Neue IT-Berufe: Stochern im Nebel

17.07.2001
Von Angelika Fritsche
Mit neuen Technologien entstehen ungewohnte Anforderungen an die Mitarbeiter und zusätzliche Berufsbilder. Dazu zählen zum Beispiel der Customer-Relationship-Manager, der Chief Privacy Officer und der Supply-Chain-Manager. Neben guten Informatikkenntnissen müssen sie vor allem als Moderatoren der verschiedenen Fachabteilungsinteressen glänzen.

Eine stärkere Fokussierung auf den Kunden, die permanente Lieferung neuer E-Business-Produkte und die Optimierung der Sicherheitsstandards - Themen, die den IT-Chefs laut einer aktuellen Umfrage der Analysten von Gartner in Frankfurt ganz besonders unter den Nägeln brennen. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, benötigen die Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter, die zupacken können. Doch die neu gefragten Qualifikationen fallen nicht vom Himmel.

Häufig wissen auch die Personalchefs nicht genau, welches Qualifikationsprofil am besten passen würde, vereinigt sich doch unter den neuen Jobbezeichnungen oft ein Sammelsurium verschiedenartigster Tätigkeiten. Zudem stoßen die Experten mit den teils exotisch klingenden Titel auf Skepsis - firmenintern, aber auch bei Kunden. Und sehr oft, wie zum Beispiel bei der Einführung von Customer-Relationship-Systemen, sollten die Firmenbosse zunächst ihre Unternehmensstrategie festlegen, bevor sie neue Posten kreieren und besetzen. Denn sonst haben die Neuen zu wenig Rückendeckung oder sind fehl am Platz.

Das E-Business hat einen neuen Beruf kreiert: den Customer-Relationship-Management-(CRM)-Experten. Je nach Einsatzgebiet ist für diesen Job eher der versierte Informatiker oder der erfahrene Betriebswirt gefragt. Im Idealfall bringt der CRM-Experte Know-how aus beiden Disziplinen mit. Ein CRM-Profi, der beispielsweise bei der Frankfurter Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers GmbH arbeitet, sollte die unterschiedlichen CRM-Systeme implementieren können. Außerdem muss er sich bestens mit IT-Architekturen, Systemintegration, Data Warehousing sowie auch Call-Center-Implementierung auskennen. "Wir suchen Fachleute, die Prozessberatung machen und sich sehr gut mit Standardsoftware-Tools auskennen", so PricewaterhouseCoopers-Mitarbeiter Markus Schmaus. Doch nach seiner Erfahrung ist das Profil des CRM-Experten gar nicht klar festgelegt. Das hänge entscheidend vom Auftrag ab.

Bei der Mindener Melitta System Service GmbH ist der CRM-Experte eher "als Vertriebscontroller" gefragt, so Personalleiter Jürgen Eggert über das benötigte Profil. Das ostwestfälische Unternehmen liefert Kaffeemaschinen und -zubehör an Großverbraucher und die Gastronomie. Wichtigste Aufgabe des CR-Managers deshalb: Er soll auf der Basis von SAP/R3-Anwendungen ein effizientes System des Kundenbeziehungs-Managements aufbauen. "Für uns ist es wichtig, dass der CR-Manager ein betriebswirtschaftliches Studium in der Tasche hat und Ahnung vom Vertrieb sowie von DV-Systemen hat", meint Eggert. Obendrein sollte er ein guter Psychologe sein, um mit den manchmal sehr skeptischen Außendienstmitarbeitern zusammenarbeiten zu können.

Dass bei der Einführung von CRM häufig die technischen Systeme nicht akzeptiert werden, berichtet auch Ralf Baumann, leitender Berater bei Timelaps in Eschborn, die zur Diebold Deutschland GmbH gehört. Die Manager müssten geschickt abwägen zwischen dem, was technisch möglich ist, und den Wünschen der Kunden und Mitarbeiter. Die Systeme ermöglichen es beispielsweise, die Telefongewohnheiten der Kunden mit dem Unternehmen zu protokollieren - eine gute Möglichkeit, um die Kundenzufriedenheit zu analysieren. Was aber bei einem CRM-System herauskommt, sei immer nur so gut wie das, was etwa ein Kundenberater an Daten hineingibt, weiß Baumann aus seiner Praxis. Hier gelte es, die Mitarbeiter zu motivieren und vom Mehrwert des Systems zu überzeugen.

Die Experten - sei es nun als Berater, als Vertriebscontroller oder Call-Center-Leiter - sind sich darüber einig, dass die Firmen einen großen Bedarf an CR-Managern haben. "Das Thema Customer Relationship wird für die Unternehmen zunehmend wichtiger", meint Volker Lindemann, Marketing-Direktor bei Pricewaterhouse-Coopers in Frankfurt. Auch die Marktforscher von Gartner kamen jüngst zu dem Ergebnis: "Hohe Erwartungen der Kunden, beispielsweise eine individuelle Behandlung in Massenmärkten, erfordern hohe Investitionen in Customer-Relationship-Systeme" - und folglich auch in Fachleute, die etwas von diesem Handwerk verstehen und obendrein psychologisches Feingefühl mitbringen. Denn, so Gartner-Programm-Direktor Klaus Thomas: Um CRM-Systeme erfolgreich implementieren zu können, müsste man die Verhaltensweisen von Mitarbeitern und Kunden ändern.

