Im Bereich der DV-Berufsbildung sind kaum Rückkoppelungen eingebaut:

Nachwuchsmisere Schuld der Anwender

08.08.1980

MÜNCHEN (je) - Die DV-Anwender haben das Personal, das sie verdienen. Mit dieser Gegenthese gibt das Münchner DV-Bildungszentrum den Schwarzen Peter der Verantwortung für die Nachwuchsmisere in den datenverarbeitenden Berufen an diejenigen zurück, die sich darüber regelmäßig beklagen.

Dieter Ballin, freiberuflicher Bildungsplaner für das DV-Bildungszentrum, wendet sich vor allem gegen Äußerungen von Anwenderseite, wie sie im "Thema der Woche" vom 18. Juli in der COMPUTERWOCHE zu lesen waren. Seine Kernsätze:

- Die meisten Anwender wissen nicht, was sie von einer DV-Nachwuchskraft fordern können oder sollen.

- Die Anwender schaffen keine Basis für eine praxisnahe Berufsausbildung, weil sie klare Anforderungsprofile entweder nicht erstellen oder nicht zugänglich machen.

- Die Anwender informieren die DV-Bildungsstätten kaum über Plus- oder Minuspunkte angebotener DV-Lehrgänge.

- Der Anwender ist über das Angebot der DV-Bildungsstätten nicht - informiert.

Lesen Sie im folgenden Ballins Gegenstellungnahme, die sich in einzelnen Passagen direkt an Personen wendet, die sich im Thema der Woche zu Wort gemeldet haben, ungekürzt. n der Kolumne der CW über des Negativ-Image der DVler vom 18. Juli merkt Dieter Eckbauer an, die DVler haben die Presse, die sie verdienen - erweiternd könnte man hinzufügen: Die DV-Anwender haben das DV-Personal, das sie verdienen; denn liest man im Thema der Woche die Statements zu DV-Nachwuchsproblemen, so stellt man ein zum Teil erschreckendes Informationsdefizit fest. Sicherlich mag der eine oder andere der dort angeführten Organisations- und DV-Leiter schlechte Erfahrungen mit einigen DV-Nachwuchslern gemacht haben, doch können die dort gemachten Ausführungen nicht in derart verallgemeinerter Form einen Gültigkeitsanspruch erheben.

- Zunächst stecken in den Aussagen der Praktiker Widersprüchlichkeiten. Der eine lobt das "Praxiswissen der Informatiker" von Hochschulen, während der andere sie als "ohne Umschulung nicht brauchbar" einstuft.

- Der DV-Kaufmann wird als dem tatsächlichen Bedarf entsprechend beschrieben, während er tatsächlich wohl ein totgeborenes Kind ist (siehe viele Vergangene CW-Überschriften).

- Nur mit "Profis" lassen sich neue Programmier- und Anwendungstechniken realisieren, erläutert der eine, obwohl der andere auf weniger Programmierer wegen verbesserter Methoden hofft.

- Schaltalgebra und Zahlensysteme werden als "gute Ansätze" gewertet, der nächste kann ihnen nur vorsintflutliche und praxisfremde Eigenschaften zuordnen.

-"Entwicklungsrückstand" verzeichnet der eine beim Anwender, während der andere dies als richtiges Lernklima beurteilt.

Diese Stichpunkte verdeutlichen das Grundproblem Nummer 1:

Die DV-Anwender als Gesamtheit gesehen wissen nicht einheitlich, was sie von einer DV-Nachwuchskraft an Grundlagenwissen fordern können oder sollen.

