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Neue Anschuldigungen gegen AOL Time Warner

05.08.2002

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Ermittlungen gegen den Online-Dienst America Online (AOL) nehmen immer größere Ausmaße an. Vor gut einem Monat hatte die "Washington Post" Zweifel angemeldet, dass eine Reihe von Transaktionen der Online-Sparte von AOL Time Warner in den Jahren 2000 und 2001 korrekt verbucht worden seien. Daraufhin nahmen das US-Justizministerium und die Börsenaufsicht SEC Ermittlungen auf, in die jetzt auch die Geschäfte von AOL mit PurchasePro, einem US-Anbieter von Marktplatzsoftware, unter die Lupe genommen werden . Laut "Wallstreet Journal" vermutet die SEC, dass der Online-Dienst in diesem Zusammenhang 27 Millionen Dollar unkorrekt als Werbeumsätze ausgewiesen hat. Eigentlich soll es sich bei der Summe um jedoch Erlöse aus dem Verkauf von Aktienoptionen handeln, die AOL unter bisher

nicht geklärten Umständen von PurchasePro erhalten hatte. Sprecher der beiden Unternehmen beteuerten, dass die Einnahmen aus gemeinsamen Transaktionen korrekt verbucht worden seien.

In die dubiosen Tauschgeschäfte ist offenbar auch der Online-Immobilienmakler Homestore.com verwickelt: Die Pensionskasse der kalifornischen Lehrer beschuldigt Homestore, mit Hilfe von AOL in komplizierten Dreiecksgeschäften seine Einnahmen künstlich aufgebläht zu haben. So soll der Internet-Makler etwa im ersten Quartal 2000 zunächst für 2,03 Millionen Dollar "nutzlose Technologien" von dem Softwareanbieter SFX Technology erworben haben. Anschließend schaltete SFX für zwei Millionen Dollar Anzeigen bei AOL, der Online-Dienst gab davon aufgrund einer Kooperationsvereinbarung eine Million Dollar an Homestore weiter.

Nach Ansicht der Rentenkasse handelte es sich hierbei nur um einen von mehreren dubiosen Vorgängen, in die AOL verwickelt ist. Sollten die Ermittlungen zu dem Ergebnis kommen, dass AOL als "Geldwäscher" aktiv war, könnte das Unternehmen für den Schaden haftbar gemacht werden. Die drittgrößte öffentliche Rentekasse der USA hat nach eigenen Angaben durch den Einbruch der Homestore-Aktie rund neun Millionen Dollar verloren.

Die SEC überprüft bereits seit Januar 2002 die Bilanzen von Homestore, nachdem das Unternehmen Unregelmäßigkeiten bei der Verbuchung von Einnahmen aus Online-Anzeigen eingeräumt hatte. Kurz darauf gab die Company bekannt, dass die Einnahmen im Jahr 2000 mit Hilfe von Tauschgeschäften um 27 Prozent auf 230 Millionen Dollar künstlich aufgebläht worden seien. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres steigerten diese ominösen Transaktionen den Umsatz sogar um 54 Prozent auf 350 Millionen Dollar. Die Company teilte damals jedoch nicht mit, um welche Art von Deals es sich handelte und wer beteiligt war.

Wegen Zweifeln an der korrekten Bilanzierung fiel die Aktie von AOL Time Warner am vergangenen Donnerstag auf ein Vierjahrestief von 9,64 Dollar. Eine Reihe von Anlegern sehen sich durch die Berichte über mögliche Bilanzmauscheleien in ihrer Meinung verstärkt, dass die Internet-Sparte inzwischen für den Medienkonzern AOL Time Warner ein Klotz am Bein sei. Einige Analysten räumten jedoch ein, dass derartige Tauschgeschäfte zu Zeiten des Dotcom-Booms nicht unüblich gewesen seien. (mb)