New Public Management: Dem Moloch zu Leibe ruecken

03.02.1995

Die Kommunen sind nicht gerade Pioniere, wenn es um den Einsatz moderner DV-Systeme geht. Nicht selten werkeln immer noch betagte Grossrechner in den oeffentlichen Aemtern. Auch das Aufruesten der alten Riesen mit zusaetzlicher Peripherie schafft kaum Gewinn. Den richtigen Weg scheint man im saechsichen Staedtchen Coswig gefunden zu haben. Das "New Public Management", ein bereits international erbrobtes System, bringt dort frischen Wind in das bisher praktizierte Verwaltungsprozedere.

Unweit Dresdens, dort, wo die saechsische Weinstrasse ihren Anfang nimmt, liegt Coswig. Rund 25 000 Einwohner zaehlt der Ort, der 1497 das erste Mal urkundlich erwaehnt, jedoch erst 1939 eine Stadt wurde. Die Wende hat der Region ein veraendertes Gesicht verpasst: Von ehemaliger Gartenstadt und Industrie - das Getriebewerk mit frueher ueber 900 Beschaeftigten hat noch Arbeit fuer knapp 130 Personen - kann zwar kaum die Rede sein, sagen die Einwohner, doch das mittelstaendische Handwerk und Gewerbe scheinen sich im Kreis wieder zu etablieren. Ein Grund mehr, so die Stadtvaeter, auch der Verwaltung neuen Atem einzublasen.

Begonnen hatte es 1990 mit einem 286er-IBM-PC - einem Geschenk der Partnerstadt Ravensburg. Dem Geraet folgten No-Name-Produkte verschiedener Anbieter. Fuer den Aufbau eines modernen Verwaltungssystems schien das DV-Sammelsurium jedoch ungeeignet. Laut Klaus Berg, Projektchef fuer Telekommunikation und Netzwerke im Rat, zeigten sich bald "die ersten funktionellen Schwaechen". Die maengelbeladene Hard- und Software aufzuruesten erschien den Informatikern der Stadtverwaltung wenig sinnvoll. Angebote, die man dann von IBM und Siemens erhielt, haetten jedoch nur "veraltete Technik zu hohen Preisen" bedeutet. Auch die Firmen Bull und Schleuppen konnten zur damaligen Zeit "fuer unsere Forderungen keinen Industriestandard anbieten", erinnert sich der DV-Mann.

Bei Compaq scheinen die Coswiger dann das Richtige gefunden zu haben. Gemeinsam mit dem Hardware-Anbieter Dr. Rattaey Computersystem GmbH, Cottbus, der "uneigennuetzig Leistungen fuer das neue Stadtnetz angeboten" haben soll, sowie den Dresdner Softwarefirmen Atlas Datensysteme GmbH und SQL GmbH wurde das Projekt "Komplexe technikgestuetzte Informationsverarbeitung fuer Kleinstaedte" begonnen.

Bernhard Malsch, Amtsleiter in der Stadtverwaltung, nennt ein grundsaetzliches Problem der IT-Erneuerung: "Coswig hat wie all die anderen 24 Kleinstaedte in Sachsen seine Probleme mit dem Einsatz der Rechentechnik. Die Ausbesserung von Strassen und Plaetzen wird oft als wichtiger angesehen als die Vernetzung der Aemter mit Computern." Ausgaben fuer DV wuerden meist misstrauisch beaeugt, weil deren Effekt nicht sofort sichtbar sei.

Dabei waere hier die Chance fuer eine moderne Verwaltungsstruktur, die "eine neue Qualitaet in das gesellschaftliche System der Bundesrepublik bringt". Ohne neue Methoden - sprich: Steuerungsmodelle -, so der ehemalige Robotroner, bleibe das jedoch nur ein Wunschtraum.

Praktiziert wird das neue Verwaltungs-Management bereits weltweit. Neben Staedten in Neuseeland und den USA haben im letzten Jahr auch Heidelberg und Saarbruecken Qualitaetssiegel fuer das "New Public Management" erhalten. Somit ist ein gangbarer Weg vorgezeichnet: das Rathaus als Profit-Center. Malsch ist davon ueberzeugt. Schliesslich sei die Verwaltung der Staedte und Gemeinden "ein reiner Service". Kuenftig haetten die Kommunen ihre Output- Leistungen nachzuweisen und jedes Amt die Verteilung seiner Mittel selbst zu verantworten.

Der dadurch erzeugte Antrieb koennte in die Beamtenstuben mehr Elan fuer kurzfristige Entscheidungen bringen, hofft man nicht nur in Sachsen. Unter der Devise "Die Daten sollen laufen, nicht die Buerger", baut man derzeit in Coswig an einem stadtweiten Kommunikationsnetz.

Das MAN - angeschlossen sind bisher ueber ein FDDI-Backbone fuenf Compaq-Server mit einer Gesamtkapazitaet von sieben GB, etwa 160 PCs nebst Druckern - verbindet unter anderem die Stadtwerke, Sparkassen sowie die staedtische Feuerwehr mit der DV-Anlage im Rathaus. Um Kosten zu sparen, finanzierte die Stadt die Verkabelung des Netzes selbst: Fuer die Leitungen nutzte man einfach die Baugraeben anderer Projekte mit. Die Methode soll die Aufwendungen um 50 Prozent minimiert haben.

