Starke Nachfragezunahme nach Telekommunikations-Diensten und -Equipment:

Nationales Denken steht einheitlicher EG-Telekommunikationspolitik entgegen

04.10.1985

Die EG-Kommission strebt eine Abkehr von rein national ausgerichteten Entwicklungsplänen für die Fernmeldeinfrastruktur an. Sie will außerdem eine EG-weite Öffnung der Telekommunikationsmärkte erreichen, um die Wachstumsdynamik der EG-Volkswirtschaften zu stärken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EG-Telekommunikationsindustrien zu gewährleisten. Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm auf dem Gebiet der fortgeschrittenen Kommunikationstechnologien (RACE). soll hierzu beitragen. Eine abgestimmte Investitions- und Beschaffungspolitik, die einen gemeinsamen EG-Telekommunikationsmarkt einschließt, könnte durchaus die gewünschten Effekte zeigen. Hemmend dürften jedoch die nationalen Interessenlagen sein.

Der Telekommunikationssektor umfaßt die Telekommunikationsindustrie

die Übertragungs- und Vermittlungssysteme sowie kommunikationsfähige Endgeräte produziert, und die Anbieter von Telekommunikationsdiensten (Fernmeldediensten). Mit Ausnahme von Großbritannien werden diese Dienstleistungen in der EG durch staatliche oder halbstaatliche Monopolunternehmen - im folgenden nach der international gebräuchlichen Abkürzung für Post, Telegraphie, Telefon PTTs genannt - erbracht. Die PTTs sind für die Entwicklung der Fernmeldeinfrastruktur zuständig und in den jeweiligen nationalen Märkten der größte Abnehmer für Telekommunikationsprodukte. Bislang wurden diese Produkte in allen vier großen EG-Staaten zu über 90 Prozent bei nationalen Herstellern beschafft.

Die Telekommunikationsindustrie (Nachrichtentechnik) wird in den

volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nicht als eigenständiger Wirtschaftsbereich ausgewiesen, sondern zählt zur elektronischen Industrie. Ebenso werden die Telekommunikationsdienstleistungen zusammen mit den Postdienstleistungen im Sektor Nachrichtenübermittlung erfaßt. Der Anteil der Bruttowertschöpfung des gesamten Telekommunikationssektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist mithin nicht exakt zu bestimmen. Die EG-Kommission schätzt ihn für die Europäische Gemeinschaft auf gegenwärtig etwa drei Prozent.

Die von den PTTs der vier großen EG-Länder vorgenommenen Investitionen

(einschließlich der Investitionen für Postdienste) sind an den volkswirtschaftlichen Gesamtinvestitionen mit drei bis fünf Prozent beteiligt. Der Anteil der Investitionen in die Fernmeldeinfrastruktur an den PTT-Gesamtinvestitionen beträgt seit Ende der siebziger Jahre in allen vier Staaten etwa 90 Prozent. Statistisch nicht erfaßt sind die Investitionen von privaten Unternehmen in die Fernmeldeinfrastruktur (Nebenstellenanlagen und andere Endgeräte). In der Bundesrepublik Deutschland erreichen diese Ausgaben dieselbe Größenordnung wie die Investitionen der Deutschen Bundespost, so daß dort der Anteil der Investitionen in die Fernmeldeinfrastruktur gegenwärtig sieben bis acht Prozent der Gesamtinvestitionen beträgt.

Relativ große Unterschiede beim Anteil der Ausgaben für Post- und Fernmeldedienste an den Gesamtausgaben für den privaten Verbrauch sind zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien festzustellen. In der Bundesrepublik Deutschland war er 1982 mit 2,9 Prozent fast dreimal so hoch wie in Italien und auch deutlich höher als in Frankreich und Großbritannien.

Trotz dieser bislang niedrigen Anteile werden vom Telekommunikationssektor in allen vier Ländern kräftige Impulse bei der künftigen Entwicklung der Volkswirtschaft erwartet. Übereinstimmend wird davon ausgegangen, daß die Nachfrage von Unternehmen und privaten Haushalten nach Telekommunikationsdiensten überdurchschnittlich zunehmen und zu einer entsprechend höheren Nachfrage nach langlebigen Gebrauchsgütern und Investitionsgütern führen wird.