Wissen sie es schon als Gesamtheit nicht, so sollten sie es zumindest firmenbezogen wissen - genauer: nicht nur firmenbezogen wissen, sondern auch dokumentiert haben. Langjährige Erfahrungen in Gesprächen mit Personal-, Organisations- und DV-Leitern zeigen immer wieder, daß hier eine der großen Schwachstellen in der DV-Personalbeschaffung, insbesondere bei Nachwuchskräften, liegt (es gibt Ausnahmen!). Zwar kennt man grob die Bezeichnung (beispielsweise Organisationsprogrammierer) und Produktname der eingesetzten Herstellersysteme, doch ein detailliertes Anforderungsprofil oder eine Stellenbeschreibung kann kaum einer aufweisen (natürlich auch dabei Update-Probleme). Eine zielorientierte Ausbildung auf Praxisbelange, wie sie jede berufsbildende Schule bieten sollte, kann langfristig nur auf derartigen Materialien aufbauen. Somit formuliert sich Grundproblem Nummer 2:

Die DV-Anwender schaffen langfristig keine Basis für eine praxisnahe Berufsausbildung, weil sie für ihren eigenen Bedarf keine klaren Anforderungsprofile erstellen oder solche nicht allgemein zugänglich machen.

DV-Nachwuchsprobleme: Warten auf den Klapperstorch? - Mit Worten löst man keine Probleme. Die meisten Probleme sind Informationsprobleme (wir DVler wissen es ja). Informationen sollten aber nicht nur vorwärts fließen, sondern auch rückwärts Rückkoppelung heißt das aktuelle Stichwort. Im Bereich der DV-Berufsbildung sind kaum Rückkoppelungen eingebaut. Nachdem nunmehr über 1000 Teilnehmer das DV-Bildungszentrum München, für dessen Bildungsgestaltung ich zuständig bin, absolviert haben, muß man sich ja rückblickend fragen, welche Kritik, Anregungen etc. ist von den DV-Anwendern deren Bedarf wir ja decken sollen, gekommen? Fast Null!

Damit dürfte wohl das nächste Problem gekennzeichnet sein:

Die DV-Anwender lassen den DV-Bildungsstätten kaum Informationen über Plus- oder Minuspunkte der Bildungsgänge zukommen.

Das soll keine Schwäche des DV-Bildungszentrums andeuten - denn die Initiative liegt nicht nur beim Anwender. Durch die fehlende Rückkoppelung tritt noch ein weiterer Effekt auf, der wie auf jedem Markt, so auch auf dem DV-Personalmarkt unangenehme Folgen zeitigt:

Der DV-Anwender ist über das Angebot der DV-Bildungsstätten nicht informiert.

Fehlende Information aber bedeutet Beschaffungsnachteile. Man kann all Absolventen in einen Topf werfen und das entsprechende Etikett draufkleben, man kann aber auch die Rosinen herauspicken und einen Teil der Personalmisere beheben:

- Herrn Wasyl Hasyn sende ich gerne die Liste unserer letztjährigen Absolventen zu, damit er seine Ansicht "DV-Organisatoren haben eine relativ geringe Chance, in der Datenverarbeitung Fuß zu fassen" korrigiert.

- Herrn Wasyl Hasyn senden wir gerne einen Lehrer ins Haus für seine betriebsinterne Schulung, damit er nicht mehr meint, beim Hersteller allein läge das Glück.

- Herrn Friedhelm Holtz verweise ich gern an das Münchner Arbeitsamt damit er dort seine "arbeitslosen" Schulabsolventen erfragen kann (Wohlgemerkt: Absolventen des DV-Bildungszentrums München). Es wird kein langes Telefongespräch sein.

- Herrn Friedhelm Holtz sende ich gerne unser Bildungsangebot, bei dem von ihn langfristig erwogene Formen der kooperativen Ausbildung längst verwirklicht sind (bisher beteiligte Firmen: Zwei Hersteller, drei DV-Großanwender) .

- Mit Herrn Konrad Sieman und Herrn Michael Schmidt teile ich gern die grundsätzliche Einschätzung über mögliche Ursachen der DV-Personalmisere.

- Alle vorgenannten Herren lade ich gerne zur Eröffnung unserer neuen Räumlichkeiten im Herbst dieses Jahres ein, damit sie zwischen 22 Datensichtstationen, sechs Band- und acht Platteneinheiten (rund zwei Milliarden Bytes Plattenspeicherkapazität), drei Druckeinheiten und über zwei Millionen Bytes Hauptspeicherkapazität herumwandern können und den Eindruck verlieren, eine praxisgerechte Ausbildung an einem DV-Bildungszentrum sei nicht möglich.