Wie Beteiligungsgesellschaften hinter den Kulissen der IT-Industrie Regie führen

Neues Geld für alte Bekannte

07.11.2003
MÜNCHEN (gh/rs) - Brain, Bäurer und andere ehemalige Stars am Neuen Markt schienen nach ihren Insolvenzen für immer in der Versenkung zu verschwinden. Doch finanzkräftige Investoren halfen ihnen wieder auf die Beine. Private Equity ist "in" - in einer Branche, der es mehr denn je an Eigenkapital mangelt.

Wolfgang Kobek ist guter Dinge. Seit Dezember vergangenen Jahres amtiert er als Geschäftsführer von Brain Industries GmbH - einem Teil der vor einem Jahr insolvent gegangenen Brain International AG. Nur zwölf Monate, nachdem kaum noch jemand einen Pfifferling auf das Überleben des schwäbischen ERP-Anbieters gab, hat sich das Unternehmen wieder gefangen. Saniert wurde die Brain-Gruppe von den US-amerikanischen Finanzinvestoren Parallax Capital und Golden Gate, die Anfang 2002 die Holding Agilisys mit dem Ziel gegründet haben, diverse ERP-Anbieter aufzukaufen und zu einem weltweit tätigen Spezialisten für betriebswirtschaftliche Branchensoftware zu vereinen.

Heute ist Brain wieder im Geschäft, wenn auch in stark veränderter und abgemagerter Form, wie Kobek zugibt. "Die Kostenstruktur wurde der Umsatzentwicklung angepasst", erläutert er freimütig. Unter anderem wurde die frühere Brain-Gruppe nach der Insolvenz in zwei voneinander unabhängige Firmen aufgeteilt, in die auf Lösungen für die Automobilindustrie spezialisierte Agilisys Automotive GmbH sowie Brain Industries. Ingesamt ist die Zahl der Mitarbeiter stark gesunken. Bis auf zwei Niederlassungen sind in Kobeks Verantwortungsbereich sämtliche Dependancen geschlossen, der Fuhrpark deutlich reduziert, nicht profitable Geschäftsfelder aufgegeben und das Partnernetz ordentlich gestrafft worden. Das Resultat kann sich sehen lassen: Das Unternehmen hat laut Kobek trotz Insolvenz keinen einzigen Kunden verloren.

Ixos - ein strategisches Investment

Szenenwechsel: Vor gut zwei Wochen sorgte die kanadische Software-Company Open Text für Schlagzeilen, als sie dem Münchner Archivspezialisten Ixos ein Übernahmeangebot unterbreitete. Ixos-Vorstandsvorsitzender Robert Hoog werte die Offerte öffentlich als "für die Ixos-Aktionäre sehr attraktiv". Lohnend stellte sich der Merger mit Open Text zunächst vor allem aus Sicht des größten Ixos-Einzelaktionärs dar - der US-amerikanischen Beteiligungsgesellschaft General Atlantic Partners (GAP). Sie hatte erst im Sommer vergangenen Jahres für etwa 34 Millionen Euro gut ein Viertel der Ixos-Aktien erworben. Der frühere Mannesmann-Chef Klaus Esser, der die deutschen GAP-Geschäfte leitet, sprach seinerzeit von einer "strategischen Beteiligung".

GAP wollte die Ixos-Anteile eigentlich für mindestens fünf Jahre halten, wobei Esser diese Zeitspanne schon damals nicht als "Evangelium" angesehen hatte. Vor zwei Wochen schien es zunächst so, als würden die Amerikaner schnelle Kasse machen und das Barabfindungsangebot von Open Text annehmen. Doch Esser erteilte nun im Gespräch mit der CW solchen Spekulationen eine Abfuhr: "Der Markt für Dokumenten-Management-Systeme hat innerhalb der Softwarebranche eine der größten Wachstumsraten. Wir halten diese Einschätzung und damit unseren Einstieg bei Ixos weiterhin für richtig. Deshalb wollen wir das Umtauschangebot von Open Text annehmen und, wie beabsichtigt, langfristig in diesem Markt engagiert bleiben."

Beispiele wie Agilisys und GAP sind typisch für eine Entwicklung, die sich in der IT-Industrie in letzter Zeit wieder verstärkt beobachten lässt. Investoren steigen mit prall gefüllten Taschen bei (oft auch krisengeschüttelten oder zahlungsunfähigen) Unternehmen ein, bringen diese auf Vordermann, leiten gegebenfalls eine strategische Neupositionierung ein, kaufen weitere Firmen hinzu und hoffen auf kostensenkende sowie umsatztreibende Synergieeffekte. Erklärtes Ziel ist stets das Erreichen einer überlebensfähigen Größe im Weltmarkt. Die Beteiligungen, die sich Agilisys, GAP und andere inzwischen in der IT-Branche gesichert haben, sind international wie national durchaus von Bedeutung. Auf der Liste finden sich Namen wie SSA Global Technologies, Baan, Corel, IET Solutions (Applix), Bäurer, Utimaco Safeware oder TDS Informationstechnologie.

