KOLUMNE

Nachteile durch Standardsoftware?

16.07.1993

Die Erfolgsmeldungen aus dem Hause IBM reissen nicht ab, die Botschaft bleibt die gleiche: weiterhin hohe Akzeptanz der IBM- Grosssysteme - trotz des "angeblich starken Trends zum Downsizing", wie es in einer aktuellen Presseinformation der IBM Deutschland GmbH sueffisant ausgedrueckt wird. Natuerlich gibt es auch Meldungen ueber OS/2-, AS/400- und RS/6000-Erfolge, womit das "angeblich" wieder relativiert waere. Doch bleiben wir bei den Grosssystemen. Sollte der immerwaehrende Mainframe fuer den IBM-Sanierer Louis Gerstner kein Krisen-Management-Thema sein? Von Gerstner weiss man nur, dass er sich dazu noch nicht aeussern will. In einem "sich wandelnden Umfeld" immerhin sehen die Oeffentlichkeitsarbeiter der Stuttgarter IBM Deutschland GmbH die Chancen der Mainframes gewahrt.

Dass von einem abrupten Ende der Mainframe-Aera nicht die Rede sein kann, darin sind sich IBMer und IBM-Kritiker ausnahmsweise einig. Wer in dem grossen Mainframe-Spiel viel zu verlieren hat, ist offenkundig. Leicht sollte es also niemandem mehr fallen, das Pferd vom Schwanz aufzuzaeumen. Eine Rechtfertigung fuer Mainframes brauchen die Anwender nicht. Die IT-Infrastruktur eines Unternehmens muss flexibel genug sein, die sich staendig wandelnden Geschaeftsprozesse zu unterstuetzen. Darauf verweisen die Analysten der OTR Group in einer Studie ueber die Situation der Unternehmens- DV (Seite x). Wenn Mainframes die Antwort sind: gut. Aber man sollte sich nichts vormachen lassen. Unter den Schlagworten Downsizing, Systemintegration und Client-Server wird von Teilen der DV-Industrie alter Wein in neuen Schlaeuchen angeboten.

Tatsaechlich geht es um Migration. Keine Lappalie gewiss: Welches Unternehmen kann mit seiner DV schon auf der gruenen Wiese von Grund auf neu anfangen? Das Ziel darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden: eine anpassungsfreundliche IT-Infrastruktur. Kostenvergleiche mit proprietaeren Systemen, wie sie Mainframes nun einmal sind, verbieten sich deshalb von selbst. Offenheit hat ihren Preis. Das gilt es zu beachten, wenn eine Erneuerung der DV angestrebt wird - nicht aus Selbstzweck, sondern weil nur so Wettbewerbsvorteile durch Informationstechnik zu erzielen sind.

Das gilt auch fuer einen Bereich, in dem moegliche Defizite nicht so offen wie bei den zentralen Hardwaresystemen, den Mainframes, zutage treten: den der Anwendungssoftware. Dass der Einsatz von Standardsoftware Nachteile bringen kann, ist einer der Schluesselsaetze der OTR-Studie: DV-Fach-Know-how gehe den Anwenderunternehmen verloren. Wenn es darauf nicht ankommt: gut. Andernfalls machte folgende fiktive Meldung Sinn: Trotz des angeblich starken Trends zu SAP-Software werden immer mehr Tools zur Entwicklung massgeschneiderter Individualprogramme verwendet - ganz ohne Sueffisanz, versteht sich.