Anwälte nutzen Fusion für ihre Argumentationen

Netscape-Kauf sorgt für Irritation im Microsoft-Prozeß

03.12.1998
SAN MATEO (IDG) - Die Übernahme von Netscape durch America Online bedeutet für Microsoft zwar mehr Konkurrenz im Online-Geschäft, doch im aktuellen Antitrust-Prozeß könnte der Deal der Windows-Company helfen. Anwalt John Warden verweist auf das veränderte Kräfteverhältnis im Markt und möchte einen Abbruch des Prozesses beantragen.

"Jetzt bekommt Richter Thomas Jackson eine Echtzeit-Demonstration über die Dynamik im Softwaremarkt", feixte Microsofts Chefjurist William Neukom. "Dieser Fall zeigt unstrittig, daß kein Unternehmen allein die Belieferung der Konsumenten mit Technologie kontrollieren kann."

Amerikanische Rechtsexperten sind jedoch in der Frage gespalten, ob Microsoft aus der neuen Marktkonstellation Vorteile im Prozeß ziehen wird. Zuversichtlich ist in dieser Hinsicht Hillard Sterling, Antitrust-Expertin bei Gordon & Glicksen in Chikago: "Diese Entwicklung unterläuft den Versuch der Klägerseite, zu belegen, daß Microsoft für ernsthafte Blockaden im IT-Markt verantwortlich ist."

Jura-Professor William Kovacic aus Washington ergänzt: "Es wird deutlich, daß im Markt viele Dinge laufen, die Microsofts monopolistische Kraft einschränken könnten." Für besonders schwerwiegend hält der Jurist, daß sich nun ausgerechnet dieselben Branchengrößen, die im Prozeß gegen Microsoft ausgesagt haben, zusammenschließen, um eine ähnlich marktbedeutende Stellung einzunehmen. Seine Skepsis wird durch viele Analystenaussagen gestützt, denen zufolge das Trio AOL, Netscape und Sun Microsofts starke Position im Markt für Internet-Zugangssoftware und -geräte brechen könnte. Sogar der Chefanwalt des amerikanischen Justizministeriums, David Boies, gibt zu bedenken, daß der AOL-Netscape-Deal Richter Jackson in der Wahrnehmung der Industrie und ihrer Gesetzmäßigkeiten beeinflussen könnte. Allerdings schränkt er ein: "Ich glaube, daß der Vorgang letztendlich doch nur sekundäre Bedeutung haben wird."

Andere Beobachter sehen in der Fusion eher eine Bestätigung dafür, daß Microsoft den Markt stranguliere. Erst die Dominanz und das Marktgebaren der Gates-Company habe Netscape in die Arme von AOL getrieben, lautet ihr Einwand. Als Beleg führen sie das Geschäft mit Browsern und Web-Servern an - Produkte, die Microsoft verschenkte, um Netscape Marktanteile abzunehmen. So vermutet die Antitrust-Spezialistin Lisa Wood die Klägerseite werde aufzeigen, daß sich Unternehmen zusammenschließen müßten, um eine konkurrenzfähige Größenordnung im Wettbewerb mit Microsoft zu erreichen.

Auch aus Sicht der Europäischen Union hat sich an den Vorwürfen gegen Microsoft nichts geändert. EU-Kommissar Karel van Miert sagte, daß die Allianz von AOL und Netscape nichts mit den fundamentalen Vorwürfen gegen Microsoft zu tun habe. "Aus unserer Sicht wandelt sich der Fall nicht grundsätzlich." Er hoffe, daß die amerikanische Justiz diese Sicht der Dinge teile.