Für den DV-Einsatz bei Klein- und Mittelbetrieben:

Neutrale Beratung wiegt mehr als die gute Show

12.04.1985

ESCHBORN - Computer ist nicht gleich Computer und Beratung nicht gleich Beratung: Leidvolle Erfahrungen von Anwendern durch EDV-Haie gehören zum täglichen Brot von Joachim Bullinger, Referent für Beratung bei dem Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) in Eschborn. Er prüft deshalb, wodurch sich Ratschläge für den Anwender qualifizieren.

In den letzten Jahren wurde der Trend erkennbar, daß System- und Softwarehäuser zunehmend als Unternehmensberater werben und teilweise auch firmieren. Ihre Dienstleistungen und den Verkauf von Hard- oder/und Software bezeichnen sie als Beratung.

Diese Form der Beratung soll nicht herabgewürdigt werden. Insbesondere die System- und Anwendungsberater sind im allgemeinen hochqualifizierte Spezialisten, deren Leistungen das Etikett "Beratung" durchaus verdienen können.

Aber der Anwender sollte beachten, daß diese Beratungsleistung in aller Regel auf bestimmte Hard- und Softwareprodukte eines oder weniger Anbieter bezogen ist. Für gewöhnlich beeinflussen auch handfeste Vertriebsinteressen die Beratungsinhalte nachhaltig.

Trotzdem kann es sinnvoll sein, solche produktbezogenen Beratungen in Anspruch zu nehmen. Aber erst, nachdem die grundsätzliche Systementscheidung konkretisiert und festgeschrieben worden ist.

Für die Beratung über einzusetzende Auswahlverfahren und die Auswahl selbst ist es allerdings besser, einen unabhängigen Fachmann zu Rate zu ziehen, ohne eigene Vertriebsinteressen, der auch nicht mit einem oder mehreren Anbietern liiert ist. Nur so kann sichergestellt werden, daß die Beratung ausschließlich und vollständig den Interessen des Beratungsnehmers dient und nicht denjenigen eines Hard- oder/ und Softwarevertreibers.

Solche neutralen Beratungen, die nachweislich durch keine wie auch immer geartete Interessenverflechtung mit dem Anbieter-Bereich in ihrer unabhängigen Beratungsqualität behindert werden, können in bestimmtem Umfang gefördert werden.

Die beiden wichtigsten Subventionsquellen sind in diesem Zusammenhang der sogenannte "Bundestopf" und der "RKW-Topf" .

Förderungskriterien des Bundestopfes sind in den "Richtlinien über die Förderung von Unternehmensberatungen für kleine und mittlere Unternehmen" ausgewiesen. Diese Richtlinien sind im Bundesanzeiger Nr. 236 vom 14. Dezember 1984 als zur Zeit gültigem Stand aufgeführt.

Antragsberechtigt sind bei allgemeinen Beratungen (hierunter fallen auch die EDV-Beratungen) rechtlich selbständige Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, die bestimmte Umsatzgrenzen nicht überschreiten. Diese Umsatzgrenzen variieren branchenspezifisch. Für industrielle und handwerkliche Betriebe betragen sie 9 Millionen Mark p.a. Je nach Art der Beratung sowie der Branche und Umsatzgröße des beratenden Betriebes können bis zu 60 Prozent der in Rechnung gestellten Beratungskosten bezuschußt werden. Für allgemeine Beratungen liegt der Maximalbetrag je Antragsteller bei 7500 Mark.

Für die einzelnen Wirtschaftsbereiche gibt es unterschiedliche Leitstellen. Sie sind in der Anlage 2 zu dem Bundesanzeiger ausgewiesen. Auskünfte erteilen die regionalen Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern.

Die Leitstellen prüfen die Anträge und Unterlagen und leiten sie mit dem Ergebnis der Prüfung an die Bewilligungsbehörde weiter.

Bewilligungsbehörde ist das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn.

Für Förderungen aus dem RKW-Topf wird fast täglich mit einer neuen Richtlinie gerechnet, die vermutlich die oben beschriebenen Gegebenheiten der Bundesrichtlinie angepaßt sein wird. Voraussichtlich wird allerdings die Umsatzobergrenze hier nicht 9 Millionen, sondern 30 Millionen Mark betragen.

Bei EDV-Beratungen bis 75 Prozent Zuschluß

Als Interrimslösung subventioniert das RKW noch nach seiner alten Richtlinie. Hier sind bei allgemeinen (also auch EDV-) Beratungen je nach Umsatzgröße und Branche bis zu 75 Prozent eines zuschußfähigen Tagewerksatzes (Manntages) von 520 Mark zuschußfähig. Das Beratungshonorar beträgt im subventionierten Bereich 640 Mark täglich, so daß bei einer Förderung von beispielsweise 75 Prozent noch 250 Mark je Tagewerk vom Beratungsunternehmen zu tragen wäre - als Rechenexempel: 520 x 3/4 = 390; 640 - 390 = 250. Maximal können bis zu 30 Manntage bezuschußt werden.

Auskünfte erteilen die einzelnen RKW-Landesgruppen oder die RKW-Zentrale in 6236 Eschborn.

Was eine neutrale Beratung leisten kann, reicht in verschiedene Teilbereiche hinein.

Der umfassendste Bereich wäre eine Rahmenkonzeption für ein integriertes Informationssystem zu entwickeln und Hilfestellungen zur Umsetzung zu leisten. Natürlich können auch einzelne Segmente wie Fibu, Lohn, Text usw. Gegenstand einer unabhängigen Beratung sein.

