Der Abstand zu Europa hat sich verringert, aber:

Noch sind uns die USA einen großen Schritt voraus

03.06.1983

Den amerikanische Computermarkt durch die deutsche Brille zu sehen, hieß bis vor kurzem, einen Blick in die Computerzukunft Europas zu riskieren. Lange Zeit bewegte sich der US-Markt mit genügend großem Vorsprung, was allein aus der Ist-Analyse der USA ausreichend gesicherte Rückschlüsse auf die bevorstehende Entwicklung Europas möglich machte. In den frühen 60er Jahren lag dieser Vorsprung noch bei zehn Jahren, die 70er Jahre ließen ihn auf fünf Jahre zusammenschmelzen. Heute gibt es nur noch wenige Teilmärkte, die sich signifikant vom europäischen Markt unterscheiden.

Der US-Markt weist heute ähnliche Kennzeichen und Probleme auf, wie sie auch in der Bundesrepublik bekannt sind. Auch dort gibt es den Mikro-Boom, schrumpfen die Mainframe-Zuwachsraten und spielen sich marktverdrängende Preiskämpfe ab.

Drastische Veränderungen

Es gibt aber auch wesentliche Unterschiede. So beispielsweise sind die Vertriebswege für den Mikro-Absatz längst etabliert. Mikroverkauf über die Ladentheke überrascht keinen amerikanischen Käufer. Selbst 30 Prozent der Fortune-100-Liste der 100 größten US-Firmen) kaufen ihre Mikros in Computershops.

Die letzten zehn Jahre haben dramatische Veränderungen am Markt mit sich gebracht. Hersteller, die es vor zehn Jahren noch nicht gab oder deren Marktbedeutung gering war, zählen heute zu den Giganten der Branche. So beispielsweise Digital Equipment, Hewlett-Packard, Wang und Storage Technology.

Im Verlauf dieses Jahres wird sich dieser Club erweitern. 1983 werden erstmals Mikroanbieter wie Apple, möglicherweise auch Commodore und Tandy, die Milliarden-Dollar-Schwelle überschreiten, und IBM wird alleine mit dem PC bereits mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz erzielen.

Beobachter des amerikanischen Computermarktes sind vor allem von der sich innerhalb der letzten beiden Jahre wandelnden IBM beeindruckt. Niemand hätte dem blauen Koloß vor Jahren zugetraut, daß er sich so schnell auf die sich ändernden Marktgegebenheiten umstellt. Vor Jahren noch wären Produktinnovationen wie der PC oder Industrieroboter unvorstellbar gewesen.

Auch sind die OEM- und Dealerprogramme, die Aufnahme von Fremdprodukten in die IBM-Produktlinie und die auf Eintrittsabsichten in neue Märkte hinweisenden Kooperationen ein Novum. Hätte IBM sich vor zehn Jahren bereits ähnlich verhalten, damalige Newcomer wie Digital Equipment, Data General und Wang oder die späteren Neugründungen wie Prime und Tandem wären chancenlos geblieben.

Chancen für die Kleinen

Auch heute noch eröffnen sich, trotz der immer noch wachsenden Macht des Marktführers, Chancen für kleinere DV-Unternehmen in den USA. Es ist faszinierend, die rapide steigende Zahl junger Unternehmer zu beobachten. In der Bundesrepublik hat man schon, aIs Nixdorf 1969 in die Reihe der Computerhersteller trat, geunkt, daß dies zu spät sei, um noch erfolgreich "mitmischen" zu können. Danach sind auch kaum noch Neugründungen zu verzeichnen, wenn man von CTM und wenigen anderen absieht. Dabei fehlt es hierzulande nicht unbedingt an "Technofreaks", wenn auch ein Vergleich zu den Technologie-Abenteurern des Silikon-Valley unstreitig zugunsten der Amerikaner ausgeht.