Machtvollster Repräsentant der Security-Experten ist der Chief Privacy Officer (CPO). Doch nur wenige Unternehmen leisten sich ihn - oder, wie im Falle des Computeriesen IBM, eine "Sie": Armgard von Reden ist Privacy Officer für IBM Europa, mittlerer Osten und Afrika mit Sitz in Brüssel. Die oberste Datenschutzbeauftragte muss dafür sorgen, dass bei IBM die Daten der Kunden, Business-Partner und Mitarbeiter geschützt und dabei vor allem die Gesetze eingehalten werden. Die studierte Politologin von Reden ist aber nicht nur zuständig für den Datenschutz, sondern zugleich für die Datensicherheit im Unternehmen und aus dem Unternehmen heraus.

So weit wie IBM gehen die meisten Unternehmen nicht. Zwar gibt es fast in jeder Firma Sicherheitsbeauftragte. Nur sind die meistens für unterschiedliche Felder zuständig. Es gibt den Datenschutzbeauftragten, den Sicherheitsbeauftragten oder den Security-Manager. Sicherheitsexperten regeln die Zugangssicherheit zum Rechenzentrum und programmieren Verschlüsselungssysteme. Netzwerkspezialisten verhindern, dass in das Netzwerk eingebrochen und damit Missbrauch getrieben wird.

"Das allein reicht nicht aus", meint Klaus Seidel, Berater bei der Frankfurter KDM Sicherheitsberatung. Als Sicherheits-Coach berät er die Unternehmen, wie sie präventiv sämtliche Angriffe - sei es nun von Mitarbeitern oder Außenstehenden - abwehren können. Mit dem Internet wird auch die Arbeit der Sicherheitsexperten immer wichtiger. Laut einer Umfrage der Fachpublikation "WIK - Zeitschrift für Wirtschaft, Kriminalität und Sicherheit" unter Wirtschaftsverbänden und Sicherheitsberatern nehmen die Angriffen auf die IT-Sicherheit zu. Dazu zählen Hackerangriffe, Virenattacken und gezielte Wirtschaftsspionage.

Doch nur die wenigsten Unternehmen hätten ein Sicherheitskonzept parat, mit dem sie ihr eigenes Know-how schützen können. Noch nicht einmal geheime Firmendaten würden verschlüsselt, wenn sie per Telefon, Fax oder E-Mail um den Globus geschickt werden. Allein mit der Einführung ausgefeilter technischer Sicherheitssysteme und der Schaffung interner Sicherheitsrichtlinien sei das Problem nicht zu lösen. Vor allem die Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter sei erforderlich, meint IBM-Frau von Reden.

Obwohl die Sicherheitsfrage so hochbrisant ist, siedeln nur die wenigsten Unternehmen das Thema und die dazu gehörigen Positionen in den obersten Führungsetagen an. "Sicherheitsfragen, die derartige Verluste auslösen können, müssen Chefsache sein", meint Wilma Merkel, Leiterin des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Lüneburg. Merkel wird ab Herbst 2002 in Lüneburg den ersten deutschen Weiterbildungsstudiengang "Security Management" anbieten. Dem kann Big-Blue-Spezialistin von Reden nur zustimmen: "Je höher sie in der Management-Ebene tätig sind, desto eher hört man auf Sie."

Das gilt auch für den Job des Supply-Chain-Managers, denn der soll schließlich für die optimale Koordination aller Geschäftsabläufe vom Lieferanten bis zum Endkunden sorgen. Dafür muss er alle, die am Lieferprozess beteiligt sind, an einen Tisch holen und mit ihnen optimale Lösungen erarbeiten. In der Praxis heißt das: Er muss Schwachstellen in der Lieferkette aufspüren und überprüfen, ob alle betroffenen Zulieferer und Dienstleister über ausreichende Kapazitäten verfügen. Falls erforderlich, muss er dann die Notbremse ziehen und nach Alternativen suchen. Ohne Kommunikations- und Verhandlungsgeschick sowie die Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu behandeln, steht der SC-Manager auf verlorenem Posten, meint Frank Loydl, Managing Director Supply Chain Practice Europe, Middle East and Africa bei EDS in Rüsselsheim.

Bei Automobilkonzernen und großen Fertigungsunternehmen hat der SC-Manager längst sein Entrée gefunden. Laut Angaben der Personalberater können die anderen Branchen eher wenig mit diesem Begriff anfangen. Anfragen von Firmen seien höchst selten. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass die Aufgaben längst von anderen Experten in den Unternehmen wahrgenommen werden und die neue Berufsbezeichnung "nur ein neues Label ist", das dem "veränderten Aufgabenfeld Rechnung tragen soll", nennt Ralf Baumann, leitender Berater bei Timelaps, eine mögliche Erklärung.