Netzwerk-Konzepte sind Ideen und keine Produkte

16.12.1977

MÜNCHEN - Die Chronik der Ankündigungen von "Distributed Processing-Konzepten" liest sich wie die Auflösung eines Kreuzworträtsels zur Frage: "Netzwerk-Architektur mit drei Buchstaben?" Erstaunlich, wie bereits mit Begriffen wie "Network", "Architecture", "Communications" und "Distributed"

konzeptionelles Profil erzeugt werden kann: An Philosophien, Ideologien, Rahmenvorstellungen, wie Intelligenz zu verteilen ist, fehlt es nicht. Daß Netzwerke in der Realisierungsphase allerdings für den Anwender reit schwierig aussehen können, scheint die Marketing-Strategen der Hersteller nicht zu stören

IBM machte 1974 den Anfang mit SNA (Systems Network Architecture). Im März 1976 präsentierte Nixdorf sein NCN-Konzept (Nixdorf Communication Network. Das Attribut "Distributes" brachte ein halbes Jahr später Sperry Univac in die Abkürzungs-Wortspielerei ein, als dieser Hersteller DCA (Distributed Communications Architecture) zum DFV-Prinzip (für Univac-Kunden) erhob. 1977 ging es dann Schlag auf Zur CNA-Formel (Communication Network Architecture) gerann im Februar die SEL-Politik der Gleichschaltung mit Marktführer IBM auf dem Teleprocessing-Sektor; stellte Honeywell Bull auf der Hannover Messe "Distributed System Environment" (DSE) vor; präsentierte NCR im Spätsommer mit DNA (Distributed Network Architecture) eine weitere Drei-Buchstaben-Netzwerkvariante. Erst wenige Wochen zurück liegt das Announcement des ,.Distributed Systems Network" (DSN) von Hewlett Packard. Daneben gibt es Hersteller, die der Faszination der drei Großbuchstaben nicht erlegen sind: Da vertreibt Digital Equipment "Decnet", bietet Siemens "Transdata" an, bastelt Modcomp an "Maxnet".

Allen gemeinsam ist das Bemühen Konzeptionen für dezentrale (arbeitsplatzorientierte) Datenverarbeitung vor den Anwendern auszubreiten denn: Der Großrechnerabsatz stagniert, der Trend geht eindeutig zum "Distributed Processing", Und alle wollen dabeisein. Nur darf dabei nicht übersehen werden, daß SNA, NCN, DCA, CNA, DSE, DNA, DSN sowie Decnet "lediglich" Konzepte sind und keine Produkte. Allzu leicht könnten sonst professionelle Kritiker in den Fehler verfallen, etwas für einen "Papiertiger" zu halten, nur weil es in der Praxis noch nicht realisiert ist. Denn das wird man wohl sagen dürfen: Obwohl mehr als die Hälfte aller installierten Mittelklasse- und Großrechnersysteme heute bereits mit intelligenten Terminals bestückt sind, sind erst wenige Netzwerke bei Pionier-Anwendern in ganz bestimmten Wirtschaftszweigen in Betrieb. Dennoch wäre es - nochmals gesagt - falsch, das auf

konzeptionelle Schwächen zurückzuführen. Kein Hersteller würde sagen "Hier sind wir ganz toll", wenn sein DFV-Konzept nicht stimmte.

Tatsache bleibt: Echte Netzwerk-Installationen haben Seltenheitswert. Ganz sicher liegt das nicht am Hardaware-Angebot, das eher zu reichlich ausgefallen ist, zudem ständig erweitert wird. Überdies läuft die Entwicklung auf diesem Gebiet in eine Richtung, die dem Anwender nur genehm sein kann: Die Preise purzeln - dafür ein Dankeschön an die Mikrocomputer-Produzenten. So gibt die Netzwerk-Hardware (Vorschaltrechner, Knotenrechner, Datenstationen) längst keine Rätsel mehr auf.

Woran liegt es also, daß zwar viel über "Distributed Processing" gesprochen, die Implementierungsphase vorerst jedoch selten erreicht wird?

Zum einen sicherlich daran, daß bis heute allgemein verbindliche Software-Standards fehlen, wie von Terminal zu Terminal, von Terminal zu Konzentrator, von Konzentrator/Terminal zu Zentralrechner auf Steuersprachen-Niveau "frei" kommuniziert werden kann. Alles, was bisher angeboten wird, dient bestenfalls dazu, "einfache" Datenfernverarbeitungs-Aufgaben zu unterstützen: Steuerung lokaler Bildschirme, Formatieren und Editieren von Ein-/Ausgabedaten in Remote-Datenstationen, Zugriff auf und Verarbeitung von Informationen in zentralen Datenbanken - und auch dies meist nur für die "eigene" Distributed Processing-Hardware, wofür IBM mit seinem SNA-Equipment als Musterbeispiel gelten mag. Noch ist kein Hersteller in der Lage, Hard- und Software anzubieten, die - wohlgemerkt auf Programmebene - einheitliche Benutzer-Schnittstellen in allen Verarbeitungsknoten eines Netzwerkes bereitstellt: Im Hostrechner, im Front-End-Prozessor und im Remote-Terminal. Es fehlt bei den meisten angebotenen Systemen ganz einfach eine Software, die jede Netzwerkkomponente jeder anderen als "gleich" erscheinen läßt (virtuelles Terminal), wobei es möglich sein muß, Hardware verschiedener Hersteller zu benutzen - auch das eine Anwenderforderung die aus wirtschaftlichen Gründen vorrangig gestellt werden sollte. Auf die Bedarfs-Checkliste der Anwender gehörten beispielsweise auch eine Datenbank-Management-Software für die Verarbeitung verteilter Datenbank und spezielle Sprachen für Datenerfassung und Abfrage.