Investition soll sich schon in zwei Jahren rechnen

Neckermann AG managt hauseigene Softwareprojekte jetzt mit CPCS

27.11.1992

Die DV-Verantwortlichen der Neckermann AG kennen die vielgenannte Softwarekrise aus eigener Anschauung. Immer wieder ließ sich bei Entwicklungen für die computergestüzte Abwicklung des Versand- und Warenhausgeschäfts der Zeit- und Budgetrahmen nicht einhalten. Viele Vorhaben wurden sogar ganz aufgegeben. Abhilfe schuf schließlich ein bereits marktgängiges Produktions-Management-System.

Die dem Karstadt-Konzern eingegliederte Neckermann Versand AG in der Hanauer Landstraße in Frankfurt, zu der Auslandstöchter in den Niederlanden, Belgien und Frankreich sowie die Walz-Gruppe und der Werbegeschenk-Versender Saalfrank gehören, erzielte 1991 mit 8370 Mitarbeitern einen Umsatz von 3,29 Milliarden Mark. Organisiert ist das Unternehmen in zirka 60 Technikwelten - so heißen die eigenen Verkaufshäuser - und in 32 Fox-Läden. Zum Umsatz tragen auch die 31 Katalogwelt- und Reisebüros bei. In ihnen Kunden per Katalog Bestellungen aufgeben und Reisen buchen.

Hoher Aufwand für die Programmpflege

Marktführer im deutschen Versandgeschäft sind Otto und Quelle, aber dank guter Erfolge in den neuen Bundesländern konnte Neckermann seinen Marktanteil von 8,1 auf 9,2 Prozent verbessern, wobei die Erträge der Reisebüros noch nicht einmal eingerechnet sind.

Dieses Volumen und die besonderen Anforderungen des Versandhandels erfordern eine zuverlässig arbeitende DV, einen hohen Aufwand an Programmpflege sowie die Entwicklung neuer Anwendungen, um den wechselnden Gegebenheiten des Marktes nachzukommen. Als Host dient zur Zeit eine IBM 3090, Modell 60 J mit 130 MIPS, 512 MB Hauptspeicher und 512 MB Erweiterungs-speicher. Die 3090 ist in logische Einheiten getrennt, wovon eine für die Anwendungsentwicklung eingesetzt wird. Betriebssystem ist MVS/ESA, und bei der Systemsoftware setzt man auf MVS/ESA, JES 2, VTAM, CICS, IMS-DB/DC, PC-DOS und OS2. Am Host in der Frankfurter Zentrale hängen, über das Bundesgebiet verteilt, etwa 2000 Bildschirm-Terminals. Etwa 530 PCs, zum Teil ebenfalls mit Host-Anbindung, stehen größtenteils in der Zentrale selbst.

Drei Kassettenroboter sorgen für reibungslose Mounts. Daran läßt sich auch der Trend zum operatorlosen Rechenzentrum ersehen; weitergehende RZ-Automation ist das Ziel. Die Beschäftigten arbeiten in drei Schichten, lediglich von Samstag, 18.00 Uhr bis Montag, 6.00 Uhr wird operatorlos gefahren. Als Datenbanksystem fungieren IMS-DB und DB2. Täglich laufen etwa 2600 Jobs und zwischen 700 000 und 1,4 Millionen IMS-Transaktionen.

In Spitzenzeiten werden täglich 200 000 Rechnungen direkt auf Papierrollen gedruckt. Auf dieses Volumen sind auch die vier Druckstraßen ausgelegt mit insgesamt elf Laser-, zwei Stahlband-und einem Kettendrucker. Zwei Mikroverfilmungs-Anlagen von Kodak dienen zur Archivierung. Als anzustrebende Verfügbarkeit, deren Einhaltung täglich kontrolliert wird, vereinbarten die Fachbereiche zwischen 98 und 99 Prozent.

Großen Wert legen die DV-Spezialisten auf CASE. Bei einigen Projekten wird mit CASE-Tools wie IEW und ADW in den Designphasen gearbeitet, in der Realisierung neuerdings mit CSP. Aber selbst mit modernsten Tools zeigten sich Engpässe bei der Software-Entwicklung. Horst Hammann, Leiter Anwendungsentwicklung Vertrieb und Rechnungswesen kennzeichnet die Situation: "Wir hatten natürlich schon ein Projekt-Management und auch Projekthandbücher, wonach wir uns orientierten. Nur blieb es nicht aus, daß Projektleiter ein gewisses Eigenleben führten, daß sie unterschiedliche ergänzende Berichte aus ihrer eigenen Einschätzung heraus aufbauten. Es war recht schwer und manchmal sogar unmöglich, daraus Vergleichbarkeiten von Projekten abzuleiten. Obwohl sich verschiedene Aufgabenstellungen wiederholten, war es schwierig, Orientierungen für zukünftige Planungen zu erhalten. Es war auch schwer, die einzelnen Projektleiter an bestimmte Normen zu gewöhnen."

