Überarbeitete Rechnerfamilie soll den Kompatiblen zu Leibe rücken:

Neue PC-Generation von Big Blue vor der Markteinführung

17.10.1986

LONDON (CWN) - Ein neues IBM-Gerücht geht um: Die wichtigste PC-Serie seit Big Blues Eintritt in dieses Geschäft befinde sich in den Startlöchern.

Wie die britische CW-Schwesterpublikation CW Bussiness World aus US-Quellen erfahren haben will, wird der Branchenführer im Januar eine neue Computer-Familie vorstellen. Diese Baureihe, die vorläufig die Codebezeichnung "Renegade" trägt, soll mit der Fähigkeit zu professioneller Grafikdarstellung ausgestattet sein. Als weiteres Merkmal ist Sprachausgabe im Gespräch, ebenso die Bestückung mit Kommunikations-Chips.

PC XT 286 nur eine Eintagsfliege?

Der Quelle zufolge handelt es sich auch bei dem erst letzte Woche in Großbritannien präsentierten PC-Modell XT 286 lediglich um ein "Stop-Gap-Produkt", dessen Lebensdauer auf nicht länger als sechs Monate zu veranschlagen ist. Der wirkliche "Clone-Schreck" wird allerdings die Low-end-Maschine in der neuen Familie sein, ein Rechner auf 8086-Basis, der sich sowohl durch Schnelligkeit als auch durch einen niedrigen Preis auszeichnen soll. Im mittleren Leistungsbereich wird ein PC mit dem 80286 zu finden sein, der besagter Quelle zufolge den AT aussehen lassen wird "wie eine Antiquität". Das Spitzenmodell wird den 80386 verwenden. PC Bussiness World berichtete bereits vergangene Woche, daß Prototypen dieser Maschine in aller Stille zu Testzwecken an ausgewählte Anwender in England geliefert worden sind.

Spitzenmodell mit 32-Bit-Prozessor

Demgegenüber widersprach der Industrieanalyst Aaron Goldberg vom Marktforschungsinstitut International Data Corporation den Gerüchten, der XT 286 werde bereits in einem halben Jahr wieder gestoppt. Hingegen hielt auch er es für wahrscheinlich, daß die neue Produktfamilie den IBM PC und den PC XT ersetzen werde. Seiner Ansicht nach wird das 8086-System etwa im Januar 1987 am Markt zu erwarten sein, aber die Vorstellung eines 80386-Rechners hält er nicht vor April nächsten Jahres für wahrscheinlich.

Insider in Großbritannien vertraten allerdings die Ansicht, die Anwesenheit von Testgeräten sei ein Indiz dafür, daß IBM näher an der Markteinführung sei als ursprünglich angenommen. Diese sei im Januar nächsten Jahres vorstellbar, wenn auch die Auslieferungen in Stückzahlen vielleicht erst etwas später beginnen könnten. Alle drei Maschinen der "Renegade"-Familie werden wahrscheinlich in IBMs neuer Produktionsstätte in Greenock (Schottland) gefertigt werden und sollen in Surface-Mount-Technik (SMT) ausgeführt sein.

Diese Technik ist insofern von Bedeutung, als sie die Verkleinerung der Chip-Gehäuse gestattet und dem Entwickler somit die Wahl läßt, entweder die Maschinen kleiner zu bauen oder komplexere Schaltungen zu verwirklichen. Die Erwartungen gehen dahin, daß IBM sich für die zweite Möglichkeit entscheidet, da die Integration zusätzlicher Funktionen das Kopieren ("Klonen") solcher Maschinen erschwert.

Wie aus mehreren Quellen zu erfahren war, sind sowohl der Computer mit 8086-CPU als auch das Nachfolgemodell für den AT bereits in der IBM-Niederlassung in Boca Racon in Florida in Betrieb. Schon vor einem Monat sollen dort Manager des Unternehmens in die neue Serie eingewiesen worden sein.

Auch britische Industriebeobachter rechnen mit einer Marktoffensive, verfügen aber bis dato über nur wenige Detailinformationen. Derek Batey vom Mikrocomputer-Lieferanten PCML beispielsweise erwartet für den AT-Nachfolger eine Taktfrequenz von 16 Magahertz. Es sei auch eine Nachrüstmöglichkeit auf eine CPU 80386 vorgesehen, spekulierte er.

Ein IBM-Sprecher verweigerte jeden Kommentar zu all diesen Gerüchten.