Das Nachfragepotential wird vor allem bei den neuen Telekommunikationsdiensten gesehen, deren Spektrum von der Massenkommunikation (zum Beispiel Kabel- und Satellitenfernsehen) bis zu Dialog- und Abrufdiensten der Individualkommunikation (zum Beispiel Fernkopieren, Bildtelefon, Bildschirmtext) reicht. Sollten sich diese Erwartungen erfüllen, könnte sich der Anteil des Telekommunikationssektors an der volkswirtschaftlichen Gesamtproduktion deutlich vergrößern. Eine dauerhafte und überdurchschnittliche Nachfragesteigerung kann allerdings aus heutiger Sicht nicht für alle neuen Telekommunikationsdienste unterstellt werden. In Großbritannien und in der Bundesrepublik Deutschland sind beispielsweise die anfangs mit der Einführung von Bildschirmtext- und Kabelfernsehdiensten verknüpften hohen Erwartungen an die Nachfrage der privaten Haushalte nach unten korrigiert worden.

Die von einigen Marktforschungsunternehmen für die Telekommunikationsindustrie prognostizierten zweistelligen Wachstumsraten werden denn auch zumeist mit der zu erwartenden Nachfrage aus dem Unternehmenssektor begründet. Insbesondere wird eine verstärkte Ausrüstung von Büromaschinen (Schreibmaschinen, Kopierer, Mikrocomputer) mit Kommunikationsfunktionen erwartet. In den Prognosen der Marktforschungsunternehmen werden diese Produkte meist voll der Telekommunikationsindustrie zugerechnet. Bei einer solchen Zuordnung ist zu berücksichtigen, daß dann dem Wachstum des Telekommunikationssektors ein entsprechender Rückgang im Sektor Büromaschinen, ADV gegenübersteht. Kurz- und mittelfristig ist mithin vom Wachstum des Telekommunikationssektors keine deutliche Anhebung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten zu erwarten.

Neben den Wachstumsimpulsen einer zusätzlichen Nachfrage nach Telekommunikationsprodukten und -dienstleistungen werden insbesondere mit dem Angebot neuer Individualkommunikationsdienste Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung im Bereich der Geschäftskommunikation gesehen. Derartige Angebotseffekte von Investitionen in die Fernmeldeinfrastruktur können gegenwärtig aber kaum quantifiziert werden.

Unzulässig ist es beispielsweise, aus der festgestellten engen Korrelation zwischen der Telefondichte und der Höhe des Bruttosozialprodukts eines Landes den Schluß zu ziehen, daß zusätzliche Investitionen in die Fernmeldeinfrastruktur automatisch zu bestimmten Produktivitäts- und Wachstumseffekten führen. Auch die Durchschnittsergebnisse von Unternehmensfallstudien, in denen das Kosten/Ertrags-Verhältnis bei der Anwendung neuer Telekommunikationsdienste ermittelt wurde, können nicht als Produktivitätspotentiale einer Branche oder der ganzen Volkswirtschaft gedeutet werden. Die Größenordnung des Produktivitätspotentials wird allerdings daraus ersichtlich, daß 1980 in der Bundesrepublik Deutschland etwa 35 Prozent der Erwerbstätigen überwiegend Informationstätigkeiten ausführten. Selbst wenn hiervon wahrscheinlich nur ein Teil durch neue Telekommunikationsdienste und -produkte ersetzt werden kann, ist in den Informationsberufen ein Anstieg der Arbeitsproduktivität zu erwarten.

Bei denen, die in den vier betrachteten Ländern für die Entwicklung der Fernmeldeinfrastruktur verantwortlich sind, besteht Übereinstimmung in dieser grundsätzlichen Einschätzung des Telekommunikationssektors. Die jeweilige nationale Ausgangslage, insbesondere der Ausbaustand des Fernsprechnetzes, weist jedoch große Unterschiede auf. Ein reibungsloser Übergang zu einer EG-weit abgestimmten Investitions- und Beschaffungspolitik der PTTs und zu einer koordinierten Einführungsstrategie für neue Telekommunikationsdienste ist deshalb nicht ohne Probleme.

Auch nach dem Aufbau separater Datennetze wird gegenwärtig der größte Teil der Telekommunikationsdienstleistungen noch über das Fernsprechnetz abgewickelt. Der Fernsprechdienst erbringt in allen vier Ländern über 90 Prozent der PTT-Einnahmen. Mittel- und langfristig wird es durch schrittweise Digitalisierung möglich sein, über das Fernsprechnetz auch alle Datendienste und vor allem alle neuen Telekommunikationsdienste abzuwickeln - aus dem analogen Fernsprechnetz wird damit ein Schmalband- beziehungsweise Breitband-ISDN-Netz. Der gegenwärtige Ausbaustand des Fernsprechnetzes bestimmt damit neben den Finanzierungsmöglichkeiten entscheidend darüber, in welchem Zeitraum neue Telekommunikationsdienste flächendeckend eingeführt werden können.

