In Deutschland muss Oracle auch mit Drittanbieterprodukten zurechtkommen

"Nicht mehr alles mit Standardsoftware abdecken"

25.01.2002
Mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung bei der Oracle Deutschland GmbH Rolf Schwirz sprach CW-Redakteur Christoph Witte.

CW: Oracle Deutschland strukturiert den Vertrieb um. Sie scheinen die Quadratur des Kreises zu versuchen: Auf der einen Seite wollen sie die wichtigsten Kunden verstärkt selbst betreuen, auf der anderen Seite die Partner mehr ins Boot holen. Wie soll das funktionieren?

Schwirz: Zunächst haben wir die Anzahl der direkt betreuten Accounts auf 300 reduziert. Damit möchten wir verschiedene Dinge erreichen: Zum einen wollen wir zu unseren größten Kunden eine kontinuierliche Beziehung aufbauen - quasi an deren Entwicklung partizipieren. Dadurch kann - wenn beide Seiten miteinander zufrieden sind - ein geglätteter und kontinuierlicher Umsatzstrom entstehen. Um auch die anderen Kunden gut zu betreuen, haben wir ein vierkanaliges Vertriebssystem etabliert: den klassischen Direktvertrieb, die Partner, die Tele-Sales-Gruppe und unseren Webstore, den wir in zirka sechs Monaten laufen haben werden.

CW: Hat die Umstellung des Vertriebs auch mit dem Versuch zu tun, das Nicht-Datenbankgeschäft zu stärken?

Schwirz: Das ist natürlich unser Ziel. Nach wie vor ist die Datenbank unser wichtigstes Produkt. Das sieht man schon an den enormen Aufwänden für das neue Release 9i. Aber - und das habe ich in vielen Gesprächen mit IT- und Business-Managern immer wieder gehört - viele Großanwender wollen das alte Spiel "Ein Euro für die Software und fünf Euro für Beratung" nicht mehr mitspielen. Sie möchten Standardsoftware möglichst ohne Änderungen einsetzen. Das bedeutet, es wird nur noch ein Setup vorgenommen, aber kein Customizing mehr, das bekanntlich im Falle von Release-Wechseln zu Problemen führt.

CW: Warum haben die Kunden das gemacht, wenn es auch anders geht?

Schwirz: Viele Kunden haben als Vermögenswerte intellektuelles Kapital. Nehmen Sie als Beispiel den Otto Versand. Dessen Kapital steckt in der Fähigkeit, Dinge schnell auszuliefern und Retouren fix zu bearbeiten. In der gesamten Logistik ist der OttoVersand einer der Klassenbesten. Und es gibt andere Firmen, die versucht haben, diese Fähigkeiten in Standardsoftware zu übersetzen. Somit wurde die Beratung fünfmal so teuer wie die Software. Wenn die Firmen jetzt aber Standardsoftware unverändert einsetzen, was passiert dann mit diesem wettbewerbsrelevanten Wissen in einzelnen Bereichen, in denen sie vielleicht besser sind als ihre Konkurrenten? Sie werden diese Dinge über Individualkomponenten abbilden. Natürlich wird man anders als früher dabei auf Standards achten und neue Technologien einsetzen, aber die Anwender werden nicht mehr versuchen, alles nur mit Standardsoftware abzudecken.

CW: Oracle-Chef Lawrence Ellison hat den Anspruch "alles aus einer Hand" ja bereits vor zwei Jahren formuliert.

Schwirz: Natürlich muss eine E-Business-Suite 11i nicht alles können. Insbesondere in Deutschland gehen wir ein bisschen anders vor. Kunden brauchen in vielen Fällen sowohl Standardsoftware als auch Individualkomponenten. Deren Basis ist jeweils eine Datenbank, und um diese zu verbinden, haben wir unseren Applikations-Server Oracle 9iAS. Das hat oberste Priorität. Wir wollen, dass jeder unserer Datenbankkunden den 9iAS einsetzt, in dem Funktionen wie Portalsoftware und ein leistungsfähiger Web-Cache enthalten sind, sowie Standards wie J2EE. Ich glaube, dass wir mit unserem Applikations-Server schnell einen hohen Marktanteil erreichen werden. Dass man so etwas braucht, auch um Standard- und Individualsoftware miteinander integrieren zu können, ist beileibe nicht nur meine persönliche Meinung. Schließlich hat auch Deutschlands größter Softwareexperte Hasso Plattner gesagt, jetzt hören wir mit Abap 4 auf und wenden uns auch mal J2EE zu. Ich kenne natürlich sein Motiv nicht genau, aber vielleicht ist es ja eine ähnliche Überlegung, die ihn dazu gebracht hat.

