Kein- und Mittelbetriebe rüsten in Deutschland auf elektronischen Arbeitsplatz um:

Nachholbedarf beflügelt DV-Konjunktur

11.10.1985

FRANKFURT - Während sich die Hiobsbotschaften am amerikanischen Computermarkt häufen. ist in der Bundesrepublik von einer Flaute noch wenig zu spüren. So lag der Umsatzzuwachs aller in Deutschland produzierenden Hersteller im ersten Halbjahr 1985 mit 15,6 Prozent weit über dem Durchschnitt der Industrie. Noch stärker drücken die um 34 Prozent gewachsenen Auftragseingänge die anhaltende Hochkonjunktur in diesem Markt aus, dessen Produktion 1984 um 32 Prozent auf einen Wert von 13.6 Milliarden Mark gestiegen ist.

Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, daß bei insgesamt stagnierendem Arbeitsmarkt die Zahl der Beschäftigten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in der DV- und Büromaschinenbranche um fünf Prozent auf 7Z 373 zugenommen hat. Die Ursache für das hierzulande noch ungebrochene Wachstum liegt vor allem in dem Nachholbedarf bei kleinen und mittleren Unternehmen, (...) ihre Vewaltung rationalisieren.

Unverändert starke Impulse gehen daneben vom Kreditgewerbe und vom Handel aus, die nicht nur ihre zentralen DV-Kapazitäten kräftig ausbauen, sondern auch die Zahl der dezentralen Computerterminals und Datenkassen laufend erhöhen.

Eindeutig auf Umbruch stehen indessen auch hierzulande die Zeichen am hart umkämpften Markt der Mikrocomputer, auf dem die Heimcomputer immer stärker von professionellen Rechnern verdrängt werden. Die in den vergangenen Jahren von hohen Zuwachsraten verwöhnten Hersteller mußten sich in der ersten Hälfte dieses Jahres mit einem Umsatzwachstum von weniger als 20 Prozent begnügen. Schleppend verläuft insbesondere das Geschäft mit Heimcomputern (bis 1500 Mark Kaufpreis), das 1984 mit rund 660 000 verkauften Einheiten seinen Höhepunkt wohl überschritten hat.

Der sich abzeichnenden Marktsättigung bei den leitungsschwächsten Systemen trugen die Produzenten mit einem differenzierten Angebot von Personal Computern Rechnung, deren Preise zwischen etwa 4000 und 10 000 Mark liegen. In diesem Marktbereich, der spätestens mit dem Einstieg des multinationalen Konzerns IBM aus seinem Embryostadium heraustrat, werden derzeit die besten Geschäfte gemacht.

Bis zum Ende des Jahrzehnts erwarten die Marktanalytiker der Diebold Deutschland GmbH bei den professionellen Mikrocomputern eine Verdreifachung des Bestandes auf rund 1,2 Millionen Stück. Der sich bereits abzeichnende scharfe Wettbewerb wird indessen auch hier dafür sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Selbst wenn Annahmen zutreffen, wonach in zwei Jahren vier von zehn Büroangestellten einen elektronischen Arbeitsplatz haben werden, räumt Diebold nur wenigen Großunternehmen gute Chancen ein.

Schon jetzt verzerren überdurchschnittliche Verkaufserfolge weniger Hersteller den Markt, auf dem etwa zehn von weitaus mehr als 200 Anbietern 80 Prozent des Absatzes unter sich aufteilen. Der bereits eingeleitete Ausleseprozeß wird sich bei Heimcomputern beschleunigen, prognostiziert Diebold, aber er wird auch vor den Herstellern professioneller Systeme nicht haltmachen.

Neben dem Trend zum leistungsfähigen Mikrocomputer verändert das Zusammenwachsen von Nachrichtentechnik und Datenverarbeitung die Arbeitswelk im Büro. Aus diesem Grund legten viele Elektronikkonzerne ihre Geschäftsbereiche Kommunikationstechnik und Datenverarbeitung zusammen, wie beispielsweise Siemens und Philips Kommunikations-Industrie. Andere Anbieter von reiner Nachrichtentechnik beschaffen sich das nötige Computerwissen über Beteiligungen, wie die SEL mit Computertechnik Müller in Konstanz (CTM).

Für die ehemals nur Computer bauende Nixdorf Computer AG machte sich hingegen das frühzeitige Einschwenken auf die digitale Nachrichtentechnik bezahlt. So erhielt Nixdorf im Endgerätemarkt als erster die amtliche Zulassung für einen Telefoncomputer.

Während herkömmliche Computer unterschiedliche Arbeitsabläufe in verschiedenen Abteilungen rationalisiert haben, integriert diese neue Generation von Geräten verschiedene Tätigkeiten an einem Arbeitsplatz. Telefon, Bildschirm, Drucker und Fotokopierer können in absehbarer Zeit in einem einzigen Gerät zusammengefaßt werden, wie beispielsweise in dem von Siemens mit großem Werbeaufwand angekündigten Multifunktionsterminal Hicom.

Im Fahrwasser der Computerhersteller bildete sich mit dem Verkauf von Software eine neue Dienstleistungsbranche heran. Der geradezu explodierende Markt wuchs 1984 um 30 Prozent auf 10,8 Milliarden Mark und hat sich damit innerhalb von fünf Jahren verdreifacht. Nunmehr schickt er sich an, das Umsatzvolumen von Hardware zu übertreffen. Der wachsende Bedarf an maßgeschneiderten Programmen wird den 1984 noch bei 45 Prozent liegenden Anteil der Software an den Gesamtausgaben für Computersysteme bis 1986 auf 50 bis 1989 auf fast 60 Prozent hochtreiben.

Den Löwenanteil dieses Geschäfts sicherten sich inzwischen mit 45 Prozent die vom Hersteller unabhängigen Software- und Systemhäuser. Die Computerproduzenten, die teilweise mit Programmen und Beratung mehr verdienen als mit dem Verkauf von Anlagen, halten noch 30 Prozent.