"Nehmen Sie die einfachste Software"

09.11.2005
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Doch wie finden Unternehmen das für ihre Bedürfnisse passende Produkt? Norbert Peczynski, Chief Information Officer (CIO) des in München ansässigen Automobilclubs ADAC, empfiehlt klassisches strukturiertes Vorgehen. Die zu unterstützenden Geschäftsprozesse seien grob aufzunehmen, dann gelte es - beim ADAC übrigens ohne Tool-Unterstützung - zu erheben, welche Softwareprodukte überhaupt in Frage kämen. "Einige Hersteller kommen dann auf eine Shortlist", so Peczynski, "gemeinsam mit ihnen werden kritische Prozesse versuchsweise in der Software abgebildet." Erst dann erfolge die Auswahl anhand weiterer Kriterien.

Zukunftssicherheit ist ein Thema

Dass beim ADAC - laut Peczynski versteht sich der Club als "mittelständische Organisation" - am Ende oft große Player wie SAP und Microsoft den Zuschlag bekommen, bestreitet der CIO nicht. "Bei der Auswahl spielt eine wichtige Rolle, wie zukunftssicher ein Hersteller wirkt. Die Preise, die er verlangt, und seine Fähigkeit, künftigen Anforderungen gerecht zu werden, hängen schlicht und einfach vom Marktanteil ab." Die Entscheidung für eine Standardsoftware sei schließlich ein einmaliger Akt von langfristiger Bedeutung, der sich nicht schon nach zwei Jahren widerrufen lasse. Die Software wachse und verändere sich mit dem Unternehmen.

Diese Philosophie stößt GPS-Chef Schmid sauer auf. Mit den Anforderungen typischer Mittelständler sei sie kaum vereinbar. "Es ist ein Unding, dass Planungs- und Einführungszeit für ERP-Systeme über Jahre gehen", klagte Schmid. In einem Zeitalter, in dem On-Demand das Gebot der Stunde sei, müsse das schneller gehen. "Es wird jahrelang customized, es wird alles in irgendwelche Tabellen geschrieben, von denen am Ende keiner mehr weiß, wo sie genau liegen und was die Parameter darin bedeuten - und die Anwender ersticken in der eigenen Komplexität."

Kleine Anbieter haben zufriedenere Kunden

ERP-Anwender sind mit kleineren Anbietern und Branchenspezialisten durch die Bank zufriedener als mit den großen Generalisten. Darauf weisen Trovarit AG und i2s GmbH in ihrer im September 2005 veröffentlichten Zufriedenheitsstudie hin, der Interviews mit 1700 Anwendern zugrunde liegen. An Großanbietern werden die hohen Preise kritisiert und die Schwierigkeiten, sich auch um kleinere Kunden angemessen zu kümmern. Im Vorteil sind SAP & Co. wenn es um Performance und Stabilität der Infrastruktur geht. Weitere Trümpfe: Internationale Präsenz, Projekterfahrung und große Beratungs- und Entwicklungsressourcen.

Auffällig positiv schnitten kleinere Branchenanbieter ab. Ein wichtiger Vorteil: Sie decken die Geschäftsprozesse ihrer Kunden oft mit dem Standard ab, ohne dass individuelle Anpassungen nötig sind. Die Berater verfügen außerdem meistens über ausgeprägte Branchenerfahrung und sprechen die Sprache des Kunden. (siehe auch: CW-Mittelstand: "Spezialisten kommen gut weg").

Überhaupt sei die heute eingesetzte Software viel zu langlebig. Der Preis sei zu hoch, der Abschreibungszeitraum zu lang. "Die Lebensdauer von Software sinkt nach meiner Erfahrung rapide", so Schmid. "Wir brauchen mehr Flexibilität, schnelle Veränderbarkeit - genauso, wie sich die Wirtschaft verändert." Dem Publikum riet der Berater: "Halten Sie den Abschreibungszeitraum kurz. Fünf Jahre reichen völlig aus. Und nehmen Sie die einfachste Software, die Sie finden. Dann sind Sie für den Wandel viel besser gerüstet, als wenn Sie ein komplexes, hochintegriertes und mit allerlei Umgebungssoftware ausgestattetes System wählen."

Individuelle Erweiterungen meiden

Trovarit-Vorstand Sontow hält sich mit solch konkreten Empfehlungen zurück. Es sei schon eine Menge erreicht, wenn Anwender die Funktionen ihrer einmal angeschafften Standardsoftware nutzten und individuelle Erweiterungen vermieden. "Das, was als Standard vorhanden ist, enthält die Erfahrungen von vielen Unternehmen. Das ist die Sicherheit, die man mit der Software erwirbt." Wer individualisiert, geht nach Meinung von Sontow ins Risiko und muss um seine Release-Fähigkeit fürchten. Standardsoftware decke, sofern sie sorgfältig ausgewählt sei, 80 bis 90 Prozent der gewünschten Anforderungen ab. Wolle man den Rest hinzustricken, solle man sich im Dialog mit dem Anbieter über die Konsequenzen klar werden. Oft gebe es Sinn, bewusst auf fünf bis sechs Prozent zu verzichten.