Der Zeitrahmen wurde immer wieder überzogen

Vor allem bei aufwendigen, zeitlich ausgedehnten Projekten wurde der gesteckte Budget- und Zeitrahmen immer wieder überzogen. Vielfach erwies es sich als schwierig, rasch und flexibel auf veränderte Anforderungen zu reagieren. Bei Überlastungen, wie sie zum Beispiel durch die Wiedervereinigung bewirkt wurden, zog man von einem Tag auf den anderen Mitarbeiter aus Projekten ab und beauftragte sie mit Systemanpassungen im Wartungsbereich.

Größere Mängel an personellen Kapazitäten waren häufig auch mit vielen Überstunden nicht mehr aufzufangen, so daß man auf externe Mitarbeiter angewiesen war. Dabei stellte sich dann regelmäßig das Problem, daß sich verschiedene Arbeitsphasen überlappten und die Arbeitsanforderungen an die einzelnen Mitar-beiter nicht klar voneinander abzugrenzen waren.

Durch das Fehlen eindeutiger Parameter ersetzten Schätzung die Kalkulation. Festpreisprojekte wurden mit Nachforderungen belastet und führten zu Auseinandersetzungen mit den externen Partnern.

Von dieser unbefriedigenden lage ausgehend, entwickelten die Verantwortlichen das Ziel, Planung, Kontrolle und Dokumentation von Projekten zu vereinheitlichen. Erwünscht war auch, das gesamte Projektaufkommen inklusive Ressourcenverwaltung unternehmensweit steuern zu können.

Die übergeordneten Stellen wollten kritische Situationen mit Hilfe einer ständig aktualisierten Bewertung der schon geleisteten Arbeiten früher erkennen können.

Gleichzeitig sollte die Vereinheitlichung aber auch dem unmittelbar engagierten Projektleiter zugute kommen, indem er im Rahmen seiner Projektplanung Was-wäre-wenn-Simulationen durchführen können sollte. Das war eine Voraussetzung zur Verbesserung der unternehmensinternen Kommunikation. Wenn ein Projektleiter mit Hilfe von simulativen Tests schon im Ansatz die Notwendigkeit von Planänderungen erkennen und ihre Auswirkungen präzise angeben kann, gelingt es ihm eher, gezielten Einfluß auf Nach- oder Zusatzanforderungen des Fachbereiches oder andere Einwirkungen von außen zu nehmen; geht es doch immer darum, daß ein Kontrollgremium erst einmal überzeugt werden muß, weitere Mittel zu genehmigen. Je gesicherter und transparenter die Daten zur Entscheidungsfindung sind, desto spannungsfreier verläuft diese Prozedur.

In der Vergangenheit nahm man pro Jahr bis zu vier Projekte in Angriff, wobei die Projektlaufzeit durchschnittlich ein bis zwei Jahre betrug, was sich beim ersten Eindruck nicht überwältigend anhört. Aber wenn man bedenkt, daß die derzeit laufenden Projekte eine Größenordnung - nach Function-Point-Schätzung - von bis zu 60 Mannjahren haben, ist zu ermessen, wie wichtig eine genaue Planung ist.

Aufwendige Vorhaben der letzten Zeit waren ein Kundenauftragsabwicklungs-System und ein Bonitätsprüfungs-System. "Zukünftig", so Horst Hammann, "versuchen wir unsere Projekte kleiner zu halten. Wir wollten vermeiden, daß wir zum Beispiel nach Jahren, wenn das Projekt fertig ist, erkennen müssen, daß sich die Ausgangslage verändert hat".

Planung und Genehmigung eines Projekts sind genau definierte, aber trotzdem komplizierte Vorgänge. Am Anfang steht die Voruntersuchung, die die Anforderungen sowie grob die Kosten und Nutzen einschätzt. Dann wird geprüft, ob das Projekt in das strategische Umfeld paßt. Mitarbeiter aus dem IS-Bereich und dem jeweiligen Fachbereich erarbeiten ein Rohkonzept unter anderen mit einer großen Funktions- und Datenmodellierung. Anhand von Aufwandsschätzungen ist abzusehen, wie lange das Projekt voraussichtlich dauern wird und wieviel Mannjahre veranzuschlagen sind.

