Niedersachsen treibt IT-Architektur voran

23.04.2008
Von Dieter Masak und Thomas Knaak 
Die Landesverwaltung hat ein Mammutprojekt gestartet. Bis 2010 will sie Ordnung in ihre Software bringen.

Behörden sind träge, wälzen riesige Aktenberge, und ihr Zustand ist noch derselbe wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. So oder so ähnlich lauten die Vorurteile, die den Landesverwaltungen entgegenschlagen. Dieses Bild entspricht nicht mehr der Realität. Allerdings gibt es in Behörden immer noch die traditionell starken Widerstände gegen Veränderungen.

Die meisten Verwaltungen leiden heute unter einem Sammelsurium an Softwaresystemen. Diverse Großprojekte, beispielsweise die Einführung von SAP-Anwendungen in Hessen oder die langjährigen E-Government-Projekte, haben die Lage nicht verbessert - im Gegenteil: Meist wurden diese neuen Applikationen einfach neben die Altsysteme gestellt und waren, mit Glück, minimal kompatibel.

Diese Situation wird sich künftig noch verschärfen. Immer mehr losgelöste Systeme gesellen sich zu den bereits existierenden "Silos". Damit dürfte es noch schwerer werden, überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Um diesem Wildwuchs zu begegnen, setzt das Land Niedersachsen auf ein Architektur-Management für seine Anwendungssoftware.

Interoperabilität auf dersemantischen Ebene

Die meisten Integrationsverfahren zielen vor allem auf technisch-syntaktische Interoperabilität ab. Doch um die IT auf Dauer sinnvoll steuern zu können, bedarf es einer Interoperabilität auf semantischer Ebene. Und die lässt sich mit Enterprise-Architekturen besser erreichen als mit anderen Integrationswerkzeugen.

Glossar

Silostruktur: So bezeichnet man eine IT-Landschaft, in der die Anwendungen jeweils separate Funktionen abbilden, die - wie Getreidesilos auf einem Bauernhof - unverbunden nebeneinanderstehen. Eine solche Struktur macht die Unterstützung von unternehmensweiten Prozessen beinahe unmöglich.

Architektur-Management: Das übergreifende Management der Unternehmens-(Software-)Architektur ist quasi der Gegenentwurf zur Verwaltung von Anwendungssilos. Es dient dazu, die IT-Landschaft optimal auf die Geschäftsprozesse des Unternehmens abzustimmen.

IT-Bebauungsplan: Gehört zum Architektur-Management, dient als Referenzmodell für alle IT-Investitionen des Unternehmens. Der Bebauungsplan verzeichnet alle existierenden und geplanten Systeme mitsamt ihren Verknüpfungen und Abhängigkeiten. Damit ist er quasi die Übersetzung der Business- in die IT-Strategie.

Togaf = The Open Group Architecture Framework: Der Referenzrahmen unterstützt den Entwurf sowie die Planung, Implementierung und Wartung von Unternehmensarchitekturen - unter anderem durch eine Methode zur Architekturentwicklung (ADM). Er. wird von der Open Group kostenfrei angeboten, sofern er intern und nicht kommerziell verwendet wird. Näheres lässt sich beispielsweise unter www.togaf.org erfahren.

Zachman-Framework: Der Leitfaden für die Entwicklung von IT-Systemen wurde Ende der 80er Jahre vom damaligen IBM-Mitarbeiter John Zachman entwickelt. Weiterführende Informationen liefert das Zachman Institute for Framework Advancement (www.zifa.com).

Die Hauptschwierigkeiten des Architektur-Managements liegen darin, eine darauf zugeschnittene Organisationsform zu etablieren und zu institutionalisieren. Zunächst galt es, in der niedersächsischen Landesverwaltung überhaupt ein Problembewusstsein zu wecken. Interoperabilität, Datenqualität und Austauschbarkeit sind für die meisten Verwaltungen keine Werte an sich. Für sie ist der Kauf oder die Entwicklung einer Software vergleichbar mit dem Bau einer Brücke: Nach dem Ende des Projekts wird beispielsweise kaum ein Gedanke an die Wartung verschwendet. Software wird nicht geplant und übergreifend eingesetzt, sondern punktuell und vorwiegend nach Kostenaspekten beschafft.

