IBM plant längere Phase der Koexistenz von altem und neuem System

Nachfolger von Lotus Notes nimmt Gestalt an

13.02.2004
ORLANDO (ws) - Auf der diesjährigen Lotusphere gab die IBM Auskunft über den Fahrplan für ihre Collaboration-Plattform "Lotus Workplace". Ein wesentlicher Teil der Ankündigungen drehte sich um Möglichkeiten, Notes/Domino in die neue Umgebung einzubinden.

Nachdem IBM vor zwei Jahren eine neue Produktfamilie für Messaging und Collaboration auf Basis von "Websphere" und "DB2" angekündigt hatte, folgte im letzten Jahr die erste Ausführung von "Lotus Workplace" (LWP). Ende 2003 brachte Big Blue bereits die Version 1.1 auf den Markt, die neben einer E-Mail-Komponente die drei Module "Team Collaboration", "Collaborative Learning" und "Web Content Management" umfasst. Zahlreiche Vorträge auf der diesjährigen Lotusphere widmeten sich dem Fahrplan der neuen Software und den Möglichkeiten, sie mit Notes/Domino zu verbinden.

Nach der zurückhaltenden Positionierung von "LWP Messaging 1.0" als Lowend-Lösung schien sich eine klare Arbeitsteilung mit dem funktionsreichen Notes/Domino abzuzeichnen. Die IBM hatte indes von Anfang an betont, dass auf Basis von J2EE und relationaler Datenbank ein vollständiges Collaboration-Portfolio entstehen würde. Neue Versionen erhalten deshalb nicht nur zusätzliche Bausteine, sondern erweitern auch den Funktionsumfang bestehender Module. So holte die Messaging-Komponente in der Version 1.1 gegenüber Domino erheblich auf. Die Anwendung Team Collaboration kombiniert wesentliche Funktionen der schon länger bestehenden Produkte "Sametime" und "Quickplace".

Die Neuentwicklung der Collaboration-Anwendungen verfolgt nicht primär das Ziel, das entsprechende Produktportfolio technisch aufzufrischen. Vielmehr möchte die IBM damit ihre Teamfunktionen auf neue Einsatzgebiete ausrichten. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von "Contextual Collaboration", also der Verflechtung von Business-Anwendungen mit Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation und Kooperation. Anstatt wie klassische Notes-Anwendungen ein eigenes Fenster für ein Diskussionsforum, eine Projektplanung oder eine Dokumentablage zu öffnen, sollen etwa CRM- oder ERP-Anwendungen derartige Features nahtlos integrieren.

Ein solches Vorhaben legt einen technischen Ansatz nahe, der unterschiedliche Backend-Systeme unter einer Oberfläche zusammenführt. Aus diesem Grund fungiert der "Websphere Portal Server" als Dreh- und Angelpunkt der neuen Collaboration-Software. Auf dessen Grundlage bietet die IBM ihren Lotus Workplace als eine Sammlung von Softwarekomponenten an, die sich im Prinzip auch separat erwerben und betreiben lassen. Dennoch folgt Big Blue mit der neuen Collaboration-Suite einem Trend der IT-Industrie, dem Anwender ein möglichst vollständiges und integriertes Middleware-Portfolio zu verkaufen. Dieser Ansatz ist bei der IBM allerdings noch nicht so weit gediehen wie etwa bei Microsoft oder Sun, die bereits zahlreiche Produkte eng miteinander verzahnt haben. Die Unix-Company bietet zudem für den Erwerb des kompletten Middleware-Stapels ein eigenes Lizenzmodell an.

Im Idealfall entlasten die Hersteller mit solchen Softwarepaketen die Anwender von aufwändigen Integrationsarbeiten, ohne sie dadurch an der Nutzung von bereits vorhandenen oder konkurrierenden Produkten zu hindern. Im Fall von LWP wirbt die IBM damit, dass die darin enthaltenen Komponenten durch andere Software ersetzt werden können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich derartige Alternativen über Websphere-Portlets in eine gemeinsame Oberfläche einbinden lassen. Darüber hinaus bietet die IBM einige Wahlfreiheit bei der Nutzung von Infrastrukturdiensten. So können zur Authentifizierung von Benutzern unterschiedliche LDAP-konforme Verzeichnisse dienen. In der Version 1.1 unterstützt LWP neben dem standardmäßig angebotenen "IBM Directory Server" das Namens- und Adressbuch von Notes/Domino, Microsofts Active Directory, Novells "eDirectory" sowie den Sun-One-Verzeichnis-Server. Als Datenspeicher steht vorerst nur DB2 zur Verfügung, die Version 2.0 von LWP wird Oracle als mögliche Alternative vorsehen.

