Nie mehr bewerben

15.02.2008
Die E-Mail-Bewerbung hat ausgedient. Die Zukunft gehört dem Zentrallebenslauf, der gekauften Empfehlung und der Guerilla-Selbstdarstellung.

Buchtipp

Die Karriereberaterin Svenja Hofert ist seit vielen Jahren auf IT und Medien spezialisiert. Sie hat 18 Bücher für Freiberufler und Angestellte geschrieben, unter anderem 1998 das erste Buch zur Internet-Bewerbung überhaupt - in neuer Auflage immer noch erhältlich.

Ihr im März 2008 bei Eichborn erschienener Ratgeber "Jobsuche und Bewerbung im Web 2.0" (ISBN: 3821859512, 9,80 Euro) ist ebenfalls das erste Buch zu diesem Thema. Es enthält viele Tipps und konkrete Anleitungen für alle, die latent oder offen auf Jobsuche sind - oder mit Hilfe des Internets etwas für ihre Karriere tun möchten.

Karrieresprungbrett Web 2.0

Entscheiden Sie sich für eine sinnvolle Kommunikationsstrategie in Foren und Blogs: Wer wollen und sollen Sie sein im Netz, damit Sie interessante Arbeit- und Auftraggeber jetzt und in Zukunft finden? Formulieren Sie ein Kommunikationsziel für sich selbst.

Prüfen Sie jeden Eintrag, den Sie vornehmen wollen, ob er diesem Ziel dienlich ist.

Online-Netzwerken ist gut, funktioniert aber nur mit Höflichkeitsregeln und Gedanken an das Gegenüber sowie innerhalb bestimmter Hierarchien. Eine Person, mit der Sie Kontakt aufnehmen, interessiert nicht, was Sie wollen, sondern was sie von Ihnen hat.

Optimieren Sie Ihr Profil bei Xing und/oder Linked-In. Daten müssen nicht unbedingt vollständig sein, wichtig sind die Fakten.

Vernachlässigen Sie auch die Fotos nicht. Gerade IT-Experten verwenden oft Bilder, die wenig präsentabel sind.

Wenn Sie aktiv suchen, signalisieren Sie es bei Xing. Die meisten Unternehmen tippen "neue Herausforderung + SKILL" oder "verfügbar + SKILL" (bei Freelancern).

Nutzen Sie Reputationsplattformen wie Myonid.de, um das eigene Profil "sauber" zu halten

Checken Sie Ihre Einträge bei Google, Spock.com etc. - dann wissen Sie wenigstens, worauf Sie angesprochen werden könnten. Versuchen Sie, unvorteilhafte Einträge löschen zu lassen.

Arbeitgeber im Web 2.0

Noch recht unbeholfen versuchen Unternehmen dorthin zu ziehen, wo die von ihnen umschwärmten Topkandidaten längst sind: ins Web 2.0. Beim Hamburger Unternehmen Tchibo wandern die videoprojizierte Personalchefin und Mitarbeiter durch das virtuelle Gebäude - und sind in diesem "Realistic Job Preview" doch nicht viel mehr als eine bewegte Image-Broschüre.

Auf die Kraft des Hörens setzt Siemens: Das Unternehmen pflegt seit einigen Monaten seinen Karriere-Podcast, eine On-Demand-Radiosendung mit jener Art einfacher Bewerbungstipps, die man früher auf die Web-Seite geschrieben hat. Doch waren Radiobeiträge mit einer Dauer von mehr als 90 Sekunden nicht schon seit jeher etwas für Intellektuelle? Wenn ein Podcast daran etwas ändern sollte, dann müsste der Sendeinhalt schon spezieller sein. Ähnliches gilt für die zahlreichen Versuche des Corporate Bloggings.

100 Tage im Amt war kürzlich der Daimler-Blog: Dort dürfen sich wohldosiert und gut beobachtet von der Kommunikationsabteilung auch Praktikanten zu Wort melden. Urteil der Bloggerszene: nur begrenzt interessant.