Auf Basis dieses Entwurfs entscheidet ein Ausschuß, ob das Vorhaben tatsächlich durchgeführt wird. Wenn ja, leiten IS-Bereich und auftraggebender Fachbereich die Detailorganisation ein. Es werden die Projektleiter aus IS- und Fachbereich benannt sowie die notwendige Manpower gegebenfalls mit Externen bereitgestellt. Wobei es Horst Hammann lieber wäre, auf externe Kräfte verzichten zu können, und das gesamte Know-how im Unternehmen zu halten.

Eigenentwicklung wurde fallengelassen

Zur Zeit sind 38 interne und 30 externe Mitarbeiter in den laufenden Projekten beschäftigt, bei den Projektleitern beträgt das Verhältnis 50:50.

Aufgrund aller genannten Umstände und Schwierigkeiten entschloß man sich, ein Instrument einzusetzen, mit dem man die Probleme hinsichtlich Dauer, Kosten, Abrechnung und Zuweisung der externen und internen Mitarbeiter besser in den Griff bekommen könnte. Am Anfang stand eine Eigenentwicklung, das "Projektverfolgungs-System", das man aber nach einigen Mannmonaten im April 1990 fallenließ. Hammann erhielt den Auftrag, sich anzusehen, was sowohl an PC- als auch an Host-basierten Projekt-Management-Systemen auf dem Markt angeboten wurde.

In dieser Phase spielte der Anforderungskatalog eine wichtige Rolle; nach ihm wurden alle Produkte bewertet. Dabei zeigte sich bald, daß die PC-basierten Single-User-Lösungen nicht mithalten konnten. Maßgebliche Kriterien waren unter anderem eine einfache, deutschsprachige Benutzeroberfläche und einfache Ist-Zeit-Erfassung. Einfach bedeutete dabei, in zwei Dialogschritten im Erfassungsbild zu sein. Weiterhin sollte das Produkt Kostenstellen, Kostenträger-Auswertungen und eine Kapazitätsplanung sämtlicher Mitarbeiter bieten und last not least über gute Anwenderreferenzen verfügen. Hammann nahm es damit sehr genau und rief die genannten Anwender an.

Im November war dann die Entscheidung zugunsten von Cincoms Comprehensive Planning and Control System (CPCS) gefallen. Bevor Cincom allerdings installieren konnte, mußte auch eine Positive Entscheidung des Betriebsrates vorliegen. Nachdem er bereits im Vorfeld in die Entscheidung einbezogen war, bestanden auch von seiner Seite keine Einwände. Schließlich hat es keinen Sinn, ein Projekt-Management-System quasi hinter dem Rücken des Betriebsrates einzuführen. Es zeigte sich, daß er richtig war, mit offenen Karten zu spielen und herauszustellen, daß es sich bei der geplanten Neuerung nicht um ein Mitarbeiter-, sondern um ein Projektkontroll-System handelte.

Keine größeren Akzeptanzprobleme

Die Einführung von CPCS ging reibungslos vor sich. Nach der Zustimmung des Betriebsrates wurde ein Arbeitskreis gegründet, dem Projektleiter und ein Berater vom Hersteller angehörten. In diesem Kreis wurden den Projektstrukturen und die vorgegebenen Phasen sowie Aktivitätenstandards diskutiert und Vorgehensweisen festgelegt, um zur Testinstallation im April 1991 sofort den Betrieb aufzunehmen. In denselben Zeitraum fiel auch die Entscheidung, das Produkt im Karstadt-Konzern einzusetzen. Im Juli 1991 wurde dann CPCS bei Neckermann in Frankfurt für den Konzern installiert, und die Testzeit begann. Sie dauerte bis Dezember 1991.

Als Vorsichtsmaßnahme behielten die Neckermänner bis zum Januar 1992 parallel zum neuen System die überkommenen Projektberichte und -übersichten bei. So war es möglich, Pilotprojekte mit beiden Formen des Projekt-Managements durchzuspielen; das alte System bekam gewissermaßen noch eine Chance. Für die Mitarbeiter bedeutete es in dieser Übergangszeit einen zusätzlichen Aufwand, die Ist-Zeiten aus beiden Systemen zu dokumentieren; da die Beschäftigten an Ist-Zeit-Erfassung als solche aber bereits gewöhnt waren, traten keine größeren Akzeptanzprobleme auf.

