zukunft keine Sorgen machen müssen, schließlich besitzt das Unternehmen einen Marktwert von 7,72 Milliarden Dollar und hat weder Mangel an Bargeld noch an Kunden.

Einige Marktforscher halten die Summe von 2,1 Milliarden Dollar, die Nortel für Clarify zahlen will, für zu hoch. Schließlich machte das Softwarehaus im vergangenen Jahr einen Umsatz von lediglich 130 Millionen Dollar. Für das dritte Quartal 1999 erwartet Clarify einen Umsatz von 62 bis 63 Millionen Dollar, während Wallstreet-Analysten von 55 bis 59 Millionen Dollar ausgehen. Die endgültigen Ergebnisse sollen am 21. Oktober bekanntgegeben werden. Nortel begründete die Höhe der Kaufsumme damit, daß Clarifys Wachstumspotential von geschätzten 80 Prozent ausschlaggebend gewesen sei und nicht die vergangenen Umsätze. Der Markt für CRM-Lösungen scheint jedenfalls vielversprechend: Das Marktforschungsunternehmen International Data Corp. (IDC) prognostiziert, der Marktwert von Front-office-Anwendungen werde von 1,9 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf elf Milliarden Dollar im Jahr 2003

ansteigen.