Wer etwas kann, ist im Web in Erscheinung getreten", so Felix Petersen, Gründer der Berliner Web-2.0-Plattform Plazes.com. Wer in Erscheinung tritt, tut dies am besten mit Kompetenzbeweisen in einschlägigen Foren - und nicht etwa wodka-trinkend und leicht bekleidet bei StudiVZ. Womit die beiden Gegenpole des Web 2.0 auch schon aufgezeigt wären: Der Nutzwert aus Karrieresicht liegt vor allem darin begründet, dass kompetente Zeitgenossen sich nicht mehr bewerben müssen, sondern von den Unternehmen angesprochen werden. Die Gefahr lauert dort, wo vergessen wird, dass das Internet, wo echte Namen verwendet werden, niemals privat ist und Ausrutscher nicht vergisst.

Sechs Trends zeichnen sich rund um die neuen Formen der Bewerbung im Web 2.0 ab.

Finden lassen

Gerhard Pfeiffer, Inhaber der Zeitarbeitsfirma SZA mbH für technisches Personal in Hamburg, hat seine Assistentin über Xing gefunden. "Dazu habe ich die Stichwörter neue Herausforderung und Hamburg eingegeben", sagt er. Als Ergebnis erhielt er eine lange Liste. Entscheidend für seine Wahl war dann die Präsentation der Erfahrungen und Qualifikationen. Auch CNC-Dreher oder Lotus-Programmierer sucht Pfeiffer online. "Doch leider sind die nichtakademischen Kräfte auf diesem Weg noch nicht so gut zu finden."

Warum Anzeigen schalten, wenn es auch ohne geht? Gerade die kleineren Unternehmen setzen immer mehr auf das Netz. Hier akquiriert der Chef sein Personal noch selbst: "Wenn wir in den Foren einen guten Entwickler treffen, sprechen wir ihn direkt an", sagt Björn Schotte von der Nürnberger Mayflower GmbH.

"Wer latent auf Jobsuche ist, sollte überprüfen, ob sich ein Engagement im Netz lohnt, und wenn ja, auf welchen Web-Seiten", empfiehlt Buchautorin und Karriereberaterin Svenja Hofert. Generell gelte: Weniger ist mehr. Entwickler und andere ITler, die sich auf Plattformen oder in Blogs mit guten Fachbeiträgen einbrächten, müssten dies auf Dauer tun - und parallel über eine sinnvolle Selbstpräsentation nachdenken. Das Nachdenken beginnt dabei mit der Frage, wer einen finden soll und unter welchem Stichwort.

Darstellen

Vor dem Finden kommt das Darstellen. Wie schlecht es damit bestellt ist, zeigt ein Rundgang bei Xing. "Wirklich genutzt wird dieses Portal nur von einem winzigen Bruchteil der Teilnehmer", so die Erfahrung der Hamburger Karriereberaterin. Halbausgefüllte Profile seien gerade bei ITlern die Regel. Kaum einer veröffentliche etwa seine Projektliste oder präsentiere übersichtlich seine Fähigkeiten. Das aber wäre gut (und passt nebenbei auch auf die Seite "Über mich", die ebenfalls von der Xing-Suchmaschine indiziert wird). Empfehlenswert wäre auch ein Hinweis zur Verfügbarkeit bei Projektmitarbeitern beziehungsweise auf aktive Suche bei (ehemaligen) Angestellten.

Empfehlen

Kompetente Mitarbeiter haben auch ein Netzwerk aus vergleichbar kompetenten Personen - diese Regel ist in den USA längst bekannt. "In Deutschland steckt Empfehlungs-Marketing noch in der Versuchsphase", so Hofert. Aber gerade für Mittelständler, die mit Konzernen um qualifiziertes Personal buhlen, sei das Nutzen dieses webzweinulligen Tools eine Riesenchance. Ganz amerikanisch zahlt Mayflower jedem Mitarbeiter, der einen neuen Kollegen für das Team gewinnt, eine Prämie. Andere Unternehmen sind davon überzeugt, dass Empfehlungs-Marketing keine finanzielle Stütze braucht. "Das Wichtigste beim Empfehlungs-Management im Recruiting ist, dass Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die gerne und mit Stolz im Unternehmen arbeiten. Dann kommen Empfehlungen ganz von allein", sagt Siegfried Lautenbacher vom IT-Dienstleister Beck et al. Services GmbH in München. Dass das Empfehlungs-Marketing auch online abgebildet werden kann, beweisen neue Jobbörsen wie Jobleads.de - Mitglied wird nur, wer von einem Bekannten empfohlen worden ist.