Das Ziel ist in allen Fällen - ausgehend von der unternehmerischen Zielsetzung und den vorgefundenen Rahmenbedingungen - geeignete Problemlösungen aufzuzeigen und zu optimieren. Die so erarbeiteten Anforderungen an die einzusetzende Hard- und Software werden dann in einem Pflichtenheft festgehalten

Nach Maßgabe des Pflichtenheftes und den Ergebnissen einer Kosten-Nutzen-Studie wird eine konkrete Entscheidungshilfe möglich.

Teilweise werden auch heute noch "Ist-Aufnahmen" mit "Schwachstellen-Analysen" angeboten. Dieser konstruktivistisch-mechanistische Ansatz erlaubt nur eine vergangenheitsorientierte Korrektur der gemachten Fehler.

Moderne Unternehmensberatung ist zukunftsorientiert und bevorzugt evolutorisch-dynamische Ansätze.

Neben den Netzplänen zur Planung der Einführung und Umstellung verdient insbesondere der Bereich der "Standard-Demo" besondere Beachtung. Sie ist ein hochwirksames Hilfsmittel, mit dem RKW-Fachleute ausgezeichnete Erfahrungen gemacht haben:

I. Die erarbeiteten Anforderungen werden danach unterschieden, welche a) ohne Schwierigkeiten gelöst werden können oder b) voraussichtlich Probleme bereiten werden.

II. Die als problematisch eingestuften Kriterien werden nach Prioritäten geordnet.

III. Die als wichtig identifizierten Anforderungen werden in beispielhafte Aufgabenstellungen eingebunden.

IV. Die so entstandenen Aufgaben werden mit Bewertungspunkten versehen.

V. Die Aufgaben werden den Teilnehmern der Endauswahl als "Demo-Anforderung" (Standard-Demo) zur Verfügung gestellt.

VI. Gleichzeitig mit V. wird den Anbietern mitgeteilt, daß diese Aufgaben wichtige Kriterien für die Entscheidung liefern und daß deren Lösung im Rahmen eine "Demo" von allen Teilnehmern der Endauswahl vorgeführt werden soll.

VII. Denjenigen Teilnehmern, die daraufhin ihre Bereitschaft zur Durchführung der Standard-Demo bestätigt, wird die Vorgehensweise erklärt:

Nach der Demonstration jeder einzelnen Aufgabenlösung wird gemeinsam von Anbieter, Beratungsnehmer und Berater und einvernehmlich festgestellt, zu welchem Prozentsatz die Lösung gezeigt werden konnte. Es ist wichtig, daß diese Bewertung einvernehmlich erfolgt.

VIII. Nach Abschluß der Vorführungen werden die Prozent-Sätze in Relation zu den Bewertungspunkten gesetzt. Daraus wird eine Reihenfolge (Rangordnung) ermittelt.

IX. Das Realisierungsrisiko der nicht gesehenen Aufgabenteile wird geschätzt.

X. Die Ergebnisse aus IX werden auf die Skala aus VIII angewendet. Daraus folgt die Endwertung.

Die üblichen, nicht vom Anwenderstrukturierten Demos laufen fast regelmäßig darauf hinaus, daß die Anbieter meist überzeugend das präsentieren, was sie gut können. Falls darüber hinausgehende Fragen kommen, so kann man das natürlich auch sehr gut, nur ist es zufällig gerade nicht auf der Platte.

Das, was der eine Anbieter gut kann ist erstens nicht immer das, was der Anwender braucht und zweitens nur selten mit dem vergleichbar, was der andere Anbieter als "Alleinstellungsmerkmal" per Demo vertriebswirksam präsentiert. Solche Vorführungen erschweren eher den objektiven Vergleich, als das sie ihm nützen. Die Standard-Demo hingegen macht die einzelnen Angebote hinsichtlich des firmenindividuellen Lösungspotentials für die konkret gestellten und in unterschiedlichem Umfang gesehenen Aufgaben objektiv bewertbar und damit auch vergleichbar.

Als Anforderungen an einen geeigneten Unternehmensberater für Daten- und Textverarbeitung (Informationssysteme) sind persönliche Integrität und Neutralität, also keine Interessensverflechtung mit dem Anbieter-Bereich zu stellen, ebenso wie fachliche Kompetenz. Dazu zählen Markt und Branchenkenntnis, Motivationsübertragung so wie Gespür für Organisation und soziales Umfeld.

Der Berater leistet Hilfe zur Selbsthilfe, ermöglicht Akzeptanz durch Förderungsleitstellen und RKW und unterstützt mit detaillierten Berichten sowie Maßnahmenplänen. Er vermittelt und ermöglicht den Praxisbezug.

Der Markt in Hard- und Software für Kleincomputer wächst schnell und wird zunehmend undurchsichtiger, während die Anwendungsmöglichkeiten "explodieren". Die Bezeichnungen und termini technici werden nicht einheitlich verwendet, fördern dadurch Irrtümer und tragen zur allgemeinen Verunsicherung bei.

Potentielle Anwender aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft können sich in aller Regel allein aus eigener Kraft und Leistung keinen hinreichenden Durchblick verschaffen.

Weiter fehlen ihnen für gewöhnlich auch die Möglichkeiten, die divergierenden Angebote vergleichbar zu machen und unter Kosten/ Nutzen-Aspekten zu bewerten.

Die Lösung für diese Probleme lautet Hilfe zur Selbsthilfe durch einen externen und unabhängigen Fachmann oder Fachfrau.

Um nicht vom Regen unter die Traufe zu geraten, empfiehlt es sich, bei der Auswahl eines geeigneten Beraters die Clearing-Funktionen der zuständigen Institutionen in Anspruch zu nehmen.