In Deutschland gibt es natürlich noch den riesigen Marktanteil vonR/3-Implementierungen. Das müssen wir akzeptieren. Das habe ich auch unseren Leuten gesagt. Wir haben nicht nur die Pflicht, Investitionen der Kunden in unsere Produkte, sondern auch in Fremdsoftware zu schützen. Deshalb führt unser Weg in Deutschland über 9i, den Applikations-Server und dann vielleicht über Teile unserer E-Business-Suite wie CRM, die durchaus auch auf ERP-Installationen anderer Hersteller aufsetzen können.

CW: Natürlich stammen die für die Individualprogrammierung notwendigen Tools von Oracle?

Schwirz: Möglichst ja. Aber sie richten sich an international gültigen Standards aus, und der Kunde bekommt mit den Datenbank-Tools beispielsweise auch eine starke Enterprise-Integration-Komponente.

CW: Wenn Sie in Deutschland die E-Business-Suite nicht als den Königsweg vermarkten und den Kunden eher über die Datenbank und einzelne Komponenten aus dem Anwendungsangebot angehen, verlassen Sie da nicht die offizielle Oracle-Linie?

Schwirz: Ich bin für Oracle Deutschland verantwortlich. Für den Erfolg sind für mich vor allem zwei Dinge wichtig: Kundenzufriedenheit auf der einen und Mitarbeiterzufriedenheit auf der anderen Seite. In Amerika sieht der Markt einfach anders aus. Dort schreibt ein Manager eine bereits getätigte Investition auch schon mal ab. Die Deutschen sind konservativer und treffen Entscheidungen behutsamer. Ich stelle mich nur auf die hiesigen Verhältnisse ein. Natürlich weiß Larry Ellison genau, was wir hier tun.

CW: Läutet Ihre Politik auch einen Strategiewechsel weltweit ein?

Schwirz: Das nicht, aber der Kunde wird überall sehr viel einfacher aus einem Baukasten heraus seine Software nach seinen Bedürfnissen bauen oder zusammensetzen können. Wir werden flexibler sein als bisher.

CW: Um noch einmal auf das Verhältnis eins zu fünf zurückzukommen. Viele Ihrer Mitbewerber sind ja sehr erpicht auf Beratungsumsatz. Sie nicht?

Schwirz: Wir sind eindeutig in der entgegengesetzten Richtung unterwegs.

CW: Das heißt, Oracle bemüht sich, den Beratungsbedarf zu reduzieren?

Schwirz: Wir haben da eine klare Strategie. Früher hat unser Beratungsgeschäft die gesamte Wertschöpfungskette abgedeckt von Management-Beratung über Process Reengineering bis hin zu Integrationsprojekten. Wir haben das Beratungsportfolio um unsere Produkte gruppiert. Wir wollen ein Consulting bieten, das die besten Spezialisten für unsere Produkte beinhaltet. Außerdem haben wir die Beratungsmannschaft in Deutschland von 900 auf rund 700 reduziert, bauen den Anteil des Consultings am Gesamtumsatz deutlich ab. Wir möchten hier auch unseren Partnern beweisen, dass wir nicht diejenigen sein werden, die ihnen Projekte wie die Integration unseres CRM-Moduls in R/3 streitig machen wollen.

CW: Andere IT-Hersteller versuchen dagegen, früher in die Wertschöpfungskette des Kunden einzusteigen und ihn schon auf Management-Ebene zugunsten einer bestimmen Plattform zu beeinflussen. Sie sehen darin keinen Weg?

Schwirz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise ein Hardwareanbieter als Management-Berater ernst genommen wird. Es fehlt die Neutralität. Außerdem glaube ich, dass es den Anbietern eher darum geht, ihren Gesamtumsatz zu erhöhen, als wirklich neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Also kurz: Das ist Geschäft auf Kosten der bisherigen Partner. Ich glaube dagegen, dass es unsere Aufgabe ist, die von uns gelieferte Technologie in jedem Detail und jeder Facette zu beherrschen. Außerdem gilt es, unsere Partner von den Vorteilen unserer Software zu überzeugen und auch so Einfluss auf die Entscheidungen des Kunden zu nehmen. Das heißt aber nicht, dass wir erst an den Diskussionen beim Kunden teilnehmen, wenn die Berater ihre Vorschläge gemacht haben. Damit sich die Account-Manager intensiv um die großen Kunden kümmern können, haben wir schließlich das Verhältnis von Kunde und Vertriebsbeauftragtem entsprechend verändert.

CW: Aber wenn Sie den Beratungsbedarf reduzieren, dann nehmen Sie Ihren Partnern doch auch Geschäft?

Schwirz: Das ist eine allgemeine Marktentwicklung, gegen die wir uns nicht stemmen können. Wenn aber die Individualsoftware eine Renaissance erlebt, dann gibt es für Systemhäuser und Integratoren jede Menge zu tun.