Ministerien sind deshalb auf der IT-Seite meist in Form von Silos aufgebaut. Sie warten nur mit wenigen übergreifenden IT-Strukturen und -Steuerungsmechanismen auf. Synergien und Integrationsmöglichkeiten lassen zu wünschen übrig.

Der Startschuss für die Veränderung fiel am 19. April 2005. Damals fasste die Landesregierung einen Kabinettsbeschluss zur Modernisierung der IT in der niedersächsischen Verwaltung. Das Gesamtprojekt zielt auf die Institutionalisierung sowie die Mess- und Nachverfolgbarkeit von Architektur- und Strategieentscheidungen, um die IT auf Dauer homogener und effizienter zu gestalten. Die Ziele waren:

  • bessere Serviceorientierung der Verwaltung,

  • Förderung von Innovationen,

  • Sicherung der staatlichen Handlungsfähigkeit,

  • leichtere Integration der Verwaltungsebenen und

  • verstärkte Nutzung von Synergiepotentialen.

Im Januar 2006 schuf die niedersächsische Landesregierung die Stelle eines "IT-Bevollmächtigten der Landesregierung", also quasi eines Landes-CIO. Damit machte sie einen wichtigen Schritt zur organisatorischen Einbettung der IT im Land. Innerhalb der CIO-Organisation wurden der Bereich Architektur-Management aufgebaut und ein IT-Chefarchitekt etabliert. Für eine öffentliche Verwaltung ist das ein Novum.

Der Chefarchitekt ist aktiv in das Projekt- und Applikationsportfolio-Management eingebunden. Er berichtet direkt an den CIO sowie einen IT-Steuerungskreis und leitet verantwortlich zwei Arbeitskreise: Der Facharchitektur-Arbeitskreis befasst sich mit der Weiterentwicklung und Homogenisierung von Verwaltungs- und Datenarchitekturen sowie Anwendungsdomänen. Der technische Architekturarbeitskreis tut dasselbe mit den technischen Architekturen in der Landesverwaltung.

Die Ressorts sollten Stellen an den CIO-Bereich abgeben

Das Vorhaben musste - da es vor der Landtagswahl im Februar 2008 beginnen sollte - "stellenneutral" gestaltet werden. Die Ressorts sollten also Stellen an den CIO-Bereich abgeben. Die waren selbstverständlich alles andere als begeistert.

Ködern ließen sich schließlich diejenigen Ressorts, in denen es einen Integrationsbedarf zu anderen Ländern beziehungsweise zum Bund oder der Europäischen Gemeinschaft gibt: Den Ressorts Finanzen, Inneres (Polizei) und Wirtschaft ließen sich die Vorteile des Projekts leichter vermitteln als den anderen Bereichen. Die Staatskanzlei erkannte, dass das Vorhaben ein gewisses publikumswirksames Potenzial barg, und kooperierte ebenfalls.

Projektsteckbrief

Projektart: Organisationsveränderung, Change-Management, Einführung eines Architektur-Managements.

Branche: öffentlicher Dienst, Landesverwaltung.

Zeitrahmen: von April 2007 bis Ende 2010.

Ziel: Institutionalisierung des Architektur-Managements und Verankerung in der Organisation.

Stand heute: Die erste Phase, Etablierung der Gremien und Rollen, ist beendet.

Aufwand: extern 50 000 Mannjahre, intern zirka ein Mannjahr.

Dienstleister: Plenum Management Consulting, Wiesbaden.

Herausforderungen: hohes Beharrungsvermögen in Verwaltungen und Kameralistik.

Nächster Schritt: Aufbau der Bebauungspläne, Formulierung der IT- und Architekturstrategie.

Der Bebauungsplan ist seit April in Arbeit

Das Projekt-Kickoff fand am 1. April 2007 statt, die vollständige Einführung ist für 2010 geplant. Anfang April ist die zweite Phase des Projekts angelaufen. Sie beschäftigt sich mit den Bebauungsplänen für die Enterprise-Architektur. Die Vorgehensweise orientiert sich am Togaf-Entwurf (siehe Glossar). Für die Analyse wird das Zachman-Framework verwendet.

ei einem solchen Vorhaben ist das Thema Change-Management von essenzieller Bedeutung. Problematisch waren die "Hidden Agendas": Furcht vor Kontrolle, Angst vor Machtverlust, Gefühl der Degradierung etc. Ein frühes aktives Marketing und ein permanenter Dialog mit den Ressortbeauftragten hätte vieles einfacher gemacht. (qua)