Techniknutzung darf Qualitätsaspekt nicht vernachlässigen

Neue Bürotechniken sind keine Selbstläufer

16.06.1989

Vielfach droht die Gefahr, daß Techniknutzung zum Selbstzweck gerät. Soll die Technik tatsächlich zur qualitativ verbesserten Aufgabenerledigung beitragen, so Ist ihre angemessene Nutzung sicherzustellen. Angemessene Nutzung, so stellten wir fest, ist die zentrale Voraussetzung dafür, daß der Einsatz neuer Bürotechnik auch zu qualitativen Verbesserungen der Büroarbeit führt.

Besondere Beachtung verlangt der Aspekt der Nutzungsökonomie: nicht Erzeugung einer möglichst großen Menge von Daten und auch nicht die möglichst hohe Auslastung der verfügbaren Technik, sondern Verbesserung der Arbeitsergebnisse und Reduzierung des Arbeitsaufwandes als Ziel. Qualitätsförderung beim Einsatz neuer Bürotechnik heißt also - neben einer aufgabengerechten, funktionsfähigen Technikgestaltung - Sicherstellung angemessener Nutzung.

Dabei sind beide Ansatzpunkte eng aufeinander bezogen: Die Bestimmung der "richtigen" Technik kann nur unter Berücksichtigung der Anwendungsdimensionen erfolgen, wie umgekehrt "angemessene" Anwendung die "richtige" Technik voraussetzt. In dieser doppelten Bezogenheit liegt eine wesentliche und spezifische Schwierigkeit bei der Einführung der neuen Bürotechnik und insbesondere der Erreichung qualitativer Verbesserungen; es muß mit zwei Variablen gleichzeitig operiert werden: Technik und Nutzung. Diese Schwierigkeit schlägt in vielfältiger Weise durch: bei der Technik, bei der Zuordnung der Zuständigkeiten und Verwertung von Analysen und Wirtschaftlichkeitsrechnungen wie bei der Gestaltung von Schulungen und Arbeitsorganisation.

Technik- und Anwendungsexperten

Die doppelte Bezogenheit des Einsatzes der neuen Bürotechnik gewinnt besonderes Gewicht bei deren Auswahl und Gestaltung. Diese kann nicht nur an den jeweils gegebenen Aufgaben ausgerichtet sein, sie muß die Anwendungsdimensionen mit berücksichtigen: Welche Nutzungsbedingungen bestehen, welche Voraussetzungen sind gegeben beziehungsweise können hergestellt werden, um angemessene Nutzung zu gewährleisten? Dies heißt unter anderem, daß wesentlich stärker als bisher beim Einsatz von Bürotechnik die qualifikatorischen und sozialen Voraussetzungen, die hierarchischen und organisatorischen Strukturen wie auch die Chancen, diese zu beeinflussen, mit berücksichtigt werden müssen.

Für die Zuordnung der Zuständigkeiten bei der Einführung heißt dies: Es bedarf neuer Formen der Arbeitsteilung zwischen "Technikexperten" (zum Beispiel aus den DV-Abteilungen) und "Anwendungsexperten" (zum Beispiel aus den Fachbereichen, dem Organisations- und Weiterbildungskomplex), mit wohl eher komplexen Abstimmungs- und Kooperationsnotwendigkeiten. Als kaum tragfähig dürften sich herkömmliche Modelle erweisen (DV-Verbindungsleute, Projektgruppen, in denen Vertreter der Anwendungsbereiche mitarbeiten).

Für die Legitimierung des Einsatzes neuer Bürotechnik ergibt sich: An die Stelle quantifizierbarer Einsparungseffekte muß als zentrales Legitimationskriterium der mögliche Beitrag für "strategische" Zielsetzungen treten, was praktisch eine Umkehr im Vorgehen notwendig macht. Es werden nicht mehr potentielle Effekte hochgerechnet, um dann als Entscheidungsgrundlage zu dienen, sondern es müssen zunächst Zielsetzungen und daraus abzuleitender Unterstützungsbedarf definiert werden, um dann zu überprüfen, welchen möglichen Beitrag der Einsatz der neuen Bürotechnik zu deren Erreichung liefern kann, zu welchen Kosten.

Für die Durchführung von Analysen im Vorfeld der Einführung ergibt sich: Wesentlicher Teil der Ermittlungen muß einerseits der unmittelbar faßbare Bedarf nach technischer Unterstützung, andererseits die Einschätzung der Anwendungsbedingungen sein. Kaum ausreichend sind rein quantitative beziehungsweise auf die Bestimmung von Einsparungseffekten ausgerichtete Analysen.

Verstärkt gilt dies für die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Diesen stellt sich nicht nur das Problem der Gewichtung qualitativer Effekte, die beim Einsatz der neuen Bürotechnik im Vordergrund stehen, sondern sie müssen zugleich die Variable der "angemessenen" Nutzung mit berücksichtigen. Diese kann nicht ohne weiteres als gegeben unterstellt werden. Realistischerweise wären Modellrechnungen, denen unterschiedliche Nutzungsformen zugrunde gelegt werden, nebeneinander durchzufahren und an diesen kann dann überprüft werden, unter welchen Prämissen ein Einsatz neuer Bürotechnik "wirtschaftlich" wäre.

Wichtige Ansatzpunkte ergeben sich auf arbeitsorganisatorischer Ebene: Der Einsatz neuer Technik ermöglicht nicht nur neue Formen der Arbeitsorganisation, angemessene Nutzung setzt vielfach auch arbeitsorganisatorische Veränderungen voraus.

