Big Blue tritt gegen Storagetek an und vergrault Grau Automation

Neues Kassettenarchiv-System bindet Anwender fest an die IBM

29.05.1992

MAINZ (jm) - Nach mehreren vergeblichen Versuchen, mit roboterbedienten automatischen Kassettenarchiven am Markt zu reüssieren, hat die IBM mit dem aus vier Modellen bestehenden System "3495" nun eine Eigenentwicklung präsentiert. Außerdem baute Big Blue die Fähigkeiten sowohl der Magnetplatten-Steuereinheit "3990" als auch des Magnetplattenspeicher-Subsystems "9340" weiter aus. Das Angebot bei optischen Plattenarchiv-Systemen erweiterte die IBM ebenfalls um ein Modell.

Mit ihrem Archivsystem wagt Big Blue nun einen Alleingang unter anderem gegen Marktführer Storage Technology, nachdem man bislang mit der Grau Automation GmbH & Co. aus dem schwäbischen Böhmenkirch kooperierte.

Storagetek hatte - ganz im Stile der früheren IBM - noch vor Big Blues Speicherankündigung vorbeugend Erweiterungen der ACS-Bandkassetten-Produkte vorgestellt sowie drei neue Archivsysteme präsentiert (vgl. auch CW Nr. 21 vom 22. Mai 1992, Seite 4: "Storagetek gibt prophylaktisch...").

Vor allem die Storagetek-Systeme "Timberwolf" und "Wolfcreek" mit einer Kapazität von 500 beziehungsweise 1000 Kassetten möchten die US-Amerikaner aus Louisville im Bundesstaat Colorado im Segment der Midrange-Rechner plazieren. IBMs 3495-Roboterarchive hingegen sollen nach den Worten von Big-Blue-Manager Franz-Joachim Schubert im Großrechnerbereich plaziert werden. Hier haben sich jedoch schon Marktführer Storagetek seit 1987, Memorex Telex sowie Hitachi Data Systems breitgemacht.

Die Ankündigung der IBM torpediert indirekt auch einen Vertrag mit der Grau Automation GmbH. Im Zuge dieser Zusammenarbeit wird das "Abba"-System (Automatische Bandkassetten Bedienungsarchiv) von Grau mit einem Roboter der IBM ausgerüstet. Diese Kooperation gilt jedoch nur für das Abba/1-System. Das erste Archivsystem dieses Typs hatte im Sommer vergangenen Jahres bei der LVM-Versicherungsgruppe in Münster seine Arbeit aufgenommen. Ein Ende März 1992 von Grau vorgestelltes Nachfolgemodell, Abba/2, arbeitet hingegen mit einem neuen Robotertyp, den die Robert Bosch GmbH entwickelte und den diese als "Atlas"-System vertreibt. Bosch ist an Grau mit einem Minderheitsanteil beteiligt.

Wie ein Mitarbeiter der Grau Automation GmbH gegenüber der CW äußerte, ist die vertragliche Vereinbarung zwischen der IBM und den Schwaben zum 28. Februar 1992 ausgelaufen, im Januar dieses Jahres aber um weitere zwölf Monate verlängert worden.

Sowohl Abba/1- als auch Abba/2-Systeme werden laut einer Erklärung von Grau-Geschäftsführer Hartmut Reichert gemäß einer First-level-Wartungs-Vereinbarung von den Vertriebspartnern IBM, SNI, Hitachi und Tandem direkt beim Kunden gewartet, wozu auch die Ersatzteilversorgung gehören kann.

Pikant ist die IBM-Vorstellung eines eigenen Kassettenarchivs deshalb, weil Käufer der 3495-Systeme sich in eine Ehe mit Big Blue einlassen, aus der sie sich sowohl hardware- als auch softwarebezogen nicht mehr ohne weiteres lösen können.

Mit der Offenheit scheint es nun vorbei

Klaus-Dieter Lötz, Big-Blue-Geschäftsstellenleiter für Versicherungen und Großkunden, hatte anläßlich der Vorstellung des IBM-Grau-Gemeinschaftsproduktes Abba/1 bei der LVM in Münster noch herausgestrichen, daß dieses System insofern offen sei, als der Anwender mit Abba auch die Hardware anderer Hersteller nutzen und beispielsweise mit Laufwerken anderer Anbieter bestücken könne. Auch Bernd Krieger von der Grau Automation GmbH hatte auf Anfrage bestätigt, daß sich die Abba-Systeme neben den IBM-3480- und 3490-Cartridges "praktisch mit allen Kassetten anderer Hersteller", also unter anderem auch mit Kassetten von HDS, Storagetek sowie von DEC fahren ließen. Zudem sei auch ein "Kombinierter Betrieb" - also Kassetten unterschiedlicher Hersteller in einem System - möglich.