Große Unterschiede bei der Telefondichte

Die Telefondichte (Telefonhauptanschlüsse pro 100 Einwohner) weist vor allem zwischen Italien und den drei übrigen großen EG-Staaten Unterschiede auf. Italien kann indes als repräsentativ für diejenigen Länder der EG gelten, in denen eine Erweiterung des Fernsprechnetzes eine mindestens ebenso hohe Priorität hat wie seine Modernisierung. Hierzu sind Griechenland, Irland, Portugal und Spanien (Beitritt 1986) zu zählen.

Zudem differiert der Altersaufbau des Fernsprechnetzes zwischen den drei Ländern mit der höheren Telefondichte. Anfang 1984 waren in Frankreich drei Viertel, in der Bundesrepublik die Hälfte und in Großbritannien zwei Fünftel der Telefonhauptanschlüsse nicht älter als zehn Jahre. Für die Anlagen öffentlicher Fernsprechnetze wird gegenwärtig mit einer durchschnittlichen technischen Lebensdauer von 20 Jahren gerechnet. Falls die Modernisierung der Fernsprechnetze in diesen Ländern aus betriebswirtschaftlichen Gründen in diesem Zeitrahmen durchgeführt werden sollte, würde dies zwangsläufig zu unterschiedlichen Einführungszeitpunkten für neue Telekommunikationsdienste führen.

Die zur Zeit bekannten Entwicklungspläne der PTTs in den vier betrachteten EG-Ländern spiegeln insbesondere bei der Einführungsstrategie für das ISDN den unterschiedlichen Ausbaustand der Fernmeldeinfrastruktur wider.

Seit Jahresbeginn gibt es in Großbritannien ein ISDN-Angebot, bei dem ein Teilnehmer über eine Anschlußleitung zwei Telekommunikationsdienste gleichzeitig nutzen kann (zum Beispiel Fernsprechen und Btx). Nach Feldversuchen sind ISDN-Angebote in Frankreich erst für 1987, in der Bundesrepublik und in Italien nicht vor 1988 vorgesehen. Dabei wird allerdings weder in Großbritannien noch in Frankreich von Beginn an die international vereinbarte volle Übertragungskapazität realisiert werden können. In Frankreich müssen unter anderem die in den letzten zehn Jahren installierten digitalen Vermittlungssysteme erst umgerüstet werden und in Großbritannien verfügt ein großer Teil der Teilnehmeranschlußleitungen nicht über die notwendige Übertragungskapazität.

Eine gemeinsame EG-Telekommunikationspolitik mit dem Ziel, gleichzeitig in der gesamten EG ein ISDN und damit möglichst schnell ein EG-weites Angebot an neuen Telekommunikationsdiensten zu ermöglichen, setzt somit in den meisten EG- Ländern gegenüber den heutigen Planungen zusätzliche Investitionsaufwendungen voraus. Auf Widerstand dürfte vor allem das für eine solche Strategie notwendige vorzeitige Auswechseln von relativ jungen technischen Einrichtungen stoßen. Die Nachfrage nach ISDN-Anschlüssen wird allerdings primär bei den geschäftlichen Nutzern erwartet. Eine Vollversorgung dieser Nachfragegruppe bis zum Beginn der neunziger Jahre würde keine komplette Umrüstung des Fernsprechnetzes erforderlich machen. Je nach Land müßten nur zehn bis 20 Prozent der Telefonhauptanschlüsse an ISDN-fähige digitale Vermittlungseinrichtungen angeschlossen werden. Eine solche EG-weit abgestimmte Innovationsstrategie würde damit auf keine unüberwindlichen Finanzierungsprobleme stoßen.

Ziel der EG-Kommission ist nicht nur die beschleunigte Einführung neuer Telekommunikationsdienste, sondern auch die Schaffung eines gemeinsamen EG-Telekommunikationsmarktes. Durch Aufgabe der national orientierten Beschaffungspolitik der PTTs soll ein großer EG-Binnenmarkt entstehen, der es der EG- Telekommunikationsindustrie erlaubt, Größenvorteile in der Fertigung und im Forschungs- und Entwicklungsbereich besser zu nutzen, um auch auf dem Weltmarkt preiswerter anbieten zu können.

