Rechts oder links

Nokia unternimmt Expeditionen in die Hosentasche

05.05.2008
Von Handelsblatt 
Nokia schickt Spähtrupps los, die weltweit die Gewohnheiten und Vorlieben der Mobilfunkkunden erforschen sollen.

Sind Sie ein Mann? Dann fassen Sie jetzt bitte mal in Ihre rechte vordere Hosentasche. Ist da drin ihr Handy? Glückwunsch, dann gehören Sie zur globalen Mehrheit von 60 Prozent der Männer. Verpassen Sie manchmal Telefonate, weil Sie das Handy in der Tasche nicht hören? Trösten Sie sich, 30 Prozent von uns geht es genau so. Und die Frauen? Die kramen gerade in ihrer Handtasche, denn dort bewahren 61 Prozent von ihnen das Handy auf. Und jede zweite findet es darin nicht, wenn es klingelt. Das wiederum überrascht jetzt wahrscheinlich niemanden, der schon mal in eine Frauenhandtasche hineingeschaut hat.

Wie die Feldforscher von Nokia. Die haben in 15 Städten viele tausend Menschen befragt, wo sie ihr Handy aufbewahren und ob sie rechtzeitig drankommen. So kommen dann solche Statistiken zustande. Aber sie haben auch praktische Konsequenzen. Zum Beispiel, dass das Design-Team des finnischen Weltmarktführers neue Modelle mit einem blauen Blinklicht ausstattet, damit sie auch in geräumigen Handtaschen flott zu finden sind.

"Die Kommunikationsgewohnheiten sind in verschiedenen Kulturen bemerkenswert ähnlich", hat Jan Chipchase bei seinen Reisen um die Welt gelernt. Der Design-Spezialist mit Sitz in Tokio ist einer der Feldforscher in Diensten von Nokia, die Menschen auf allen Kontinenten im Alltag beobachten. Dabei geht es keineswegs nur um den Umgang mit dem Handy. Jüngst hat das Team zum Beispiel erforscht, was Menschen mit sich herumtragen.

Besonderes Interesse hat der Spähtrupp derzeit an den Schwellenländern - schließlich leben dort die Kunden von morgen. Um richtig in die Tiefe zu gehen, mieteten sie sich zum Beispiel in einem ärmlichen Viertel der ghanaischen Hauptstadt Accra in ein Hotel ein und heuerten ein lokales Team von Helfern an. Mit deren Hilfe führten sie dann ausführliche Interviews und begleiteten Menschen im Alltag. Dabei sahen sie, wie Handys als Zugang zum Internet und zu Finanzdienstleistungen dienen und auf ihnen ganze Existenzen basieren. In Accra testeten sie auch auf der Straße Konzepte für neue, preiswerte Telefone. In einem mobilen Designstudio konnten Besucher ihr Wunsch-Telefon skizzieren.

In Indien fanden die Nokia-Designer bei einer ähnlichen Aktion heraus, dass in ländlichen Regionen großer Bedarf an einem "Wetter-Telefon" herrscht, das zuverlässig Regen und Sonne für den nächsten Tag vorhersagt. Hier erforschen sie zum Beispiel auch seit fünf Jahren, wie ein Telefon für Analphabeten idealerweise aussehen sollte. Ein Design-Team hat erste Ideen für ein Bedienmenü ohne Schrift entwickelt: Eine chronologische Liste von Fotos der Anrufer zählt dazu.

"Wir müssen Telefone für die ganze Welt entwickeln", fasst Nokias Designchef Alastair Curtis die Herausforderung zusammen. Und nicht nur Telefone - das Handy entwickele sich immer mehr zum wichtigsten Gegenstand, den der Mensch mit sich herumtrage, zur Schnittstelle zur digitalen Welt. 300 Designer aus 35 Ländern arbeiten in seiner Abteilung. Zum ersten Mal öffnete Nokia jetzt die globale Design-Zentrale im Londoner Amüsierviertel Soho für Journalisten - und bot einen Einblick in die umfangreichen Feldstudien, mit denen der Konzern seine Kunden zu verstehen sucht. Auf das emotionale Feedback komme es an.