BARCELONA - Netware-Fans dürfen aufatmen. Nachdem die Zukunft des erfolgreichen Netzbetriebssystems bei Novell zuletzt in Frage stand, bekannten sich die Netzwerker jetzt auf der Brainshare vorbehaltlos zu ihrer Plattform. Auch in der Ära der Web-Services behält Netware für Novell einen strategischen Stellenwert.
Die Besucher der europäischen Brainshare in Barcelona dürften die Novell-Entwicklerkonferenz als Zäsur im Gedächtnis behalten. Waren die Veranstaltungen der Vergangenheit durch die Auftritte von extrovertierten, technikverliebten Managern geprägt, so geben nun - ein Jahr nach der Übernahme von Cambridge Technology Partners - die Consultants den Ton an. Statt technischer Details und Einzelprodukte haben nun Lösungen für informationstechnische Alltagsprobleme Priorität.
Dieser Ansatz hat direkte Konsequenzen für das Produkt-Portfolio der Company. So versprach Jack Messman, CEO und Chairman des Unternehmens, das bisherige Sortiment von 161 Einzelprodukten gründlich auszumisten. Dabei sollen die Applikationen zu fünf Lösungspaketen zusammengeschnürt werden, um die Bereiche "Networking und Storage", "Access und Security", "Content- und Application-Management" , "User Provisioning" sowie "Collaboration" zu adressieren.
Analog zur Neuausrichtung des Produktangebots hat sich das Selbstverständnis Novells nach der Akquisition von Cambridge geändert. Das Unternehmen sieht sich nun als ein Solution-Provider, der Lösungen vermarktet, die auf zwei Säulen basieren: Produkte (Novell) und Consultant Services (Cambridge). In der Rolle als Solution-Provider will sich Novell künftig verstärkt auf Web-Services konzentrieren. Überzeugt von dieser Vision bezeichnet Messman Novell schon als das "Powerhouse zur Lieferung von Web-basierten Lösungen".
Zweiflern, die dem CEO vorhalten, dass Novell mit seiner Web-Services-Strategie zu spät komme, entgegnet Messman, dass sein Unternehmen im Gegensatz zu Wettbewerbern wie Microsoft oder Sun bereits seit längerem entsprechende Services im Angebot habe. Die bislang unter dem Oberbegriff "Novell Net Services" vermarkteten Produkte seien nichts anderes als "Basic Web Services". In einem nächsten Schritt will die Company laut Messman dann so genannte "Extended Web Services" realisieren. Darunter versteht der CEO Programme und Dienste, die eine automatische Computer-übergreifende Datenverarbeitung über Netze wie das Internet ohne menschliche Eingriffe ermöglichen.
Um diese erweiterten Web-Services zu realisieren, setzen die Netzwerker künftig voll und ganz auf offene Standards. Proprietäre Schnittstellen wie etwa die Netware Loadable Modules (NLMs) oder die Netware Core Protocols (NCPs) sollen verschwinden. Als Ersatz hierfür propagiert Messman wichtige Web-Service-Protokolle wie UDDI (Universal Description, Discovery und Integration), SOAP (Simple Object Access Protocol), WSDK (Web Services Development Kit), WSDL (Web Services Description Language) oder DSML (Directory Services Markup Language).
Eine Verwirklichung dieser offenen Plattform-Strategie ist bereits mit der nächsten Netware-Version (siehe Kasten) Ende 2002/Anfang 2003 geplant. Dieses Release, zur Zeit unter dem Codenamen "Nakoma" bekannt, soll als Basis für Web-Services fungieren. Dabei, so Messmann weiter, werde die Interoperabilität zu .NET oder Sun One sichergestellt, "da die verschiedenen Web-Services-Ansätze alle ähnlich sind und sich lediglich im Erscheinungsbild unterscheiden".
Die Vision einer Netzwerk-Company Novell als Solution-Provider für Web-Services hat jedoch einen Schönheitsfehler: Dem Unternehmen fehlt nach wie vor ein Applikations-Server sowie eine Entwicklungsumgebung. Und hier beginnt erneut der Eiertanz, mit dem das Unternehmen bereits in den vergangenen Jahren seine Kunden vergraulte beziehungsweise zur Migration auf Windows NT trieb. Schon damals erwarteten die Anwender einen Applikations-Server. Novell betonte jedoch, dass Netware lediglich ein File- und Print-Server sei und vermeldete im gleichen Atemzug aber, dass mit Oracle auch Anwendungen auf der Plattform laufen. Ein Szenario, das sich nun wiederholt: Netware sei kein Applikations-Server, anderseits wird es als Plattform für Anwendungen wie Web- und EAI-Services oder etwa MySQL positioniert.
Angesichts dieses erneuten Herumlavierens entfuhr einem Novell-Mitarbeiter im Brainshare-Lab, wie die angeschlossene Demonstrations-Show auf der Brainshare heißt, die Bemerkung: "Dieses Ziel hätten wir bereits vor Jahren erreichen können, wenn wir nach dem Kauf von Unixware die Pläne für ein "Super NOS" umgesetzt hätten."
In Bezug auf die andere fehlende Komponente, eine Entwicklungsumgebung für Netware, hält sich Novell bedeckt. (hi)