Hohe Forschungsausgaben für komplette Systemlösung

Die Notwendigkeit, bei der neuen Generation von digitalen Vermittlungssystemen eine komplette Systemlösung für alle Ebenen der Vermittlungsstellenhierarchie zu entwickeln, hat zu sehr hohen Forschungs- und Entwicklungskosten für die System- und die Softwareentwicklung geführt. Für die 14 weltweit entwickelten oder in der Erprobung befindlichen Systeme sind bis 1983 pro System durchschnittlich 1,3 Milliarden Mark ausgegeben worden. Von diesen 14 Systemen wurden sechs von EG-Herstellern entwickelt, an zwei weiteren waren die EG-Töchter multinationaler Unternehmen maßgeblich beteiligt. Anders als in der Bundesrepublik sind in Großbritannien, Frankreich und Italien auch erhebliche staatliche Zuschüsse in die Entwicklung geflossen. Da einerseits von einem Rückgang der wirtschaftlichen Lebensdauer von Vermittlungssystemen von heute 20 auf zehn Jahre ausgegangen wird und andererseits die Märkte in den meisten Industrieländern - aufgrund der bisherigen Planungen der PTTs - allenfalls langsam wachsen werden, versuchen alle Hersteller, Marktanteile in den schneller expandierenden Exportmärkten der Dritten Welt hinzuzugewinnen.

Von den jährlich weltweit etwa 30 Millionen Anschlußeinheiten (AE) werden bis jetzt aber nur zehn bis 20 Prozent im freien Wettbewerb vergeben. Insbesondere die Märkte der führenden Industrieländer, die über eine eigene nationale Telekommunikationsindustrie verfügen, sind für Importe nahezu geschlossen. In den vier größten EG-Ländern beziehen alle PTTs ihre öffentlichen Vermittlungseinrichtungen ausschließlich von nationalen Herstellern oder den inländischen Fertigungsstätten multinationaler Unternehmen. Bei einem großen Teil der kleineren Industrieländer und der Schwellenländer bestehen traditionelle Lieferbeziehungen, die neuen Wettbewerbern kaum eine Chance lassen. Auch die Deregulierungspolitik in den USA und in Großbritannien hat diese Situation bisher noch nicht entscheidend geändert.

Eine günstige Ausgangsbasis für den Wettbewerb auf dem Weltmarkt für öffentliche Vermittlungssysteme haben vor allem diejenigen Hersteller, die den großen Block der Forschungs- und Entwicklungskosten bereits in ihren traditionellen Märkten auf größere Absatzmengen verteilen können. Die Mehrzahl der Hersteller in der EG produziert in einer Größenordnung von 0,35 bis 0,45 Millionen Anschlußeinheiten pro Jahr, nur wenige Hersteller erreichen Produktionsmengen von über 0,5 AE.

Dagegen stellen die wichtigsten nordamerikanischen und japanischen Konkurrenten jährlich mehr als eine Million Anschlußeinheiten her. Eine EG-weite Öffnung des Telekommunikationsmarktes würde den wettbewerbsfähigsten Unternehmen die Chance einräumen, auch in einem EG-Binnenmarkt zusätzliche Marktanteile zu gewinnen. Die PTTs in der EG könnten von Preissenkungen profitieren, da die Forschungs- und Entwicklungskosten bei den gegenwärtigen Marktanteilen mit bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten kalkuliert werden.

Weniger stark wirken sich bei Vermittlungssystemen die mit höheren Produktionsmengen verbundenen Größenvorteile im Fertigungsbereich auf die Kosten aus. Zwar verschiebt sich durch den Übergang von der Elektromechanik zur Elektronik die produktionstechnisch optimale Betriebsgröße nach oben - für den Beginn der neunziger Jahre wird sie auf 1,0 Millionen Anschlußeinheiten pro Jahr geschätzt - , doch hält sich der Kostennachteil von Unternehmen, die diese Produktionsmengen nicht erreichen, in Grenzen. Bei einem Betrieb, der nur ein Drittel der optimalen Kapazität besitzt, sind die Herstellerstückkosten um maximal zehn Prozent höher. Dabei machen die Herstellkosten gegenwärtig etwa zwei Drittel der Gesamtkosten aus.

EG -Telemarkt fördert Spezialisierungstendenz

Größenvorteile sind im Endgerätebereich, in dem die Hersteller die Möglichkeit zur Spezialisierung haben, von untergeordneter Bedeutung. Ein gemeinsamer EG-Telekommunikationsmarkt würde allerdings solche Spezialisierungstendenzen und damit eine größere Produktpalette fördern. Vor allem würde das Risiko der Hersteller bei der Innovation technisch fortgeschrittener Endgeräte gemindert, wie sie für ISDN-Netze benötigt werden.

