Netware 6: Favorit der Praktiker

26.09.2001
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Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Mit "Netware 6" ist Novell in den Augen der Anwender ein erfolgreicher Wurf gelungen. Fast durch die Bank loben die Praktiker die Features der neuen Version des Netzwerk-Betriebssystems.

Viele hörten bereits die Sterbeglocken läuten. Anlass für Zweifel an der Zukunft von Netware gab es genügend: So nährte nicht zuletzt die Informationspolitik von Novell Bedenken an der Perspektive für die Software. Die einst wichtigste Cashcow des Unternehmens galt auf einmal nicht mehr als strategische Plattform der Company.

Quelle: Novell
Quelle: Novell

Und im Zuge der im März 2000 in Salt Lake City vorgestellten One-Net-Strategie hatte das frühere Prestigeprodukt nur noch einen untergeordneten Stellenwert: Es war zu einem von vielen Betriebssystemen degradiert worden, das als Basis für die Netzwerk-Services dienen sollte, mit denen Novell in Zukunft sein Geld verdienen will.

Die Quittung für diesen Strategiewechsel bekamen die Netzwerker prompt. Die Anwender verloren das Vertrauen in Netware und die Verkaufszahlen sanken im letzten Geschäftsjahr um rund 24 Prozent. Angesichts dieses Einbruchs sah sich der scheidende Novell CEO Eric Schmidt auf der Brainshare 2001 in Nizza, allen Bekenntnissen zur Umorientierung in Richtung Netz-Service-Anbieter zum Trotz, zu dem Schwur genötigt: "Yes, we love Netware".

Eine Liebeserklärung, der Novell jetzt mit der offiziellen Vorstellung von Netware 6 Taten folgen ließ. Mit der neuen Generation des Klassikers, der ab 15. Oktober in der englischen Version und ab 15. November in Deutsch erhältlich ist, adressiert die Company vor allem fünf Themen, die in ihren Augen die Netzverwalter und User heute beschäftigen: Access, Sicherheit, Verfügbarkeit, Management, Skalierbarkeit.

So bietet Netware 6 etwa mit dem "Ifolder" ein virtuelles Internet-basiertes Arbeitsverzeichnis und erlaubt so den Access auf die eigenen Dateien von beliebigen Endgeräten (siehe auch "Netware-Features im Detail"). Das Bearbeiten und Ausdrucken von Dateien via Internet ermöglicht "Iprint". Die Sicherheit der Web-Services gewährleistet dabei die enge Verzahnung mit dem Novell E-Directory. Ferner sollen die "Novell Storage Services" sowie die integerierten "Cluster-Services" die Verfügbarkeit und effiziente Nutzung der Speicherkapazitäten im Netz garantieren. Für das Management großer Datenbestände in heterogenen Unternehmensnetzen unterstützt das Netzbetriebssystem in seiner aktuellen Ausführung zudem Storage Area Networks (SANs).

Eine weitere Innovation ist die Option, künftig alle relevanten Administrations-Tools über einen Web-Browser bedienen zu können. Gleichzeitig dürfte Novell mit dem "Native File Access" (NFA) eine entscheidende Hürde beseitigt haben, die viele Anwender bislang vom Netware-Einsatz abhielt. Dank des NFA müssen die IT-Administratoren nicht mehr wie bisher einen Monster-Client von 27 MB Größe auf den Arbeitsstationen installieren, um die Funktionen des Netzbetriebssystems zu nutzen. Vielmehr bietet Netware ihnen nun die Chance, über die Netzprotokolle der installierten Client-Betriebssysteme auf die Server zuzugreifen.

"Mit Netware 6 haben wir ein Betriebssystem geschaffen, das einen echten Non-Stop-Zugriff auf Netzinformationen bietet", schwärmt Michael Naunheim, Marketing-Director Zentraleuropa der Novell GmbH, angesichts der Neuerungen. Dieser Euphorie sind sogar einige Novell-Skeptiker unter den Analysten verfallen. So stellen etwa die Auguren der englischen Bloor-Research fest, dass Netware dank der Unterstützung wesentlicher Standardtechnologien wie HTTP, XML, WAP oder Java den Kontakt zu zahlreichen unterschiedlichen Endgeräten erlaube. Mit dieser neuen Connectivity und Offenheit brauche sich Netware 6 nicht vor Vergleichen mit Microsofts .Net oder Sun One als Internet-Plattform für das E-Business scheuen. Die Begeisterung der Briten gipfelt gar in der Frage, ob "Netware 6 nicht ein Geschenk Gottes" für IT-Administratoren sei.

Großes Interesse der Anwender an den neuen Netware-Funktionen bestätigt Georg Rösch, Geschäftsführer des Düsseldorfer Netzwerktraining- und Consulting-Unternehmens Lanworks AG. Das Unternehmen - Novell Authorized Education Center (NAEC) sowie Microsoft Certified Technical Education Center (CTEC) - , hat bereits mehrere hundert Anwender in Sachen Netware 6 unterrichtet. "Unsere Netware 6 First Class, bei der wir auf Grundlage einer Betaversion schulten, waren extrem gut besucht", freut sich Rösch. Dabei haben die Schulungsbesucher, wie Jochen Sievert, Netware-Trainer bei Lanworks, berichtet, die neuen Features gut aufgenommen. "Besonders gefiel den Teilnehmern der Native File Access, Ifolder sowie Iprint und die Integration von Apache als Web-Server", so Sievert.

