Netware aus der Steckdose? Verbrauchsabhaengige Bezahlung von Software ist keine Utopie

27.04.1995

Von Susanne Mueller-Zantop*

Neue Lizenzmodelle eroeffnen Chancen fuer eine verbrauchsabhaengige Lizenzierung von Software. Noch muss jedoch eine Reihe von technischen und vertragsrechtlichen Hindernissen beseitigt werden.

"Die Vertriebskosten fuer Software in grossen Schachteln werden einfach zu hoch - und wir werden uns dazu eine Menge einfallen lassen", erklaerte kuerzlich Novell-CEO Robert Frankenberg bei einem Besuch in Muenchen. Recht hat er. Frueher, als zu jedem PC noch eine kleine Reihe dickleibiger Literatur mit Disketten gehoerte, war die Welt viel einfacher. Damals waren die Preise so hoch, dass man fuer ein einzelnes "Amipro" von Lotus soviel bezahlen musste wie fuer die komplette "Smartsuite" heute.

Bei heutigen Margen kann jedoch schon ein groesserer Fehlkauf den Ruin herbeifuehren. Hersteller koennen durch Ueberproduktion ihre im Sturzflug sinkenden Margen vollends zerstoeren. Die Vielfalt der Produktversionen eines Programmpaketes, das, wie etwa Oracle, fuer unterschiedlichste Plattformen und Nutzerzahlen gedacht ist, macht die Planung nicht einfacher.

Ungeahnte Probleme in der Lizenzierungspolitik entstehen durch den Netzwerkeinsatz. Jeder Hersteller definiert anders, was die Schluesselbegriffe konkurrierende Nutzung, gleichzeitiger Zugriff und maximale Nutzerzahl bedeuten und wie man diese Werte misst. Einig sind sich alle nur, dass es dem Kunden obliegt, die Zahl der Lizenzen zu ermitteln, die benoetigt werden. Einig sind sich die Hersteller aber auch, dass die heutzutage empfohlenen manuellen Verfahren schlichtweg unzumutbar sind.

Software ist immateriell - es besteht kein Zwang mehr, sie auf physikalische Datentraeger zu packen und in dieser Form zu verkaufen. Wuerde man auf die materielle Repraesentation verzichten, koennten die Preise stark gesenkt werden. Lagerkosten infolge jederzeitiger Lieferbereitschaft wuerden ebenso entfallen wie Zoelle, Steuern, Transport- und Verpackungskosten etc.

Man koennte ausserdem neue Lizenzmodelle und Messverfahren entwerfen, welche die neue Netzwerkwelt abbilden, das heisst von einer Client- Server-Welt ausgehen, wo Server-Software anders gemessen und lizenziert wird als Client-Software. Dies waere ein Szenario, bei dem man nicht mehr grundsaetzlich annehmen muesste, dass man Software ein fuer allemal kaeuflich erwirbt, egal wie oft sie tatsaechlich benutzt wird.

Wahrscheinlicher sind aber Abwicklungsmodelle, bei denen sich Benutzer oder Organisationen ihre benoetigte Software in einer tagesaktuellen Fassung von einem oeffentlichen Server herunterladen und durch automatische Messverfahren eine verbrauchsabhaengige Abrechnung erhalten.

"Software ist Energie", sagt Gerhard Rubbel, Geschaeftsfuehrer der Syskoplan GmbH in Ismaning. "Was wuerde naeher liegen als verbrauchsabhaengige Bezahlung?"

Novell-CEO Frankenberg sieht als einen logischen Zwischenschritt dorthin die CD-ROM. Er verweist auf die kleine Silberscheibe, die die komplette Ausgabe von "Perfect Office" enthaelt. Der naechste Schritt sei das "Dazupacken" anderer Novell- Applikationen, die sich der Kunde nach Bedarf freischalten koennen soll. Dadurch sind zwar einige logistische Probleme auf der Herstellerseite deutlich reduziert, doch kaempfen die Kunden nach wie vor mit undurchschaubaren Lizenzbedingungen.

Sechs oder sieben Lizenzmodelle gibt es zum Beispiel bei Microsoft, das damit exakt auf die Beduerfnisse des jeweiligen Kundentyps eingehen will. Doch erfordern diese Vertragsarten ein genaues Studium der Materie und bedeuten teilweise viel Aufwand in der taeglichen Abwicklung beim Kunden. Die reine Verwaltungsarbeit kann sehr umfangreich sein, was man nicht Microsoft, Novell, IBM oder irgendeinem anderen Hersteller anlasten sollte.

Licensing API misst die tatsaechliche Nutzung

Das Messen der Lizenzen ist aufwendig, auch wenn man die allerneueste Technologie einsetzt. Microsofts NT Server und der Systems Management Server (SMS) verfuegen inzwischen ueber eine Messvorrichtung, eine Implementation des "Licensing API", das es erlaubt, die tatsaechliche Benutzung von Server- und Client- Software zu messen, sofern die laufenden Anwendungspakete dieses API ansprechen, das heisst sich dort "anmelden" und "abmelden".

Die Technologie des Licensing API ist prinzipiell und uneingeschraenkt zu begruessen, und es waere zu hoffen, dass sich alle Hersteller von Anwendungssoftware schnell damit befassen und es in ihre Produkte einbauen. Solange dies nicht der Fall ist, kann trotz SMS und NT Server nicht automatisch gemessen werden, denn Software, die sich - einfach gesagt - nicht melden kann, wird auch nicht gefunden. Natuerlich wollen auch Novell und IBM als Anbieter von Netzwerk-Betriebssystemen eine aehnliche Neuorganisation der Softwaremessung und damit neue Lizenzmodelle ermoeglichen. Bei Novell beschaeftigt man sich zudem damit, wie die Rechnungsstellung fuer elektronisch uebermittelte und eventuell nach Verbrauch gemessene Software auszusehen hat. Die Abwicklung von Auftraegen ueber ein uebergeordnetes grosses Netzwerk oeffentlicher Server ist ein technisches Thema von hoher Komplexitaet, in das auch viele Sicherheitsfragen involviert sind (Zahlungsarten, Kreditkartennummern, Zustellgarantien etc.).

Novell-CEO Frankenberg traeumt davon, dass in einigen Jahren nicht nur Strom aus den Steckdosen im Muenchner Hotel Bayerischer Hof kommt, sondern dass er sich hier mit seinem Laptop einloggen und die weltweiten Netware-Services ueber den naechstgelegenen lokalen Server in Anspruch nehmen kann. Sie koennten auf sein Benutzerprofil zugeschnitten werden. Abgerechnet wuerde ueber die Hotelrechnung zusammen mit den Telefongebuehren. Den entsprechenden Betrag, in den dann auch die Lizenzgebuehren fuer die Software- Inanspruchnahme eingeflossen waeren, wuerden sich das Hotel, die Telekom und Novell praktisch teilen.

Utopie? Keineswegs. Nicht zuletzt, um mit der Telekom zu sprechen, war Frankenberg schliesslich in Deutschland zu Besuch.