In dieser Zeit begleitete ein Cincom-Mitarbeiter die Installation, der im Unternehmen anwesend und immer bei Fragen oder Problemen verfügbar war. Gleichzeitig setzte er mit den Projekt- und Sachgebietsleitern der sechs Anwendungsentwicklungs-Abteilungen deren Aufgaben in CPCS-Strukturen um.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung des Systems war auch dessen Flexibilität, die sich daran zeigt, daß zum Beispiel Zuweisungen frei definiert werden können. Ein Beispiel: Verschiedene Anwendungen nutzen sowohl die Neckermann AG als auch ihre Tochtergesellschaften im Ausland. Die Projektstruktur muß der genannten Tatsache Rechnung tragen und unnötige Mehrfacharbeiten verhindern, wenn ein Mitarbeiter an mehrfach verwendeten Applikationen Wartungsaufgaben vornimmt.

Im Januar 1992 begann dann die eigentliche Produktion mit dem neuen Projekt-Management-System, und die ersten Resultate überzeugten. Im Detail muß man allerdings einräumen, daß es wohl noch zwei bis drei Jahre dauern wird, bis sich die Möglichkeiten der neuen Anlage vollständig ausnutzen lassen. Neckermann hat hier mit Altlasten zu kämpfen: Immer noch laufen Projekte, die vor der Einführung der neuen Lösung aufgelegt wurden.

Besser wird es garantiert, wenn ein neues Projekt geplant wird und von Anfang an das Projekt-Management-System zum Einsatz kommt. Schon jetzt nutzen Projektleiter die CPCS mit Vergnügen, weil sie einfach mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben und darin auch Chancen für sich selbst sehen. Freilich gibt es auch Kollegen, bei denen noch einige geduldige und permanente Aufklärungsarbeit zu leisten ist.

Für Hammann stellt dieses Problem nicht, für ihn ist es selbstverständlich, mit CPCS zu arbeiten. "Wir brauchen nicht mehr als ein bis zwei Minuten pro Tag, um die Ist-Zeiten einzugeben. Die Aufwände des Projektleiters sind mit etwa ein bis drei Tagen je Phase anzusetzen, für laufende Ergänzungen während der Phase braucht der Projektleiter monatlich zirka einen halben Tag."

Nach Hammanns Einschätzung wird sich die Investition etwa in zwei Jahre rechnen, und die Produktivität wird gezielter und besser einschätzbar sein. Ist erst einmal eine durchgehende Planung und Istwert-Zeiterfassung in allen Projekten und Wartungsaufgaben selbstverständlich, so erhöht sich zwangsläufig die Kapazitätsauslastung. Die Vorzüge der gewachsenen Transparenz sind dagegen jetzt schon klar erkennbar. Dieser Erfolg ermutigt und bestärkt, auf die Vorteile des Projekt-Management-Systems zu vertrauen: "Der Projektleiter hat jetzt ein leistungsfähiges Tool zur Verfügung. Wenn er es nicht nutzt, hat er denselben Zustand wie vorher. Nutzt er es, hat er Vorteile, und wenn er das nicht selber einsieht, dann muß er dorthin gebracht werden", faßt Hammann zusammen.

Allein schon sind die Möglichkeit, eine exakte Zeitplanung vornehmen zu können, hätte die Installierung eines Projekt-Management-Systems gerechtfertigt. Als nächstes soll das Berichtswesen von CPCS profitieren, ferner wird eine genaue Kosten- und Projektkontrolle angestrebt. Zielvorstellung ist es, diese beiden Vorhaben 1993 zu realisieren.

Die Verantwortlichen bei Neckermann sind zu dem Entschluß gekommen, einen Projekt-Manager beziehungsweise Projektkoordinator einzusetzen, der das System kontinuierlich pflegt. Er soll Projekte einrichten und überwachen, da man durch die Schlüsselsystematik des Systems Gefahr läuft, daß sich Mitarbeiter nicht an die Schlüssel halten. Gleichzeitig soll er Projekte aktiv begleiten wie auch am Monatsende fehlende Kontierungen einholen, bevor Berichte abgefaßt werden. Natürlich sieht diese Funktion auch vor, neue Mitarbeiter sowie Externe ins System einzuführen, denn schließlich, so Horst Hammann, "lebt das System von dem, was eingegebenen und was daraus gemacht wird."

*Bernd Kelling ist Geschäftsführer der Interprom GmbH, München.