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Piczo: Renaissance der Vertraulichkeit

Netze mit Privatsphäre - Facebooks schlimmster Alptraum

26.11.2007
Von Handelsblatt 
Der neue Trend heißt Privatspäre: Während Online-Netzwerke wie Facebook die privaten Informationen ihrer Nutzer immer unverblümter für Werbezwecke ausschlachten und unkontrolliert nach außen geben, setzen Neulinge wie Piczo.com bewusst auf Kontrolle und Privatsphäre. Und die Welle trifft den Zeitgeist.

In Deutschland sind die Nutzerzahlen der auf Teenager spezialisierten Web-2.0-Plattform Piczo in nur knapp zwölf Monaten von Null auf über zwei Millionen gestiegen und greift Seiten wie Bebo, Myspace, Facebook oder SchülerVZ an. Weltweit hat das 2004 gegründete Unternehmen aus San Francisco laut Comscore bereits mehr zwölf Millionen Unique User (eindeutig unterscheidbare Nutzer) und über eine Milliarde Seitenaufrufe monatlich. Damit zählt das Unternehmen zu den Top-50 der weltweiten Webseiten. Fast 75 Prozent der Piczo-Mitglieder sind weibliche Teenager. Vor wenigen Wochen wurden Ableger in Japan und Korea gestartet, die noch in der Betaphase sind. Jeremy Verba, CEO von Piczo, hofft aber auf einen ähnlichen Erfolg wie hierzulande.

Besonders Teenager gelten als äußerst lukrative Zielgruppe für Online-Netze, da sie weit mehr Zeit mit der Kommunikation mit anderen verbringen als ältere Zielgruppen. Das hat auch Seiten wie die frühere Studentenwebseite Facebook angelockt, die erst sich erst Mitte 2006 für alle Nutzergruppen geöffnet hatte. Seitdem ist der Web-Traffic laut Web-Consulter Comscore um fast 90 Prozent angestiegen, und Mitte 2007 waren alleine rund vier Millionen 12- bis 17-Jährige angemeldet. Das wir immer stärker zum Problem, das Szenemagazin Valleywag berichtet jetzt davon, dass sogar pornografische Werbung über so genannte "Widgets" - kleine Programme - ungefragt auf Nutzerseiten erscheint.

Der Kinder- und Jugendschutz hat durch die zahlreichen und unkontrolliert wachsenden sozialen Netzwerke mit ihren offenen Schnittstellen längst einen kritischen Punkt überschritten. Weltweit nehmen es die die Betreiber zahlreicher Netzwerke mit Jugendschutz nicht so genau. Kontrollen der Anmeldepersonalien werden nicht vorgenommen, weil es das Wachstum behindern könnte, Pornografie und illegale Inhalte werden so auch für Minderjährige leicht zugänglich.

Oft genug werden illegale Inhalte nur nach hartnäckiger Aufforderung entfernt. Erst jüngst hat die New Yorker Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Facebook aufgenommen. Trotz anders lautender vollmundiger Ankündigungen ist Jugendschutz offenbar nicht viel mehr als ein leeres Marketing-Versprechen. Als Teenager getarnte Undercover-Ermittler waren schnell von sexgierigen Erwachsenen umzingelt und bekamen problemlos pornografisches Material und sogar Telefonnummern angeboten, um sich für kleines Abenteuer zu verabreden.

Jetzt bekam Gründer Mark Zuckerberg einen deutlichen Brief. Tenor: Facebook muss handeln. "Ich bin besorgt darüber, dass die Versprechen von Facebook und die Realität weit auseinanderklaffen", so Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo. Es sei zudem "sehr verstörend" gewesen, dass Facebook auf Beschwerden von (als Eltern getarnten) Ermittlern praktisch nicht reagiert habe.

Solchen Problemen will Piczo durch eine strikte Privatsphäre begegnen. Der Dienst, auf dem Jugendliche eine eigene Homepage erstellen und sich mit Freunden austauschen können, ist strikt einladungsbasiert und bietet keinerlei Suchfunktionen. So ist es praktisch unmöglich für Pädophile, sich passende "Zielobjekte" herauszufiltern und sich selber einzuladen. Es lohnt auch nicht, eine eigene Site als fiktiver Teenager zu eröffnen, um Kinder anzulocken - sie kann ebenfalls nicht gefunden werden. "Bei uns", so Verba, "hat man zehn Freunde, nicht 2.000".

Selbst die Suchroboter von Google, Yahoo und Co. werden abgewiesen. Öffnet ein Nutzer freiwillig und bewusst seine Seite nach außen (zum Beispiel, indem er sie auf sein Facebook-Profil verlinkt), können eindringende Suchroboter nur bis zur Homepage schnüffeln. Danach werden sie wieder abgewiesen, um sich nicht über diesen Umweg an die "Freunde der Freunde" heranzurobben, die vielleicht gar nicht wollen, dass jeder ihre Seite kennt. Ein signifikanter Unterschied etwa zu Facebook oder Myspace.

