Kolumne

"Niemand weiß was, alle reden"

17.01.2003
Heinrich VaskeChefredakteur CW

Keine drei Jahre ist es her, als Firmen wie Heyde, Intershop oder Broadvision als die Microsofts und Oracles der Zukunft gefeiert wurden. Mit glänzenden Augen warfen die Menschen ihr mühsam Erspartes Unternehmern wie den Gebrüdern Haffa hinterher. Ein Loser, wer ein IPO am neuen Markt verpasst hatte. An den Börsen war allen Ernstes von einer niemals endenden Hausse die Rede.

Bankiers möchten heute gar nicht gerne daran erinnert werden, dass sie ohne zu zögern Kaufempfehlungen für Unternehmen abgaben, deren Börsenwert bereits das Tausendfache des Jahresumsatzes überschritten hatte und deren Kurs-Gewinn-Verhältnisse längst im drei- bis vierstelligen Bereich angekommen waren. Marktforscher hüllen heute ebenfalls den Mantel des Schweigens über ihre damaligen Prognosen in Sachen E-Commerce, E-Procurement oder Collaborative Commerce.

Manchem mag es pietätlos erscheinen, an diese Phase zu erinnern, doch einfach zur Tagesordnung überzugehen wäre völlig falsch. Gegenwärtig fallen wir nämlich wieder auf dieselben Auguren herein, die schon einmal mit ihren Zahlen die Märkte manipuliert und viele Fehlentscheidungen provoziert haben.

Die IT-Budgets werden 2003 um drei bis fünf Prozent schrumpfen, orakelten die Analysten der Meta Group vor wenigen Wochen. Gewagte Prognose: Regelmäßige Befragungen von CIOs zeigen, dass diese Zahlen derzeit beinahe im Monatsrhythmus stark schwanken. Vielleicht ist so zu erklären, dass Gartner zu einer völlig anderen Vorhersage kommt: Die IT-Ausgaben steigen 2003 um sieben Prozent, heißt es dort. Auch Forrester hat seine Zahl veröffentlicht: ein Prozent und nicht mehr - übrigens hatte Forrester Ende 2001 noch ein 9,7-prozentiges Wachstum des weltweiten IT-Marktes für das Jahr 2003 vorhergesagt.

Jeder Marktforscher, jeder Investment-Banker hat seine Leichen im Keller. Mitte 2002 wird sich der IT-Markt wieder beleben, behauptete etwa Merrill Lynch Ende 2001. Wehe dem, der daraufhin seinen Business-Plan erstellte oder Hightech-Aktien kaufte. Die Kollegen von Goldman Sachs sprachen zum selben Zeitpunkt ebenfalls von einer Normalisierung des Marktes im Laufe des Jahres - Ende 2002 werde die IT-Welt wieder in Ordnung sein. Nichts ist in Ordnung, wie heute jeder weiß.

Vor drei Jahren haben sich Anwender, Anbieter und Anleger von einer Hysterie mitreißen lassen, die zu einem Gutteil bewusst und aus geschäftlichen Interessen geschürt wurde. Es gab Fehlinvestitionen, für die noch heute bitter bezahlt werden muss. Jetzt aufgrund der meist pessimistischen Prognosen denselben Fehler zu machen, also notwendige Investitionen aufzuschieben, nur noch auf die Kosten zu schauen und die Wettbewerbsfähigkeit zu vernachlässigen, hieße, diesen Fehler zu wiederholen. Unternehmen sollten ihre Märkte selbst beobachten und auf die relevanten Signale achten. Politische Entwicklungen müssen verfolgt, objektive Markt- und Unternehmensdaten systematisch studiert werden. Wer es dann noch schafft, seinen Kunden zuzuhören, der ist besser informiert, als es jede Marktstudie zu leisten vermag.