Zur Sicherstellung, daß diese Wechselbeziehung beim Einsatz neuer Bürotechnik berücksichtigt wird, wurden folgende Gestaltungsempfehlungen definiert ¹:

- Beim Einsatz der neuen Bürotechnik ist die Frage der arbeitsorganisatorischen Voraussetzungen und Konsequenzen frühzeitig und explizit aufzugreifen.

- Die Entwicklung aufgabengerechter und -spezifischer Lösungen muß im Mittelpunkt stehen.

- Sind dabei die Möglichkeiten der Aufgabenintegration auszulosen, so sind doch auch deren Grenzen klar zu bestimmen, wie sie zum Beispiel im Infrastrukturbedarf der Sachbearbeitung liegen können.

- Besondere Aufmerksamkeit ist neben der horizontalen auch der vertikalen Arbeitsteilung zu widmen, insbesondere:

- der Integration dispositiver Aufgaben in die sachbearbeitenden Tätigkeiten,

- der Zusammenführung von Datenauswertung und Entscheidung,

- der Herstellung beziehungsweise Erhaltung der Infrastruktur der Sachbearbeitung durch technische und personelle Unterstützung (qualifizierte Assistenz).

- Solche aufgabenspezifische Lösungen erfordern neue Formen vorrangig bedarfsorientierter Aufgaben- und Tätigkeitsanalysen. Von den gebräuchlichen Verfahren unterscheiden sie sich nicht nur durch eine stärkere Berücksichtigung qualitativer Aspekte, sondern auch dadurch, daß in den analytischen Prozeß die mit der neuen Bürotechnik sich eröffnenden Gestaltungsmöglichkeiten explizit mit einbezogen werden.

- Die Beschäftigten müssen frühzeitig bei der Gestaltung der Arbeitsorganisation beteiligt werden.

Die Nutzungssituation der neuen Bürotechnik ist weitgehend offen, das heißt vom Anwender innerhalb eines meist relativ breiten Leistungsspektrums theoretisch beliebig nutzbar - im Gegensatz zur konventionellen DV, deren Nutzung in einem weitgehend vorstrukturierten Rahmen erfolgt. Dies weist der Anwendungsregelung besondere Bedeutung zu. Nicht zuletzt durch sie wird bestimmt, was der Einsatz der neuen Technik bedeutet.

Die Praxis hat gezeigt, daß in folgenden Anwendungsdimensionen Regelungsbedarf auftritt²:

- Zugänglichkeit von Datenbeständen (zum Beispiel: Wer hat Zugriff auf welche Daten?),

- "Datenhoheit" (zum Beispiel: Wem ist die Verfügung über welche Daten zugeordnet?),

- Arbeitssystematik (zum Beispiel: Wie ist die Technik zu nutzen?),

- technikvermittelte Kooperation und Kommunikation (zum Beispiel bei der Nutzung von Electronic Mail),

- Auswertung von individuellen Nutzungsdaten (Datenschutz).

Besondere Anforderungen ergeben sich aus der offenen Nutzungssituation an die Gestaltung der Qualifizierung der Nutzer beziehungsweise der Einführung neuer Bürotechnik. Qualifizierung kann sich nicht in einer Bedienungsschulung erschöpfen, durch die vermittelt wird, was das technische System zu leisten imstande ist. Bedienungsschulung muß ergänzt werden durch Anwendungsqualifizierung, durch die der Nutzer lernt, wie er die Technik für seine Arbeit produktiv nutzen kann. Diese Anforderung hat Konsequenzen für die Gestaltung der Schulung: Qualifizierung nicht als von der Arbeitspraxis losgelöste Schulungsveranstaltung, sondern als Prozeß, der eng in die Gestaltung des technischen Systems und seiner Anwendungen eingebunden ist. Damit eröffnen sich den Nutzern zugleich Mitwirkungsmöglichkeiten.

Wie wichtig die Mitwirkung der Anwender bei der Einführung neuer Bürotechnik und bei der Gestaltung ihrer Nutzung ist, wird heute allgemein betont. Gerade unter Aspekten der Qualitätsförderung erhalten solche Mitwirkungsmöglichkeiten ihre spezifische Funktion: "Als neue Qualität der Beteiligung tritt nun die Beeinflussung von Ziel und Gestaltung des Systems durch aktive Teilnahme in den Vordergrund. Das Ergebnis der Systementwicklung soll dadurch besser auf die Interessen der Betroffenen abgestimmt... werden."³

Gestaltung endet nicht mit Implementierung

Wesentliche Voraussetzung für die Sicherstellung angemessener Nutzung der neuen Bürotechnik ist eine aktive und kontinuierliche Betreuung, durch die die Nutzer bei der Lösung auftretender Schwierigkeiten und der Erarbeitung neuer Anwendungen der Technik unterstützt werden. Dies erfordert den Aufbau einer leistungsfähigen, anwendernahen Betreuungsinfrastruktur, in deren Aufgaben neben der Nutzerbetreuung auch die laufende Systemadministration einbezogen sein sollte.(4)

Für die Unterstützung angemessener Nutzung neuer Bürotechnik gilt, wie für die Qualitätsförderung allgemein: Sie ist eine Daueraufgabe. "Zwar besteht während der Zeit der Einsatzplanung und der Systemeinführung ein erhöhter Gestaltungsbedarf, jedoch endet dieser nicht mit der Implementierung. Nutzungsgestaltung ist bei Einsatz der neuen Bürotechnik nicht abschließbar, sondern es ergeben sich fortlaufend neue, veränderte Nutzungsmöglichkeiten... Dies bedeutet, daß auch die Betreuung zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht werden muß."(5)