IBMs Portal-Server als Black Box

Auf der Lotusphere fragten einige Teilnehmer nach, ob IBM neben Websphere auch Applikations-Server anderer Anbieter unterstützen wolle. Aufgrund des im letzten Jahr verabschiedeten Portlet-Standards JSR 168 (http://jcp.org/en/jsr/detail?id=168) könne das keinen zu großen Aufwand erfordern. Allerdings wurden einige Basisfunktionen - etwa des Mail-Servers - nicht in Java implementiert, sondern als Erweiterung des J2EE-Containers. Aus diesem Grund will die IBM ihre neue Collaboration-Suite derzeit nicht auf andere Applikations-Server portieren. Vielmehr verfolgt sie das Konzept, LWP als Gesamtpaket zu vermarkten, bei dessen Installation eine Beschäftigung mit dem Websphere-Server angeblich nicht nötig sei. Er diene samt seinen Portalfunktionen als bloße Laufzeitumgebung, das Gesamtsystem lasse sich als eine Black Box betrachten. Daher sieht Big Blue für seine Portallösung sowie das darauf aufbauende LWP auch in solchen Unternehmen gute Chancen, die sich etwa für transaktionsorientierte Anwendungen auf J2EE-Server anderer Anbieter festgelegt haben.

Neuerungen in LWP 2.0

Rund ein halbes Jahr nach dem Erscheinen von LWP 1.1 plant die IBM, Mitte 2004 die Version 2.0 auf den Markt zu bringen. Diese soll eine neue Komponente für das Dokumenten-Management enthalten. Darüber hinaus sollen die bestehenden Module weiter ausgebaut werden. Besonders zentrale Groupware-Features wie Mail und Kalender erfahren eine deutliche Aufwertung und nähern sich damit weitgehend den Fähigkeiten ihrer Domino-Äquivalente an. So erhält LWP Messaging 2.0 Dateibetrachter für gängige Formate und zusätzliche Suchoptionen. Der bisher vorhandene persönliche Kalender wird gruppenfähig und erlaubt die Planung von Workflows. Außerdem kommen eine Aufgabenverwaltung und Chat-Räume hinzu. Während das neue Messaging-System bisher nur Basisdienste für Mitarbeiter ohne Schreibtischarbeitsplatz erbringen sollte, positioniert die IBM LWP 2.0 nun auch für fortgeschrittene Anwender. Notes/Domino bleibt vorerst noch exklusiv die Zielgruppe der Power-User.

Die größte Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der neuen Collaboration-Suite erregte die Ankündigung eines neuen Java-Clients. Er basiert auf dem "Eclipse-Framework (http://www.eclipse.org/), soll unter Windows, Mac OS sowie Linux laufen und mit LWP 2.0 ausgeliefert werden. Interessant erscheint diese Software gleich unter mehreren Aspekten. Sie soll eine Alternative zur Browser-basierenden Portaloberfläche sein, indem sie dem Benutzer ein besseres Ansprechverhalten bietet. Während das Web-Frontend oft schon bei geringfügigen Benutzeraktivitäten Daten an den Server sendet und danach die HTML-Seite neu aufbaut, verhält sich der neue "Workplace Client" wie eine normale Desktop-Anwendung. Er verarbeitet Informationen lokal und nutzt dabei die Rechenleistung des Desktop-PC. Gleichzeitig kann er dort Daten speichern und eignet sich deshalb für den Offline-Einsatz. Aufgrund dieser Fähigkeiten repräsentiert er das Gegenstück zu Notes auf der LWP-Seite. Im Gegensatz zum altbewährten Lotus-Frontend verwendet er als lokale Datenablage nicht das Notes Storage Facility (NSF), sondern greift dafür auf die mit Informix erworbene Java-Datenbank "Cloudscape" zurück. Referenten auf der Lotusphere hoben hervor, dass der neue "Rich Client" im Gegensatz zu Notes grundlegend auf offene Standards baue. So erfolgt die Datenreplikation nicht mehr über den Notes-RPC, sondern mittels SyncML. Für das Instant Messaging benutzt er anstelle des Sametime-eigenen VP-Protokolls das Session Initiation Protocol (SIP) sowie die SIP for Instant Messaging and Presence Leveraging Extensions (Simple). Die Daten empfängt er vom Server nicht in Form von HTML-Seiten, sondern als XML.