Wer sich auf den täglich zufällig vorgestellten Seiten einzelner Nutzer als Freund eintragen lassen will, muss per E-Mail eine Einladung erbitten. Ganz kann man die Kommunikation mit Fremden nicht unterbinden, sonst kommt schnell das Gefühl auf, eingesperrt zu sein, das weiß auch Verba. Die Kunst besteht darin, der jungen Zielgruppe - fast ausschließlich 13- bis 18-Jährige - nicht das Gefühl zu geben, unter Kontrolle zu stehen, obwohl alle Gruppen laufend auf illegale Inhalte, Obszönitäten oder verbale Entgleisungen überwacht werden, wie Verba versichert. "Unsere Mitglieder sagen, sie ,haben alles im Griff oder unter Kontrolle´, nicht ,wir werden überwacht´", weiß er aus internen Erhebungen.

Die jüngste Innovation ist ein Marktplatz ("Piczo-Zone") innerhalb von Piczo, auf dem selbsterstellte Bilder oder Grafiken getauscht werden können. Wollten Freunde bisher Dekoelemente, Hundebildchen oder Glitzersterne untereinander tauschen, mussten sie diese extern per E-Mail zuschicken und manuell in ihre Seiten kopieren. Das geht jetzt per Mausklick und in nur wenigen Wochen wurden über 100 000 verschiednee Motive hochgeladen.

"Interaktion spielt für Jugendliche eine große Rolle", sagt Verba. "Und wenn mein Kunstwerk von vielen anderen auf die Seite gestellt wird, dann steigert das auch das Selbstwertgefühl." Piczo achtet peinlich genau auf Vorschläge und Kritik der jungen Nutzer: "Die sind sehr offen und sehr direkt in der Ansprache", warnt der Manager, der zuvor schon unter anderem für AOL, den Mediendienst E! Online und das High-Tech-Nachrichtenportel Cnet tätig war. "Hätten wir Piczo-Zone nicht eingeführt, wären uns die Nutzer über kurz oder lang abgewandert."

Für Piczo selber hat es den Vorteil, dass sich die Nutzer besser kategorisieren lassen, um gezielte Werbung schalten zu können: "Wer ein Bild einer Rockband hochlädt, ist sicher an einer bestimmten Form von Musik interessiert - und wer es runter lädt, natürlich auch". Musikunternehmen könnten dann Werbung auf Nutzer konzentrieren, die Bilder oder Videoschnipsel einer Band auf ihrer Homepage integriert haben. Erst im Oktober wurde in Deutschland eine Partnerschaft mit Videoplattform Myvideo geschlossen.

Das Werbegeschäft läuft langsam an, sagt Verba, genaue Zahlen will er aber nicht nennen. Piczo wird privat gehalten und hat als Geldgeber US Venture Partners, Mangrove Capital, Sierra Ventures und Catamount gewinnen können. Bislang wurden rund 18 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt. In Deutschland wurde gerade ein Vermarktungsvertrag mit Tomorrow Focus geschlossen, in Großbritannien - dem größten Piczo-Markt - kam Microsofts Werbenetz zum Zug.

Mit den bisherigen Erfahrungen im Rücken soll nun der schwierige asiatische Markt angegangen werden. Auf der einen Seite sind besonders Japan und Korea dankbare Märkte für Online-Networking. Auf der anderen Seite tummeln sich hier schon Lokalmatadore wie das äußerst erfolgreiche Cyworld in Südkorea. Laut der Researchagentur Ipsos Insight sind über 50 Prozent der südkoreanischen regelmäßig auf Social-Networks, ein etwa doppelt so großer Anteil wie in den USA. Cyworld alleine hat über 18 Millionen Nutzerkonten, was rechnerisch ein Drittel der südkoreanischen Bevölkerung ausmacht.

Piczo will in Asien - wie zuvor - ausschließlich auf virales Marketing setzen. Von teuren Marketingkampagnen hält er nichts. "Das ist wie mit einem Lagerfeuer", zieht Verba den Vergleich. "Wenn der erste Funke glüht, legt man etwas Reisig drauf, dann kleine Zweige, und erst wenn es richtig brennt, dann die dicken Äste." Bisher sei man damit gut gefahren.

Piczo-Gründer Jim Conning hatte als Programmierer für den Broker Charles Schwab gearbeitet und in seiner Freizeit einen Online-Fotoservice namens Funtigo entwickelt. Die Software dieses Dienstes bildete die Grundlage für die "Fotopinnwand" Piczo, die nur auf Wunsch einiger Anfragen von Funtigo-Kunden entwickelt wurde. "Jim hat ein einziges Mal rund 100 E-Mails an die Interessenten rausgeschickt und geschrieben ,Ok, da habt ihr es´. Seitdem haben wir nie wieder Marketing gemacht. Auch nicht in Deutschland. "Wir haben einfach gewartet."