Was die Amerikaner aber in wesentlich ausgeprägterem Maße besitzen, ist Risikofreude. Erfolgsstories wie die von Amdahl verdeutlichen dies. Risiko wird dabei nicht nur von den eigentlichen Machern übernommen, sondern von deren Finanziers einer Vielzahl privater Venture-Kapitalanleger. Wenn es einen wesentlichen Unterschied zwischen den USA und der Bundesrepublik gibt dann ist es die Präsenz privater Kapitalanleger und deren Risikobereitschaft. Banken verhalten sich in USA nicht anders als hierzulande, sie wollen Sicherheiten. Deshalb wird der Start amerikanischer Neugründungen in USA auch genauso selten wie bei uns von Banken finanziert.

Unter Bunch fassen die Amerikaner die "nichtkompatiblen" traditionellen Mainframe-Wettbewerber der IBM zusammen. Es sind dies Burroughs, Univac, NCR, Control Data und Honeywell. Die Situation dieser Hersteller und vor allem deren Zukunftschancen werden in USA differenziert beurteilt. Tatsache ist, daß der Marktanteil des Bunch sich von 1976 bis 1981 kaum vergrößert hat (Zuwachs um 0,5 Prozent), während die IBM-kompatiblen PCM-Hersteller im gleichen Zeitraum von 7,1 auf 9,4 Prozent erweitern konnten. Bunch-Kritiker meinen deshalb, daß sich neue Kunden im Großrechnerbereich eigentlich nur noch mit steckerkompatiblen Computern gewinnen lassen.

Der Bunch stagniert

Allerdings muß man dem Bunch vorhalten, daß er in den vergangenen Jahren Chancen verpaßt hat. Solche Chancen ergaben sich im PC-Markt und insbesondere in der Office Automation. Einen Weg, den Wang erfolgreich einschlug, hätte jedes Mitglied des Bunch vor Jahren wesentlich erfolgreicher gehen können als heute.

Die heute in Europa für Lösungen des "Büros der Zukunft" werbenden Anbieter sind nahezu ausnahmslos US-Firmen. Man müßte annehmen, daß diese Anbieter in USA seit langem Office Automation praktizieren und jetzt mit ihren Lösungen auf den europäischen Markt drängen. Realistisch betrachtet ist auch in USA Office Automation heute noch mehr "Presse" als wirkliche Praxis. Dies liegt vor allem daran, daß es bisher eigentlich gar keine Definition für das gibt, was man unter Office Automation endgültig verstanden wissen will. Da auch der Marktführer mit einer Definition auf sich warten läßt, besteht hier ein Freiraum für wild wuchernde Auslegungen, wohin sich OA entwickeln wird.

Aber selbst wenn man anerkennen muß, daß auch die Amerikaner heute nur mit Konzepten der OA konfrontiert sind, ist ein Bedarf an Local Area Networks (LAN) unverkennbar. Amerikanische Benutzer haben erkannt, daß es notwendig ist, LAN-Verbindungen zu haben, die verschiedenartigste Geräte an ein gemeinsames LAN anschließbar machen. Und hier verhalten sich Amerikaner wieder anders als die Deutschen. Wenn in der Bundesrepublik vor Anschaffungen von LANs 150prozentiger Perfektionismus verlangt wird, nimmt der amerikanische Benutzer auch eine nicht 100prozentige Lösung in Kauf, sobald er Bedarf dafür erkannt hat. Während hier sicher noch in einigen Jahren über Zweck und Sinn von LANs diskutiert wird, sind in USA heute schon etwa 10 000 LANs mit mehr als 250 000 Nodes (Anschlußpunkten) installiert. Den größten Boom aber erlebt der Mikrocomputer. In USA gibt es heute nur wenige Leute, die nicht daran glauben, daß Mikrocomputer und noch viel mehr Mikroprozessoren einen weitaus größeren Einfluß auf die Zivilisation haben werden als beispielsweise heute das Automobil. Ernst zu nehmende Marktanalytiker gehen davon aus, daß bis 1986 jeder US-Bürger, der älter als fünf Jahre ist, in irgendeiner Form Zugriff auf Mikros haben wird.

*Erik Hargesheimer ist Geschäftsführer der IDC Deutschland GmbH, Wiesbaden.