Pflegeleichter Java-Client

Mit der Ankündigung des Workplace-Client ist die IBM der erste größere Hersteller aus dem Java-Lager, der wie Microsoft ("Smart Client") XML-fähige Desktop-Anwendungen als Alternative zum Web-Browser (http://www.computerwoche.de/go/80114211 ) propagiert. Big Blue verspricht indes, dass dieses Modell die Vorteile beider Welten verbinde. Das neue Frontend biete den Benutzerkomfort einer klassischen PC-Applikation und lasse sich so einfach administrieren wie eine Web-Anwendung. Der modulare Aufbau der Software erlaube das Nachladen von Komponenten per HTTP, sobald sie benötigt werden. Auf demselben Weg sollen Updates zentral verteilt werden. Da die IBM den Workplace-Client als alternatives Frontend für ihre Portallösung positioniert, muss auch er in der Lage sein, die Benutzerschnittstelle abhängig von Personen oder Gruppenprofilen anzuzeigen. Eine separate Administration von Workplace-Client und Browser wäre dabei unerwünscht. Auf der Lotusphere demonstrierte die IBM, dass die auf dem Portal-Server hinterlegten Konfigurationen gleichermaßen für das Java und Web-Frontend gelten.

IBM verspricht volle Notes-Kompatibilität

Seit der Ankündigung der neuen Collaboration-Suite bekräftigte die IBM immer wieder, dass sie großes Augenmerk auf eine reibungslose Zusammenarbeit mit Notes/Domino legen werde. Entsprechend fungiert der neue Client als eine mögliche Integrationsschicht zwischen alter und neuer Produktlinie. Die vom Domino-Server angebotenen Dienste wie Mail oder Kalender kann er mittels offener Standards ohnehin konsumieren. Der Java-Client soll aber auch in der Lage sein, nicht Web-fähige Notes-Anwendungen unmodifiziert auszuführen. Dieses Versprechen gab die IBM auch für Linux ab, wo Anwender derzeit ohne eigene Notes-Version auskommen müssen. Die anwesenden Firmenvertreter konnten allerdings keine Auskunft darüber geben, wie diese Herausforderung technisch gemeistert wird. Sicher scheint nur, dass die Notes-Funktionalität nicht in Java neu programmiert und nicht Bestandteil der ersten Version sein wird. Die soll nämlich schon in vier Monaten auf den Markt kommen.

Beidseitige Integrationsoptionen

Domino wurde auf der Lotusphere stets als wichtiger Daten- und Anwendungslieferant für LWP bezeichnet, dessen Bildschirmausgabe zusammen mit jenen anderer Backend-Anwendungen im Portal zusammengeführt wird. Deshalb enthält Notes/Domino ab der Version 6.51 das "Domino Web App Portlet". Es soll beliebige Web-fähige Notes-Programme in die Portalumgebung integrieren. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin, solchen Legacy-Code zu portalkonformem Verhalten zu zwingen. Dies geschieht primär dadurch, dass alle in solchen Programmen enthaltenen Links vom Domino- auf den Portal-Server umgebogen werden. Andernfalls würde die Altanwendung beim Anklicken von Verweisen mit ihrer Seite das gesamte Fenster ausfüllen und damit das Portal verdrängen. Das Portlet dient somit als Reverse Proxy.

Als weitere Option zur Integration von Ressourcen einer Notes-Anwendung bietet die IBM den "Portlet Builder for Domino" an. Es handelt sich dabei selbst um ein Portlet, das im Point-and-Click-Verfahren die Auswahl von Datenbankfeldern und Spalten von Ansichten erlauben soll. Das Ergebnis besteht dann in einem Portlet, das zwar nicht das ursprüngliche Programm mit all seinen Funktionen ausführt, aber dessen Daten im Portal sichtbar und bearbeitbar macht.

Zur Darstellung der gängigen Notes-Dienste wie Mail, Kalender oder Aufgaben existieren entsprechende Portlets schon seit geraumer Zeit. Diese sollen in der zweiten Jahreshälfte jenen angeglichen werden, die korrespondierende Aufgaben für LWP erfüllen. Beispielsweise soll sich dann der Mail-Eingangsordner von Notes und LWP Messaging gegenüber dem Benutzer identisch präsentieren. Für die Version 6.51 wurde zudem ein Portlet für "Domino Web Access" (vormals "iNotes") angekündigt, das für Notes-Anwender die vertraute Web-Mail-Umgebung in das Portal bringt.