In der naechsten Ausbaustufe sollen auch die Kindergaerten, Schulen und Klubhaeuser via ISDN an das oeffentliche Verwaltungssystem angeschlossen werden. Die Stadtvaeter - Buergermeister Michael Reichenbach und sein Vertreter Bernhard Kroemer kommen aus Hard- und Softwareschmieden der DDR - denken bereits an Netzkopplungen via ATM, um die Daten auch fuer den geplanten City-Funk nutzen zu koennen.

An der neuen IT des Elbestaedtchens partizipieren alle oeffentlichen Institutionen im Ort: angefangen von der Polizei ueber die Stadtbibliothek bis hin zum Schul-, Bau- und Wohnungsamt. Neben diesen Anwendungen sei auch die Digitalisierung der Stadtkarte eine "echte Client-Server-Anwendung" und nicht das Herbeten eines zur Zeit aktuellen Schlagwortes, erklaert Dieter Burckhardt, Sachgebietsleiter fuer Informatik. Damit wuerden drei Ebenen miteinander verbunden: Das regionale Rechenzentrum - bei der Alldata GmbH in Dresden, dem frueheren DVZ, lassen die Coswiger Loehne-, Gehaelter und Wohngeld berechnen (Dialog ueber Standleitung), die Stadtrechner mit ihren Programmen (fuenf Server mit Datenbank) sowie die Arbeitsplatz-PCs (lokal installierte Software-Tools mit Zugriff auf die Server).

Den Datenverkehr zwischen den Stationen und den Basismaschinen habe man auf das Wichtigste reduziert. Somit entfalle auch das zeitraubende Hin- und Herschaufeln grosser Datenmengen. Ein fuer den Anwender unnoetiger Akt, ist man im Rat ueberzeugt. Schliesslich erwarte der Bearbeiter von der Dienermaschine nur Antworten, um seine Aufgaben zu erfuellen, und "will nicht mit einer Informationsflut zugedeckt werden", weiss Informatiker Burckhardt, der mit seinem fuenfkoepfigen DV-Team das Rechnersystem der Stadt managt. In das "Kommunale Informationssystem Coswig" (Kisco) wurden bisher etwa 1,6 Millionen Mark investiert. Die laufenden Kosten betragen pro Jahr etwa 640 000 Mark. Laut Malsch erhofft man sich kuenftig eine Effektivitaetssteigerung pro Arbeitsplatz von zwanzig Prozent. Realisiert sind bisher acht Prozent.

Den groessten Sprung erwarten die Sachsen jedoch von einer breiten Anwendung der geografischen Loesungen, dem Ausbau der Sybase- Datenbank sowie der elektronischen Vorgangsbearbeitung; das kuenftige Workflow-System soll unter Lotus Notes laufen. Fuer diese Aufgaben seien zwar erst Pilotvarianten im Test, doch koennten sich die ersten Ergebnisse sehen lassen, ist der Amtschef stolz. Trotz aller Erfolge: Die kleinen Staedte stehen unter Erfolgszwang. Meist sind die Kassen leer, und von grosser Steuereinnahme kann kaum die Rede sein, wenn Industrie sowie finanzkraeftige Investoren fehlen. Somit druecken auch Sorgen staerker.

Den Coswiger DVern fehlt es unter anderem an Tools fuer die prophylaktische Sicherung ihres Stadtnetzes. Daneben ueberfordere die komplexe Anwendung derzeit die Nutzer. Diese haetten nicht nur mit den veraenderten Strukturen klarzukommen, sondern auch Umschulungsbaenke zu druecken, heisst es. Etwa 80 Prozent der Beschaeftigten in der saechsischen Kommune seien derzeit auf mehrtaegigen Lehrgaengen.

Zu langsam voran geht Malsch und seinem Team auch der Ausbau der Datenbank. Nur schleppend kaemen die Informationen von den staedtischen Einrichtungen. Man muesse schon tuechtig knueppeln, um "moderne Verfahren und Effizienz" in die bis dato schwerfaellige Verwaltung zu bringen.

Fuer den Bereich Haushaltskassenrechnungswesen arbeiten die Coswiger mit benachbarten Staedten und Gemeinden wie Altenberg, Meissen und Radeberg in einer Nutzergemeinschaft zusammen. Auf jaehrlichen Workshops tauscht man Erfahrungen aus und baut an neuen Projekten.

Fuer eine Behoerde scheint die thueringische Stadtverwaltung einen unueblichen Weg gegangen zu sein. In relativ kurzer Zeit hat sie ein DV-Konzept realisiert, das an so manchem groesseren Ort seinesgleichen sucht. Das Engagement fand Wuerdigung: Die Hochschule fuer Verwaltungswissenschaften in Speyer praemierte auf ihrem Qualitaetswettbewerb im Dezember 1994 auch die Coswiger fuer ihr Reformkonzept. Laut den Initiatoren des Preises sollen damit oeffentliche Aemter belohnt werden, die durch ihre "Ermutigung statt negativer Kritik" Anreize fuer eine moderne Organisation in den oeffentlichen Kommunen schaffen und damit das "Total Quality Management" in die Amtsstuben bringen.

Eine Idee, die wohl auch beim saechsischen Ministerpraesidenten Kurt Biedenkopf Anklang findet: Er stelle sich "hinter unsere Initiative", so Malsch, und wolle das Projekt unterstuetzen.

* Der Autor ist freier Journalist in Mespelbrunn.