Trotz räumlicher Entfernung effektiv zusammenarbeiten

Neue Tools Voraussetzung für Concurrent Engineering

16.10.1992

Lean Production ist eine Management-Methode und keine Instant-Lösung für die Beschleunigung des Entwicklungs- und Fertigungsprozesses. Durchgängig eingesetzt, bietet sie mit ihren verschiedenartigen Werkzeugen dennoch Ansätze, die Zeit bis zur Marktreife von Produkten drastisch zu verkürzen.

Unternehmen jeder Art stehen heute vor derselben Herausforderung: Die zunehmende Internationalisierung der Märkte, die immer kürzeren Innovationszyklen und die zunehmende Konkurrenz zwingen zu schnellerer Produktentwicklung. Nach einer Studie der Unternehmensberatung MacKinsey warfen Produkte, die sechs Monate zu spät auf den Markt kamen, innerhalb der folgenden fünf Jahre zwischen 30 und 50 Prozent weniger Profit ab als andere.

Untersuchungen dieser Art lehren, daß technologische Spitzenleistungen und hohe Produktqualität heute nicht mehr ausreichen. Gerade die japanische Konkurrenz hat gezeigt, daß der Zeitraum zwischen Produktidee und Marktreife - nichts anderes bedeutet der Slogan "time to market" - entscheidend für den Erfolg am Markt ist. Um rechtzeitig am Markt zu sein, ist ohne Zweifel der Einsatz neuer Methoden und Werkzeuge notwendig.

Gefordert ist eine ganzheitliche Strategie

Es ist nicht damit getan, einzelne Bearbeitungsschritte möglichst vollständig zu automatisieren. Gefordert ist vielmehr eine ganzheitliche Strategie, die die Optimierung unternehmensweiter Prozesse anstrebt. Hier setzt Lean Production an, ein Begriff, den mancher Consulting-Dienstleister bereits in Lean Management umgewandelt hat, da es letztlich nicht nur um den Produktionsbereich geht.

Ein Ansatz, der die schnellere Verfügbarkeit von Produkten sicherstellen soll, ist Concurrent Engineering. Dabei handelt es sich um eine Engineering-Methode, die durch die gleichzeitige Bearbeitung verschiedener Aufgaben und die Installation von Projekt-Teams die Produktentwicklungszeiten deutlich verkürzt. Damit paßt sie in das Konzept des Lean Management als Teillösung hinein. Entwicklungs- und Fertigungsingenieure, unter Umständen auch Teilnehmer anderer Abteilungen, arbeiten gemeinsam am Entwicklungs- und Fertigungsprozeß.

In beiden Prozessen läßt sich die benötigte Zeit reduzieren: Bei der Fertigung wären zumindest Teile des Fertigungsprozesses vor der Serienreife des Produkts planbar. Bei der Entwicklung wird dadurch Zeit gewonnen, daß das im gesamten Team zur Verfügung stehende Wissen und die gesammelte Erfahrung herangezogen und angewendet werden, um schnell Probleme lösen und Entscheidungen treffen zu können.

Durch die enge, interaktive Zusammenarbeit können die Ingenieure fertigungsfreundliche Lösungen finden, die nachträgliche Veränderungen auf ein Minimum reduzieren und die notwendigen Testzeiten kurz halten.

Da Concurrent Engineering kein Werkzeugkasten ist, dem man das jeweils benötigte spezielle Tool entnehmen kann, sondern eine Management-Methode, hängt der Erfolg von der permanenten, ungehinderten Kommunikation zwischen den Team-Mitarbeitern ab. Ideen, Vorgaben, Freigabeprozeduren und Testergebnisse müssen frei fließen können.

Auch heute noch ist es nicht einfach, Geschäfte über weite

Strecken erfolgreich durchzuführen. Fax und Kurierdienste sind zwei Medien, die die geschäftliche Kommunikation über große Entfernungen beschleunigen sollen. Doch sind beide für Concurrent Engineering nicht geeignet.

Bedient man sich der Kurierdienste vergehen über Versendung, Beartbeitung und Rücksendung in der Regel mehrere Tage. Das ist für solche Entwicklungsprojekte zu lang. Das Fax ist zwar schneller, aber noch immer muß der Absender auf Korrekturen oder Vorschläge warten, die der Empfänger erst mal editieren, ausdrucken und zurückfaxen muß.