PTTs prägen nationale Märkte für Endgeräte

Bislang werden jedoch auch die nationalen Märkte für Endgeräte (Telefone, Nebenstellenanlagen, Fernkopierer und so weiter) entscheidend von den jeweiligen PTTs geprägt. Bei den Endgeräten, bei denen die PTTs ein Monopol haben, ist die Beschaffungspolitik ebenfalls national ausgerichtet. Bei den Endgeräten, die direkt von den Herstellern bezogen werden können, legen die PTTs die technischen Anforderungen für die Zulassung fest. Im Ergebnis beträgt der Anteil der Importe für Telekommunikationsendgeräte in keinem der vier großen EG-Staaten über zehn Prozent. Ein von der EG-Kommission angestrebtes vereinfachtes Zulassungsverfahren auf EG-Ebene, das automatisch für alle Mitglieder Gültigkeit besitzt, hätte deshalb ein ebenso großes Gewicht für den Abbau von Marktschranken wie EG-weite Ausschreibungen der PTTs.

Das auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht anzustrebende Ziel einer möglichst kostengünstigen Herstellung von Telekommunikationsprodukten wird in einem gemeinsamen EG-Telekommunikationsmarkt nur durch das gleichzeitige Ausscheiden von traditionellen Unternehmen der Telekommunikationsindustrie zu erreichen sein. Für einige EG-Staaten könnte dies einen starken Abbau oder gar den Verlust einer eigenen nationalen Telekommunikationsindustrie bedeuten. Aus deren Blickwinkel würde eine solche Entwicklung die "Abhängigkeit" vom EG-Ausland vergrößern, so daß politische Widerstände zu erwarten sind.

Großangelegte nationale Technologieförderungsprogramme, wie sie in Frankreich, Italien und Großbritannien vor allem zur Entwicklung digitaler Vermittlungssysteme durchgeführt wurden, wären mit einer konsequenten Politik des offenen Marktes ebenfalls nicht mehr vereinbar. Dasselbe würde für eine spezielle Förderung von Klein- und Mittelbetrieben gelten, wie sie von der Deutschen Bundespost praktiziert wird.

Selbst wenn die zu erwartenden politischen Widerstände überwunden werden könnten, wird es somit noch Jahre dauern, bis aus den zehn eigenständig gewachsenen nationalen Fernmeldenetzen ein einheitliches EG-Fernmeldenetz und damit auch ein technisch einheitlicher EG-Telekommunikationsmarkt entsteht. Da Telekommunikationsprodukte immer mit der jeweils bestehenden Fernmeldeinfrastruktur kompatibel sein müssen, wären zudem bei EG-weiten Ausschreibungen die traditionellen Lieferanten wegen ihres Erfahrungsvorsprungs zunächst im Vorteil. Die Hersteller von öffentlichen Vermittlungssystemen rechnen zum Beispiel für die Anpassung an ein fremdes Fernsprechnetz mit zusätzlichen Entwicklungskosten von mindestens einem Zehntel der Aufwendungen für die Basisentwicklung.

EG muß in langfristigen Kategorien denken

Die Ziele der EG-Kommission, die Einführung von neuen Telekommunikationsdiensten zu beschleunigen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EG-Telekommunikationsindustrie zu erhöhen, sind allenfalls langfristig zu erreichen. Eine Analyse der Ausgangssituation des Telekommunikationssektors in den vier größten EG-Ländern zeigt, daß unterschiedliche nationale Interessenlagen bestehen, die einer gemeinsamen EG-Telekommunikationspolitik entgegenstehen. Dabei ist eine Abstimmung der PTTs bei den Investitions- und Einführungsstrategien für neue Dienste weniger problematisch als eine Abkehr von national orientierten Beschaffungspolitiken, die bis heute einen gemeinsamen EG- Telekommunikationsmarkt im Wege stehen. Hier bestehen für die Öffnung der Endgerätemärkte größere Aussichten als für die technischen Komponenten der öffentlichen Netze. Als Mindestmaßnahme ist ein EG-weiter Standard anzustreben.

Der Autor ist Referent in der Verkehrsabteilung des DIW.

Dieser Beitrag wurde entnommen aus dem Wochenbericht 34/85 des "Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung" (DIW) in Berlin.