Zentraler Lebenslauf

Schon wieder die gleichen Informationen und Daten eintippen! Es gibt nichts, was Bewerber mehr ärgert als die Online-Formulare der großen Unternehmen, die die E-Mail- und Postbewerbung aus Effizienzgründen bereits abgeschafft haben oder dies demnächst tun werden.

Das Problem ist erkannt: "Wir wollen den Zustand wiederherstellen, den es früher bei den Lebensläufen schon gab: einmal erstellen und für jede Bewerbung nur minimal ändern müssen", sagt Ingolf Teetz, CTO der Milch und Zucker AG und Initiator des German-Standard-CV-Projekts (www.german-standard-cv.de), das die Homepage unlängst freigeschaltet hat.

Ziel ist es, per XML Daten aus Bewerberlebensläufen für unterschiedliche Unternehmen verfügbar zu machen. Wie ein Zentralarchiv für Lebensläufe auch in Deutschland bald aussehen könnte, lässt sich in Großbritannien betrachten. Das dortige Iprofile hat zwei Millionen Profile gesammelt und damit einen Großteil der sich aktiv oder latent bewerbenden Bevölkerung erfasst. Xing hat derzeit rund fünf Millionen Mitglieder, davon 350 000 Premium-Mitglieder. Wie lange wird es dauern, bis Xing in den Markt eintritt und Profile verfügbar macht? Technisch jedenfalls wäre das kein Problem - erst recht nicht, wenn sich die neuen Microformats durchsetzen, auf die etwa schon Linked-In.com setzt, der große internationale Xing-Konkurrent mit mehr als 7,5 Millionen Resumes.

Bewerten

Bewerber werden sichtbar, Unternehmen öffentlich - auch wenn die Großen gern vermeiden, zu viele Interna preiszugeben. "Dabei ist es vielen Bewerbern ein wichtiges Anliegen, mehr als Marketing über ihren künftigen Arbeitgeber zu erfahren", weiß Hofert. Arbeitgeberbewertungsportale wie Kununu.com bringen es dann auch ans Licht: Wie ist es intern wirklich? Darf ich beispielsweise meinen Hund mitnehmen? Schmeckt es in der Kantine? Wie ist der Chef? Je mehr Bewertungen zu einem Unternehmen es gibt, desto interessanter das Bild. Die Struktur von Kununu beruht auf dem EFQM-Modell der European Foundation for Quality, die die ganzheitliche Betrachtung von Unternehmen anstrebt und Bestandteil von Qualitätsprüfungen ist. Kategorien wie "Hund" und "Kantine" hat Mark Poreda, Betreiber des Portals, hinzugefügt, "weil das einfach wahnsinnig viele Bewerber interessiert".

In die Falle gehen

"Löschen Sie meinen Eintrag, mein Chef hat mich entdeckt" - solche Bitten erhalten Moderatoren täglich. Dabei sollte sich jeder, der sich ins Internet begibt, klar darüber sein, dass alles, was er schreibt, ankreuzt oder einstellt, nachgelesen werden kann. Und dass auch nachgelesen wird: "Ich wundere mich, dass die Bewerber diese Form des Selbst-Marketings noch zu wenig anwenden", so Lautenbacher von Beck et al. Services, der sich vor dem Gespräch immer online über Bewerber informiert. Dabei gibt es mit "My Onid" im deutschsprachigen Raum und "Naymz" im internationalen Umfeld interessante Reputations-Management-Plattformen. Hier kann der Bewerber selbst entscheiden, was von ihm sichtbar wird.