Zudem läßt sich beispielsweise das CAD-Modell einer Konstruktion mit dem Fax nicht online manipulieren, rotieren oder zoomen, was Diskussion und Brainstorming zwischen den Team-Mitgliedern besonders im Hinblick auf 3D-Modelle unmöglich macht. So reicht die Zeit nicht, um mögliche Optionen zu diskutieren: Lediglich die Prüfung des Designs auf Vollständigkeit ist möglich. Somit sind diese traditionellen Methoden für die Kooperation im Team nicht förderlich.

Um geografisch getrennten Team-Mitgliedern die simultane Sicht auf Modelle in der CAD Applikation zu gewähren, benutzen heute einige Unternehmen die Videokonferenz. Durch die Übertragung des Workstation-Bildschirms können Team-Mitglieder sich das Design anschauen, Änderungen vorschlagen und den Effekt direkt mitverfolgen.

Damit kann man Entscheidungen schneller treffen, und die Interaktion im Team verbessert sich deutlich. Die bisher notwendigen, aufwendigen Reisen zu gemeinsamen Meetings können unterbleiben.

Aber auch diese Methode hat eine negative Seite. Das Equipment für Video-Konferenzen ist teuer und benötigt zudem spezielle technische Voraussetzungen und längere Vorlaufzeiten. Dadurch ist der spontane Austausch und folglich auch ein schnelles Brainstorming am sichtbaren Modell unmöglich. Zudem kann nur eine Person an dem Design arbeiten, während die anderen Teilnehmer der Konferenz lediglich zuschauen und ihre Meinung äußern. Damit entsteht auch hier ein Ungleichgewicht, das die Interaktion zwischen den Mitgliedern einengt.

Ein anderer Weg, um die Reisen zu Entwicklungsmeetings zu vermeiden und die permanente Kommunikation innerhalb des Teams sicherzustellen, ist das Zusammenrufen aller Beteiligten in ein Product Design Center. Aber für viele Unternehmen sind Design-Center ökonomisch nicht vertretbar. Die Kosten für den Aufbau einer geeigneten Örtlichkeit und die Zusammenführung der Team-Mitglieder sind gewöhnlich sehr hoch. Zudem ist dieses Konzept nicht praktikabel, wenn die Mitglieder des Teams aus verschiedenen Unternehmen kommen, die an verschiedenen Komponenten eines Produktes arbeiten.

Das Toll muß in Echtzeit arbeiten

Die Beschleunigung der Kommunikation zwischen den Team-Mitgliedern ist die unabdingbare Voraussetzung für die Beschleunigung der Produktentwicklung durch Concurrent Engineering. Das zu diesem Zweck eingesetzte Tool muß in Echtzeit arbeiten, so daß durch Senden, Warten und Zurücksenden keine Zeit verlorengeht und Änderungen des Designs sofort sichtbar werden. Alle Beteiligten müssen interaktiv arbeiten, das Design manipulieren oder editieren können.

Das Tool muß verteilt verfügbar sein, so daß möglichst alle Team-Mitglieder gleichzeitig am Design arbeiten können, egal, ob sie sich in verschiedenen Räumen, Gebäuden oder in größerer Entfernung voneinander befinden. Die Lösung muß existierende CIM-Werkzeuge unterstützen, um die Investitionen der Unternehmen zu schützen. Und sie muß kosteneffektiv sein.

Ein Beispiel für solch ein Tool ist "Design Conference", ein Software-Produkt der Firma Spectragraphics. Dies ist ein menügesteuertes Programm, das mehreren Anwendern die Betrachtung von und die interaktive Arbeit mit 5080- und 3270- Kompatiblen CAD-Applikationen, die auf einem Mainframe laufen, ermöglicht. Auf bis zu acht lokal oder remote installierten Arbeitsplätzen kann eine Gruppe simultan ein Modell aus Applikationen wie "Catia", "Cadam" oder CAEDS nicht nur anschauen, sondern auch online bearbeiten.

*Jürgen Saarmann ist Mitarbeiter der Agentur Fink & Fuchs in Wiesbaden.