Neue Achse Tokio-London

03.08.1990

Mit Ranglisten lassen sich gewöhnlich starke Wirkungen erzielen - nicht so in der Computerbranche. Zur Erinnerung: Als sich 1971 Honeywell und Bull-GE zusammenschlossen, entstand nominell ein Weltmarkt-Player, der Anspruch auf einen Titelkampf mit Big Blue anmeldete. Die "Honeybull"-Herausforderung mußte IBM indes nicht ernst nehmen, wie sich schnell herausstellte. 15 Jahre später das gleiche Bild, nur waren die Nebenrollen neu besetzt: Sperry und Burroughs schickten sich als "Unisys" an, die IBM das Fürchten zu lehren - weltmeisterlich allenfalls die Naivität, die die beiden IBM-Rivalen an den Tag legten. Mit "Wasser bis zum Hals" ist die heutige Unisys-Lage treffend skizziert (siehe Seite 4).

Jetzt hat sich der japanische PCM-Mainframer Fujitsu durch die Übernahme des britischen Alt-Mainframers ICL auf den zweiten Platz im DV-Weltmarkt emporgekauft - hinter dem Mega-Mainframer IBM, versteht sich (Seite 1). Es wäre blauäugig, diese Tatsache überzubewerten. Um die Bedeutung des Deals richtig einzuschätzen, muß man von zwei Dingen ausgehen: Nicht nur, daß die Nummer eins (IBM) und die neue Nummer zwei (Fujitsu/ICL) Welten voneinander getrennt sind, was Größe und Marktmacht betrifft - überdies verfälscht auch die regionale Verteilung das Bild. Das heißt: Fujitsu und ICL sind nur in ihren jeweiIigen Heimmärkten stark, die IBM dagegen kann sich überall an vorderster Stelle behaupten.

Freilich sollte man den Deal auch nicht unterbewerten. Fujitsu ist als reiner Computerhersteller auf das DV-Geschäft in Nordamerika und Europa angewiesen, das unterscheidet den PCMer von seinen japanischen Konkurrenten, den Mischkonzernen Hitachi und NEC. Mit der Mehrheitsbeteiligung an ICL hat sich Fujitsu einen Brückenkopf geschaffen, von dem aus der europäische Markt anvisiert wird. Für die Europäer Siemens/Nixdorf, Bull und Olivetti ergibt sich eine ganz neue Situation.

Was geht noch in Europa? Es ist beängstigend, daß sich Siemens und Nixdorf mit dem Fusionskonzept soviel Zeit lassen. Alarm! Das müßte doch die Reaktion in München sein. Bekannt ist, daß Fujitsu nach wie vor Appetit hat. Und bekannt ist auch die Not der Siemens-Produktplaner, wenn die OSF Genossen das Thema "Unix-Standard" gewählt haben und sich nach mehr als zwei Jahren immer noch mit dem "Kern" (AIX oder Mach oder wie oder was?) aufhalten. Weniger bekannt ist, daß Siemens in Teilbereichen (Vektorrechner, große 7500er Systeme) als OEM-Partner von Fujitsu auftritt. Die Lage ist verworren. Nur soviel scheint klar: Das Kapitel "Fusionen" - gerade im Zusammenhang mit Siemens/Nixdorf - ist noch nicht abgeschlossen. Die Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit mit Fujitsu existiert bei Siemens - fragt sich nur, wann Kaske Tacheles redet.