Die im Vorfeld der Auslieferung oft gehörte Kritik, das System sei für kleinere Unternehmen zu komplex, weist der Trainer zurück. In seinen Kursen hätten die positiven Reaktionen überwogen. "Insgesamt waren die Schulungsteilnehmer von der Stabilität der Beta überrascht", ergänzt Sievert. Böse Zungen unter den Kursbesuchern, so der Trainer weiter, hätten sogar gelästert, dass Microsoft Software auf diesem Qualitätslevel bereits als fertiges Produkt vermarkten würde.

Die Stabilität sowie die neuen Features haben auch die IHK für München und Oberbayern bereits in der Betaphase überzeugt. Die Kammer will auf Basis von Netware 6 für ihre mehr als 243 000 Mitgliedsunternehmen Netzwerkdienste anbieten. "Netware 6 bildet mit seiner SAN-Unterstützung, dem integrierten Clustering sowie dem Multiprozessor-fähigen IP-Stack die ideale Basis für unser Netzwerk", erklärt Roberto Schumann, Netzwerkbeauftragter der IHK. In einem ersten Schritt wird die Organisation ein SAN aufbauen und dann auf Netware 6 migrieren.

Ebenso geben die Fränkischen Überlandwerke AG (FÜW) in Nürnberg Novell wieder eine Zukunft. "Netware 6 gefällt mir sehr gut", attestiert Reiner Winter, zuständig für das Netzdesign bei der FÜW. Der Netzspezialist, der im Dezember 2000 noch von massiven Problemen mit Netware 5.1 berichtete, sieht Novell mit diesem Release "wieder auf einem guten Weg". So lobt Winter etwa die Iprint-Services, die es jedem Anwender erlauben, per Browser den entsprechenden Drucker auszusuchen. Zumal der derzeit verwendete "Infoprint Manager" von IBM bei der FÜW in der Praxis laut Winter nicht so gut funktioniert. Ferner hält er die Integration der Apache-Software als Web-Server für sehr interessant.

Gute Noten stellt Winter dem neuen Produkt auch in Sachen Administration aus. Die Netware-Verwaltung via Web-Browser ist für ihn mit Hilfe der Portal Services schön und übersichtlich gelöst. Trotz positiver Grundhaltung spart der Netzexperte aber auch nicht mit Kritik. So bemängelt er, dass Novell mit dem Management via Web-Portal schon wieder einen Strategiewechsel vollzog: " Zuerst hatten wir das Tool "NWAdmin". Dann wurde den Anwendern die Java-basierte "Console One", die nur bedingt funktionierte, als neues Administrationsmodell verkauft. Und nun folgt der dritte Ansatz, von den unterschiedlichen Tools für die anderen Novell-Produkte wie etwa "Zenworks" ganz zu schweigen."

Eine weitere Neuerung, die Winter an der Version 6 schätzt, sind die Cluster-Services zur Erhöhung der Verfügbarkeit sowie die Möglichkeit, Multiprozessor-Maschinen als Netware-Server zu benutzen. In das gleiche Horn stößt Kollege Werner Moschner, Systemtechniker bei der Energie- und Wasserversorgung AG (EWAG) in Nürnberg. Dort hat man sich nach dem Betatest zur Migration auf Netware 6 entschlossen. Moschner haben vor allem zwei Punkte überzeugt: Die Novell Storage-Services für die Speicherverwaltung sowie die Netware Portal Services, die eine Administration via Internet ermöglichen.

Von einem anderen häufig geäußerten Pluspunkt, der Flexibilität der Novell Directory Services (NDS), können sich die beiden Netware-Experten demnächst selbst überzeugen: Ihre Unternehmen fusionieren nämlich zur N-ERGIS AG. Gerade in Sachen Flexibilität schätzt Winter die NDS, da sie auch im nachhinein Änderungen erlaube. "Die NDS ist mir zehn Mal lieber als Microsofts Active Directory Services (ADS), die nicht vernünftig funktionieren", bekräftigt der Experte sein Urteil.

Die verbesserten Clustering-Verfahren sowie die Speicherverwaltung begeistern auch die Mitarbeiter eines Großunternehmens aus dem Rhein-Main-Gebiet, das derzeit fast 20 Netware 5.x-Server betreibt. Dort könnten sich die Praktiker unter Gesichtspunkten wie Ausfallsicherheit sowie einer verbesserten Verfügbarkeit der Server ebenfalls eine Einführung von Netware 6 vorstellen. Ein Wunsch, der allerdings an der IT-Strategie des Gesamtkonzerns scheitern dürfte: Der Master-Plan des Unternehmens sieht nämlich sehr zum Leidwesen der deshalb lieber anonym bleibenden Betroffenen eine Migration auf die Microsoft-Server-Plattform vor.

Eine Beobachtung, die auch Netware-Trainer Sievert während seiner Netware 6 First Class häufig machte: "Während die IT-Administratoren und Systembetreuer, die im Alltag mit den Produkten arbeiten, von Netware 6 überzeugt sind und Novell die Treue halten, liebäugelt ihr Top-Management mit dem Wechsel zu Microsoft."

Angesichts dieser Erfahrungen dürfte der Erfolg von Netware 6 letztlich davon abhängen, inwieweit es Novell schafft, auch die Chefetagen von den Vorzügen seines Netzbetriebssystems zu überzeugen. Das Plazet der Administratoren und Systembetreuer scheint die Company bereits zu haben.