Oft dürften sich jedoch die erwarteten Synergieeffekte zumindest kurzfristig kaum erzielen lassen - etwa wenn man sich das Engagement von GAP bei SSA und Baan, also zwei direkten Wettbewerbern im ERP-Umfeld, anschaut. Sich teilweise überlappende Produkt- und Vertriebsorganisationen müssen gekappt, Kunden zur Migration überredet werden. Entgegen den offiziellen Verlautbarungen, wonach nicht das Kostensenkungs-, sondern vor allem das Wachstumspotenzial der Unternehmen im Mittelpunkt stehe, geht es zunächst um kontrollierte Marktbereinigung und Verbesserung der "Wertschöpfung", so ein Insider.

Natürlich hat sich auch im Beteiligungsmarkt der Wind in den vergangenen drei Jahren gedreht. Längst ist der Eifer abgekühlt, mit dem Investoren während des Internet-Hypes Kapital in die IT-Industrie gepumpt haben - vor allem in Startups. Jetzt aber ist das Angebot an frischem Geld für die IT-Branche knapper geworden, eine Entwicklung, die besonders junge Unternehmen hart trifft. Noch dazu, wo es am Geld eigentlich nach wie vor nicht mangelt. Nach Angaben des Bundesverbandes der Beteiligungsgesellschaften (BVK) sitzen allein dessen Mitglieder beziehungsweise die Fonds, an denen sie beteiligt sind, auf freien Mitteln in Höhe von rund 16,5 Milliarden Euro. Doch im Blickfeld der Investoren befinden sich jetzt eher etablierte IT-Companies. Der von den Private-Equity-Firmen angestrebte "Exit" ist denn auch nicht mehr unbedingt der Börsengang, sondern der gewinnbringende Verkauf der Beteiligung und/oder eine Gewinnbeteiligung.

Mit der Aufstockung des Eigenkapitals verbessert sich die bilanzielle Situation der betroffenen Firmen zum Teil nachhaltig. Zudem fallen, im Gegensatz zur Fremdkapitalfinanzierung, also Bankkrediten, keine Zinsbelastungen an. Im Zeichen vieler Pleiten und der drohenden Verschärfung von Rating-Verfahren (Basel II) sind Kredite für Softwarefirmen ohnehin meist nur eine theoretische Alternative. Sie verfügen kaum über Vermögenswerte, die gegenüber den Banken als Sicherheiten benannt werden können. Das Kapital sind die Mitarbeiter; Sourcecode und Projekterfahrung wirk(t)en seit jeher nicht eben attraktiv auf potenzielle Gläubiger.

Ausgestattet mit Private Equity gelten die Unternehmen indes nicht nur als kreditwürdiger, sondern verfügen über eine größere finanzielle Stabilität, was vor allem für die Investitionssicherheit ihrer Kunden entscheidend ist. Speziell der deutsche Software-Mittelstand weiß davon ein Lied zu singen, berichtet Ingrid Maaß, Teamleiterin beim Private-Equity-Arm der deutschen Industriebank (IKB). Die Eigenkapitalquote mittelständischer IT-Anbieter sei mit maximal 15 Prozent vielfach "grottenschlecht".

Raider oder ehrlicher Sanierer?

Ob jedoch mit dem stärkeren Zufluss von Private Equity bald überall in der IT-Branche eitel Sonnenschein herrschen wird, ist eine andere Frage. Viele Marktbeobachter fürchten mittelfristig einen zu großen Einfluss der Investoren, sprechen zum Teil sogar von einem drohenden Ausverkauf der deutschen Softwareszene. Das geflügelte Wort vom "Raider", also vom hemmungslosen Aufkäufer, der ausschließlich nach Renditegesichtspunkten Firmen kauft, ausschlachtet und dann möglichst wieder veräußert, macht die Runde - und natürlich gibt es Bedenken hinsichtlich möglicher Konflikte im Tagesschäft.

"Als Mehrheitsaktionär ist GAP derzeit mit zwei Mandaten in unserem Aufsichtsrat vertreten", versucht Heiko Hambrock, Leiter Investor Relations bei der TDS AG, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Die strategische Ausrichtung werde durch das Engagement von GAP nicht verändert, sondern "konsequent umgesetzt".