Mit dieser Offenheit scheint es nun vorbei zu sein: Die IBM teilte mit, daß die vier 3495-Archivmodelle L20, L30, L40 sowie L50 neben den State-of-the-Art-Kassettentypen "3490E" "auch mit den bisherigen Kassetten" benutzt werden können, also dem Modell 3490. Andere Typen lassen sich nicht verwenden. Da zudem die Steuerung des IBM-3495-Kassettensystems zum Teil im Controller sitzt und eng mit dem MVS-Betriebssystem verbunden ist, werden Anwender das IBM-Robotersystems auf Gedeih und Verderb auch in puncto Software an die IBM gekettet sein.

Gegenüber der CW äußerte IBM-Manager Schubert in diesem Zusammenhang, man werde dem Kunden auch in Zukunft die Abba-Lösung anbieten, wenn er dies wünsche. "Allerdings hat dieser dann nicht die Möglichkeit, eine einheitliche und durchgreifende Datensicherungskonzeption zu erstellen", versuchte Schubert einzuschränken.

Er meinte damit die Möglichkeit, über die Kassettenverwaltungs-Software "DFSMS/MVS" (Data Facility System Managed Storage) sowohl herkömmliche als auch optische Plattenarchivsysteme unter einem Softwaredach zu administrieren.

Grau-Mann Krieger verwies im Vergleich der beiden nun konkurrierenden Systeme allerdings darauf, daß die IBM-Modelle viel Platz beanspruchen werden. Das mit einem Abba-System mit 5760 Kassetten vergleichbare kleinste IBM-3495-Modell (6400 Kassetten) erstreckt sich über 13 Meter Länge bei einer Breite von 2,5 Meter. Das als Turmmodell ausgelegte - und nach den Worten von Krieger patentierte - Grau-System kommt hingegen auf 4,2 Meter Länge beziehungsweise 2,9 Meter Breite. Dies entspricht 480 Kassetten pro Quadratmeter (Grau) gegenüber 190 Kassetten, die Big Blue auf einem Quadratmeter aufstapeln kann.

Neu bei der IBM ist auch DFSMS/MVS, ein Speicherverwaltungs-Programm, das die Funktionen der bisherigen Produkte DFSMS/dfp, DFSMS/hsm sowie DFSMS/dss enthält. Neu hinzu kommen weiter die Funktionen für die Einbindung der Bandeinheiten unter die systemgesteuerte Speicherverwaltung sowie ein neues Bandverwaltungssystem DFSMS/rmm, das die Nutzungsmöglichkeiten durch vereinfachte Installation und Wartung erweitern soll.

Ein Statement of Direction gab die IBM hinsichtlich der Software "DFDSM" ab, ein Programm, das Speicherverwaltung und Services für den Datenzugriff in verteilten Umgebungen bieten soll.

Die Magnetplatten-Steuereinheit IBM "3990" versah Big Blue ebenfalls mit neuen Funktionen. Hierzu gehört die unterbrechungsfreie Datensicherung, die den Zugriff auf Daten während des Sicherungslaufes erlaubt. Auch der parallele Zugriff auf sequentielle Daten sowie eine erweiterte dynamische Speicherverwaltung sind nun möglich.

Die Familie des Magnetplattenspeicher-Subsystems IBM "9340" wurde um drei Modelle der Steuereinheit IBM "9343" erweitert. Der Anwender kann zudem durch bis zu 64 MB Cache eine höhere Systemleistung erzielen. Auch die Entfernung, in der Steuereinheiten mit Escon-Anschlüssen vom Prozessor stehen können, hat sich vergrößert: Statt bislang neun kann die Distanz nun bis zu 43 Kilometern betragen.

IBM kündigte schließlich noch das optische Plattenarchivsystem "3995 Modell 151" an, das das Modell 131 ergänzt. Es kann ECKD-Daten auf wiederbeschreibbaren optischen Platten speichern.

Die Funktionserweiterungen der Steuereinheit 3990 sind nach IBM-Aussagen zum Teil sofort oder im 1. Quartal 1993 ohne gesonderte Berechnung verfügbar. Die Cache-Modelle des Magnetplatten-Subsystems 9340 kann der Anwender ab dem vierten Quartal 1992 kaufen, wobei diese preisgleich zu den heute verfügbaren Modellen ohne Cache sind.

Das optische Plattenarchivsystem gibt es ab dem letzten Quartal 1992; es ist genauso teuer wie Modell 131.

Das Kassettenarchivsystem und Grau-Konkurrenzprodukt 3495 soll ab Anfang kommenden Jahres ausgeliefert werden. Big Blue gab hier keine Preise an. Nach Informationen der CW erwarten Branchen-Insider Kosten in Höhe von etwa 400 000 Dollar für das Einstiegssystem L20 und bis zu rund 850 000 Dollar für das Topmodell L50. Die Preise beinhalten jeweils nur die Hardware. Die Kassettenverwaltungs-Software berechnet Big Blue extra.