Ein Verein sammelt Hardware für ostdeutsche Schulen und Universitäten

Nachbarschaftshilfe für die DDR mit gebrauchten Rechnern

02.03.1990

HALLE - Gebrauchte Computer, im Westen kaum mehr verkäuflich, könnten in der DDR noch gute Dienste leisten. Der Verein "Computerhilfe" hofft, daß sie, statt im Keller zu verstauben, für ostdeutsche Schulen und Universitäten gespendet werden.

Um ein Haar wäre das große Ereignis noch im letzten Moment geplatzt. Am Donnerstag um 15 Uhr sollte die IBM 138 mit zwei 560-MB-Plattenstationen offiziell an die Martin-Luther-Universität in Halle übergeben werden. Die Anlage, ein Geschenk der Westberliner Computerhilfe e.V., die in westdeutschen Betrieben ausrangierte Hardware sammelt und an ostdeutsche Bildungseinrichtungen vermittelt, hatte bisher in den Büros des Maklers Willi Bedzko ihre Arbeit getan. Nachdem Bedzko auf eine AS/400 umgestiegen war, stand sie nutzlos in der Ecke. Ein Verkauf des betagten Stücks hätte kaum mehr etwas gebracht, und weil gerade Weihnachtszeit war, überließ er es dem, laut Satzung, "selbstlosen" Verein zur sinnvollen Weiterverwendung.

Als nach zwei Monaten endlich die bürokratischen Computersperren auf beiden Seiten aus dem Weg geräumt waren und die gute Tat sich ihrem Vollzug näherte, erschien im "Spiegel" ein Bericht, der alles wieder zunichte zu machen drohte. Da hieß es, die Anlage werde nunmehr dabei "helfen, die Ost-Studenten aus der technologischen Steinzeit ins Computer-Zeitalter zu lieben". Dieses "Computer-Recycling" brauche die DDR dringend. Denn Computer seien "am ostdeutschen Schulen und Universitäten bislang mangels Masse weitgehend unbekannte."

Professor Johannes Krötenheerdt, Direktor des "Organisations- und Rechenzentrums" der Halle'schen Uni und in den 50er Jahr en an der Entwicklung des legendären ZRA 1 (Zeiss Rechenautomat Nr. 1) beteiligt, des ersten in der DDR gebauten Computers, war zutiefst empört, hier als ein um Almosen bettelnder Computer-Neandertaler dargestellt zu werden. Seine erste Reaktion: "Dann sollen sie ihren ganzen Mist behalten." Nur mit Mühe gelang es Roland R. Vogel, dem Initiator des Vereins, und Krötenheerdts Mitarbeitern, den aufgebrachten Professor zu beruhigen - denn dringend gebraucht wird die Spende in der Tat. Allerdings nicht, um Meißel und Steinplatten als Rechenwerkzeug abzulösen, sondern weil damit endlich genug Plattenspeicher verfügbar würde für die vorhandene Eser 10/40, eine IBM/370-kompatible Anlage aus dem Kombinat Robotron.

Speicherplatz ist Krötenheerdts größtes Problem, und das hat zum Teil mit den politischen Entwicklungen der letzten Monate zu tun. "Eser" (Einheitliches System der elektronischen Rechentechnik), eine Standardisierung der Computertechnik innerhalb des Ostblocks, bedeutete auch eine internationale Arbeitsteilung zwischen den RGW-Staaten. Plattenlaufwerke kamen zum größten Teil aus Bulgarien - selten in ausreichender Menge und meist auch nicht in der gewünschten Qualität (ein Headcrash pro Monat ist üblich). Seit einigen Monaten jedoch kommt so gut wie nichts mehr aus den ehemaligen "Bruderländern". In dieser Situation sind die zweimal 560 MB der /38 ein Geschenk des Himmels. Und wenn alles gut geht, das heißt, wenn die Cocom-Zentrale in Paris zustimmt, kommen demnächst noch zwei Stationen mit je 720 MB dazu. "Damit", freut sich Krötenheerdt, "läßt sich dann schon einiges anfangen."

Ein Problem allerdings ist noch zu lösen: Die /38-Stationen passen nicht zur 1370. Angeblich gibt es eine Kopplung, aber die kostet bei IBM 1000 D-Mark das Stück - und Devisen sind immer ein Problem in der DDR. Insgeheim hofft der Professor, daß die deutsche Big-Blue-Tochter, die schon versprochen hat, die Systemsoftware für den Rechner zu spenden, auch hier aushilft. Wenn nicht, "kriegen wir das auch irgendwie zusammen".

Auch sonst fehlt noch einiges, soll die geschenkte Anlage auf absehbare Zeit wirklich genutzt werden können. Die Bildschirme zum Beispiel hat der Spender behalten und die in Halle vorhandenen passen nicht. Weil "in der DDR die Anwender ihre Anlagen selbst betreiben" und warten, werden zusätzlich Systemhandbücher benötigt.

Wenn alles beisammen ist, will man sehen, was sich weiter damit anfangen läßt. Das ideale Uni-Gerät, darüber war sich Krötenheerdt von Anfang an klar, ist die /38 natürlich nicht. Aber weil die universitäre Informatik in der DDR einen wesentlich breiteren Bildungsauftrag hat als nur die Spezialistenausbildung, ergeben sich dennoch interessante Perspektiven, von Anwenderkursen und technischer Beratung für andere IBM-Anwender in der DDR bis hin zur Abwicklung betriebswirtschaftlicher Projekte "Lohnauftrag für die BRD". Auch könnte die Anlage, meint Krötenheerdt, als Referenzinstallation für künftige IBM-Kunden in der DDR dienen. Lieber jedoch wäre es ihm, wenn die großen Hersteller seine Universität ähnlich wie westdeutsche Unis ausstatten würden, ohne solche Bedingungen.