Eine Brückentechnik benötigen die beiden Produktlinien auch für Instant Messaging (IM). Nachdem der Workplace-Client nur SIP/Simple beherrscht, in der Notes/Domino-Welt aber das Sametime-eigene VP-Protokoll zum Einsatz kommt, können LWP-Anwender ihre Kollegen auf der Notes-Seite nicht via IM erreichen. Aus diesem Grund erhält LWP 2.0 auf der Server-Seite ein Gateway, das Anfragen von beiden Seiten in die jeweils andere Sphäre umsetzt.

Die Tools zur Integration von alter und neuer Collaboration-Plattform sollen beide Systeme in ihren vorhandenen oder kurz bevorstehenden Ausprägungen möglichst eng verbinden. Auf längere Sicht will die IBM aber LWP und Notes/Domino nicht parallel weiterentwickeln, sondern nach und nach zusammenführen. Bei dieser Konvergenz wird Notes/Domino die meisten Änderungen erleben, weil das neue System ja bereits auf der moderneren Middleware Websphere und DB2 läuft. Als nächster großer Schritt gilt die für Domino 7 angekündigte Unterstützung für die relationale IBM-Datenbank. Sie kann für beliebige Anwendungen alternativ zum Notes-eigenen NSF genutzt werden, wobei die Umstellung für Benutzer und Entwickler transparent sein soll.

Inkonsistentes Lizenzmodell

Für diese Version von Notes-Domino sieht die IBM eine Reihe weiterer Neuerungen (http://www.computerwoche.de/index.cfm?pageid=254&artid=57475) vor. Damit bekräftigt Big Blue sein Versprechen, die Traditions-Groupware noch auf lange Zeit weiterzuführen. Zu den geplanten Features zählen eine deutlich überarbeitete Unterstützung für Web-Services, Monitoring-Werkzeuge ("Domino Domain Manager"), um das Laufzeitverhalten von Programmen überwachen zu können, sowie Fortschritte von Notes hinsichtlich Bedienerfreundlichkeit. Notes/Domino 7 soll in etwa einem Jahr auf den Markt kommen. Schon etwas früher wird voraussichtlich das grundlegend überarbeitete "Domino Access for Outlook" fertig werden. Mit seiner Hilfe soll das Microsoft-Programm auf rund 90 Prozent der Domino-Standardfunktionen zugreifen können.

Geringe Integrationserfolge kann die IBM bis dato bei den Lizenzmodellen für beide Systeme vorweisen. Während Nutzer von Sametime und Quickplace die äquivalenten Funktionen unter LWP ohne zusätzliche Lizenzkosten in Anspruch nehmen dürfen, gelten bestehende Notes-Lizenzen nicht für den neuen Workplace-Client. Der Einsatz des mit LWP ausgelieferten Content-Management-Systems unterliegt ebenfalls eigenwilligen Einschränkungen. Damit dürfen nur Inhalte bearbeitet werden, die Anwender innerhalb desselben Portals publizieren. Ähnlich limitierte Rechte soll es auch für Sametime geben: Da es seit Notes/Domino 6.5 eng mit der Groupware verflochten ist, soll die Nutzung innerhalb der Mail-Umgebung oder der Willkommensseite ohne Aufpreis zulässig sein. Kommt es innerhalb selbst entwickelter Anwendungen zum Einsatz, ist eine separate Lizenz fällig.

Neu in Notes/Domino 7

Die für Anfang 2005 geplante Version 7 soll belegen, dass die IBM auch weiterhin in die Entwicklung der Traditions-Groupware investiert. Hier die wichtigsten der geplanten Features:

- Unter Domino 7 sollen beliebige Anwendungen anstelle der NSF-Datenbank auch DB2 nutzen können. Unterstützt werden nicht nur lokale, sondern auch auf anderen Rechnern installierte Instanzen des RDBMS.

- In Zukunft lassen sich Java- und Lotusscript-Anwendungen im Notes-Designer als Web-Services publizieren. Das Tool erzeugt dann eine WSDL-Datei, die zur Entwicklung von Soap-Clients ausgelesen werden kann.

- Der "Domino Domain Manager" kann unter anderem das Laufzeitverhalten von Agents überwachen. Er gibt etwa Auskunft über die CPU- und Speichernutzung eines Programms.

- Notes 7 soll überfüllte Kalender durch eine Archivierungsfunktion verschlanken. Für Anwender von Microsoft Office wird der Mail-Client Viewer für die neuesten Dateiformate (etwa WordML) enthalten.

Abb: Konvergenz der Systeme

Auch wenn Notes/Domino noch eine lange Zukunft beschieden sein soll, so möchte die IBM Doppelentwicklungen dennoch vermeiden. Deshalb will sie beide Systeme enger zusammenführen. Quelle: IBM