NCR am Scheideweg: Alles oder (U)nix?

28.09.1990

Die NCR Corp. hat sich von ihrer Mainframe- und MDT-Vergangenheit endgültig losgesagt, bekennt sich nahezu vorbehaltlos zu Unix, sprich: zu offenen Systemen (Seite 1). Anders als einige Ex-BUNCH-Kollegen, die nicht festgelegt werden möchten, stellt der einstige Kassen-König einen Blankoscheck aus, daß künftig alle NCR-Systeme auf herstellerneutralen Standards basieren werden - ohne Rücksicht auf Proprietäts-Prinzipien. Unix-Kritiker mögen einwenden, der IBM-Konkurrent habe aus der Not eine Tugend gemacht wer, was den Mainframe-Kundenpark betrifft, nichts mehr zu verlieren habe, könne leicht offenen Systemen das Wort reden. Stimmt schon. Und doch gehört Überwindung dazu, diesen Schritt zu tun. NCR kann scheitern. Denn so günstig stehen die Zeichen nicht.

Stimmungstief bei den Unix-Anbietern: Nach dem Gerangel um Hersteller-Bündnisse (OSF gegen AT&T/Sun, Unix International gegen OSF, OSF gegen OSF, OSF und Unix International gegen die Anwender) und nach Schlappen im Wettbewerb (Unisys, Bull, Nixdorf, Philips, Apollo Domain, Altos - um nur einige Verlierer zu nennen) droht Streit über Grundsatzfragen. Ist das Festhalten an proprietären Systemen womöglich doch der einzige Weg, die Krise durchzustehen, in der sich die DV-Industrie seit geraumer Zeit befindet? Oder sollen die Unix-Realisten unter den DV-Produzenten bei ihrem Anspruch bleiben, eine Gruppierung jenseits des herkömmlichen Gut-Böse-Schemas zu sein, das die DV-Welt in Open-Systems-Fundamentalisten und Quasi-Monopolisten (IBM, DEC) unterteilt?

Ratlos registrieren die Unix-Realos, daß etwa der Mainframe-Monopolist IBM mit seinem durch und durch proprietären System AS/400 im Midrange-Markt, bisher bekanntlich keine Domäne der blauen Großmacht, fleißig Punkte sammelt. Nach wie vor - auch dies eine für die Unix-Gemeinde ernüchternde Erkenntnis - gehören herstellereigene Betriebssysteme wie IBMs DOS/VSE oder Siemens' BS2000 zu den Stützen einer aus Anbietersicht erfolgreichen Marketingstrategie.

Erfolgserlebnisse dieser Art, daß sich ein Produkt praktisch von selbst verkauft (Beispiel: IBM /370), fehlen den Unix-Herstellern aber noch immer. Was kann NCR als Argument ins Feld führen, daß mit dem Pro-Open-Systems-Votum die einzig richtige Entscheidung für das Unternehmen getroffen worden ist? Es sind vor allem zwei Gründe zu nennen: Auf lange Sicht führt, erstens, an offenen Systemen kein Weg vorbei - proprietäre Systeme haben nur noch eine begrenzte Lebenserwartung. Zweitens (Gorbi et orbi): Wer (bei offenen Systemen) zu spät kommt, den bestraft das Leben. Vorläufiges Fazit: Die erste Runde zumindest geht an NCR- eins zu null auch für die Anwender.