Normungs-Dilema: Meckern ersetzt kein Engagement

04.08.1978

Seit Jahren wird über Unzulänglichkeiten in der Arbeit des Fachnormenausschusses Informationsverarbeitung (FNI) im DIN geklagt, wobei Kritiker den großteils ehrenamtlichen DlN-Mitarbeitern insbesondere zu "akademisches Denken" vorwerfen.

Das hat sicherlich in der Vergangenheit oft dazu geführt, daß Normen entweder zu früh verabschiedet oder Norm-Entwürfe zerredet und auf den geringsten Einwand hin gestoppt wurden - sage niemand, die DIN-Leute hätten sich immer durch einen harten Punch ausgezeichnet. Doch hier soll nicht ein weiteres Mal untersucht werden, inwieweit akademisches Denken die DlN-Arbeit belastet.

Aktueller Anlaß, die Normung erneut unter die Lupe zu nehmen, ist ein Gastkommentar von Fritz Schmidhäusler (CW-Nr. 28 vom 7. Juli 1978: "DV-Hersteller und Büromöbel-Hersteller - zwei feindliche Brüder?"). Schmidhäusler behauptet, die Bildschirm-Misere ("Ergonomisch richtig gestaltete Terminalarbeitsplätze: Fehlanzeige") könne nur behoben werden, wenn sich DV- und Büromöbel-Hersteller "endlich mal" an einen Tisch setzen. Und das, obwohl im Frühjahr dieses Jahres ein DlN-Entwurf (66234) über die "Anpassung von Bildschirmarbeitsplätzen an den Menschen" veröffentlicht wurde. Hat der Fachnormenausschuß alles getan, um den Dialog zwischen den Beteiligten (Hersteller, Softwarehäuser, Anwender, Gewerkschaftler, Arbeitsmediziner) in Gang zu bringen?

Gewiß, beim Thema "Bildschirmarbeit" sind alle hellhörig geworden. Das ist viel, gemessen an der Resonanz, die Standardisierungsfragen gewöhnlich in der DV-Öffentlichkeit finden. Erstaunlich schnell auch hat FNI-Geschäftsführer Lutz Groenke die Schmidhäusler-Anregung aufgegriffen, wie er der Computerwoche erklärte. Doch vorerst steckt das lediglich in den Köpfen einiger weniger, die sich in der heiklen Frage der Bildschirmarbeitsplatz-Gestaltung engagieren. Und wer erwartet, daß jetzt von allen Beteiligten ein Konsens angestrebt wird, der irrt. Tatsächlich sind zu viele Interessen tangiert.

Verständlich, daß die DV-Hersteller nicht gerne über Bildschirm-Normen reden. Erstens wurde bereits zu unterschiedliche Terminal-Hardware entwickelt, und jeder fürchtet, Anpassungs-Klimmzüge machen zu müssen - zweitens gibt es IBM. Welche Einstellung der Marktführer zur Normung hat, ist bekannt: "Wenn die Norm gut ist, dann stimmen wir zu." Nur: Heißt das, was gut ist, bestimmt IBM? Der so verklausulierte Vorwurf mag übertrieben klingen - die Kontrahenten hingegen wissen, daß es gefährlich ist, IBMs Einflußmöglichkeiten im DIN zu unterschätzen. Nicht das der Marktführer die vergleichsweise grobe Waffe des massiven Einspruchs einsetzte, um eigene Interessen durchzudrücken - neutrale Beobachter glauben jedoch erkannt zu haben, daß hinter der durch enorme Detailkenntnisse bestechenden IBM-Mitarbeit in den Normungsgremien "Methode" steckt. Diese Haltung ist indes durchaus legitim: natürlich tut

jeder Hersteller nur das, was in seinem unmittelbaren Interesse liegt.

Denkbar wäre immerhin, daß ein Norm-Entwurf gegen IBM durchgeboxt werden kann, wenn die Mehrheit der Anwender und Hersteller dahintersteht. Am Desinteresse der anderen Hersteller dürften in diese Richtung zielende Versuche nicht scheitern.

Mithin stellt sich die Frage, ob die Anwender mitmachen. Bisherige Erfahrungen vermitteln ein eher entmutigendes Bild. Tatsache ist doch, daß sich die Anwender aus der Normungs-Entwicklung weitgehend heraushalten. Schlimmer: Die Norm, an deren Entwicklung sie nicht mitgewirkt haben, wird hinterher kritisiert. Und dagegen vor allem wendet sich Groenke. Mit Recht: Wer über Normung schimpft, sollte sich an die eigene Nase fassen - zumal dann, wenn er von einer Entwicklung "überrollt" wurde, der er in fatalistischer Passivität zugesehen hat.