TDS als "Perle" im Portfolio

Gerade im Falle der in den letzten Jahren krisengeschüttelten TDS hatte es in Branchenkreisen immer wieder Spekulationen gegeben, dass der US-amerikanische Investor, der erst vor kurzem seinen Anteil an TDS von rund 26 auf über 70 Prozent aufgestockt hatte, seine neue "Perle" mittels weiterer Zukäufe zu einem "Kristallisationskern" im Bereich Managed Services umbauen würde. GAP-Statthalter Esser äußert sich hierzu eher sibyllinisch: "Vor allem mittelständische Unternehmen werden in Zukunft Dienstleistungen wie Application Hosting und Outsourcing noch viel stärker einkaufen als bisher. Bei diesem Wachstum wollen wir die TDS langfristig begleiten."

Ein Einfluss auf konkrete Entscheidungen des Managements ist nach Auskunft des früheren Mannesmann-Chefs grundsätzlich nicht gegeben. "Nicht wir haben gedrängt, sondern der Ixos-Vorstand hat seine strategische Wahl getroffen", lässt Esser den vor kurzem eingefädelten Deal mit Open Text nochmals beispielhaft Revue passieren. "So war es schon bei den jüngsten Ixos-Käufen Obtree und Powerwork. So auch jetzt bei der Partnerschaft mit Open Text. Jeden dieser drei Schritte haben der Aufsichtsrat, General Atlantic Partners und die Gründerfamilien unterstützt."

Bleibt die These vom drohenden Ausverkauf der deutschen Softwareszene. Heinz Paul Bonn, Vorstandsvorsitzender des Kölner Softwarehauses GUS sowie Vizepräsident des IuK-Dachverbandes Bitkom, teilt sie nicht. Seiner Auffassung nach sollte man das Engagement ausländischer Beteiligungsgesellschaften bei deutschen Softwarefirmen und IT-Dienstleistern eher positiv sehen: "Wenn einer etwas kauft, zeigt er Interesse. Insofern hat die deutsche Softwarebranche offenbar doch etwas zu bieten." Auch das Problem einer zu starken Abhängigkeit vom Geldgeber sei vielschichtig. Wenn er morgen für seine Company ein interessantes Angebot bekäme, hätte er zwei Alternativen, meint Bonn. "Entweder ich nehme das Geld, verschwinde und gründe morgen ein neues Unternehmen. Oder ich versuche mit Hilfe der Kapitalspritze, für meine Produktentwicklung, für den Vertrieb sowie das Marketing und damit für die generelle Position der Firma im Wettbewerb das Maximum zu erzielen." In jeden Fall gelte aber: "Die IT ist kein lokales und nationales Business mehr."

Private Equity

- neuer Wachstumsschlüssel?

GAP-Manager Klaus Esser und der frühere Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff (Investcorp) sind hierzulande die stillen Stars der bis dato eher unbekannten Beteiligungsgesellschaften. Die Rede ist von Private-Equity-Firmen wie General Atlantic Partners (GAP) und Investcorp, Parallax, Golden Gate, Platinum Equity, Vector Capital, Adastra Venture und anderen. Anders als viele der geläufigen Wagniskapital-Gesellschaften wie 3i oder Apax, die sich überwiegend bei der Unternehmensgründung oder in der Start-up-Phase mit vergleichsweise geringen Summen engagieren, nehmen sie das "große Geld" in die Hand. Allein GAP verfügt Insidern zufolge in seinen Fonds derzeit über ein Kapital von rund fünf Milliarden Dollar. Summen von zehn bis 30 Millionen Euro pro Investment sind keine Seltenheit, eher die Regel. Zwar tragen sie immer noch ein höheres Risiko als die Banken, rechnen aber auch mit einer entsprechend hohen Rendite. Je nach Ausrichtung konzentrieren die Gesellschaften ihre Investments auf bestimmte Branchen oder lassen sich von bloßen finanztechnischen Kriterien leiten. Vergleichbar sind GAP & Co. zum einem mit weitgehend auf die IT-Branche fokussierten Beteiligungsgesellschaften wie dem japanischen Softbank-Konzern, zum anderen mit den Private-Equity-Sparten großer IT-Hersteller. Die Summen, die Firmen wie IBM, Intel oder SAP für ihr in erster Linie strategisch ausgerichtetes Beteiligungsgeschäft lockermachen, dürften weltweit ebenfalls mehrere Milliarden Dollar betragen.