Nach IBM 38 - Lieferstop: Wettbewerb entzerrt?

14.09.1979

"Die Auslieferungsverzögerung der IBM/38 hat einen neuen Touch in die Computerszene gebracht", freut sich Horst Gellert, Geschäftsführer der Honeywell Bull AG, Köln. Der Marktführer habe damit einen Beitrag zur Entzerrung des Wettbewerbs geleistet - unfreiwillig, aber wirksam. Auch die Siemens AG hat nach eigenen Angaben aus der IBM-Lieferschwierigkeit Nutzen gezogen - in Form von zusätzlichen Aufträgen. Skeptisch in Bezug auf den Belebungseffekt für das eigene Geschäft äußert sich lediglich Johann Himmel, Leiter des Unternehmensbereiches Marketing und Services beider NCR GmbH, Augsburg. Er glaubt, daß "die Anwender erst dann den Hersteller wechseln, wenn sie langfristig Vorteile sehen".

Johann Himmel

Leiter Unternehmensbereich Marketing, Services, NCR, Augsburg

Unsere Antwort auf die Frage, ob nach der Lieferverzögerung der /38 von einem neuen Verkaufsklima gesprochen werden kann, können wir für die nahe Zukunft mit einem Nein beantworten.

Ein neues Verkaufsklima würde dann entstehen, wenn Anwender aufgrund der /38-Verzögerung kurzfristig bereit wären, den Hersteller zu wechseln.

Aus der Sicht des Anwenders der hier relevanten Größenordnung sprechen folgende Gründe gegen einen kurzfristigen Herstellerwechsel:

Die EDV-Rahmenplanung ist bei Anwendern dieser Größenordnung langfristig orientiert. Kurzfristige Terminverschiebungen wirken sich auf die Gesamtwirtschaftlichkeit aus, ändern jedoch nur unwesentlich die Generallinie.

Anwender dieser Größenordnung fahren einen hohen Bestand an Anwenderprogrammen, die es zu konvertieren gilt.

Die Hersteller bieten unterschiedliche Anwender- und Systemsoftwarephilosophien an.

Obwohl wir sicherlich eine Anzahl von unzufriedenen /38-Interessenten und -Kunden zur NCR bringen werden - die später mit Sicherheit nicht mehr zu IBM zurückkehren werden - sehen wir unsere Stärke nicht in solchen kurzfristigen Aktionen.

Wir glauben vielmehr daß Anwender dann den Hersteller wechseln, wenn sie langfristig wirtschaftliche Vorteile sehen.

Obwohl wir unsere Chancen nutzen - ein neues Verkaufsklima erwarten wir nicht.

Siemens AG, München, Bereich Daten- und Informationssysteme

Wir können feststellen, daß die aktuelle Nachfrage nach Computern der IBM /38-Art auch bei uns sehr groß ist. Dementsprechend hoch ist die Auslastung unserer Werke. Weitere zusätzliche Aufträge sind auf die Liefersituation bei unserem Wettbewerber zurückzuführen. Diese Entwicklung wird sich unseres Erachtens noch fortsetzen. Deshalb werden zur Zeit, vor allem in der Produktion von Anlagen unseres Systems 7.500 erforderliche Vorkehrungen getroffen, um die zusätzliche Nachfrage innerhalb angemessener Lieferzeiten zu befriedigen.

Klaus Richter

Stellv. Geschäftsführer der ICL Deutschland International Computers GmbH, Nürnberg

Wenn Sie Telefonanrufe und Anfragen von IBM-Anwendern und Interessenten als Maßstab einer solchen Klimaveränderung nehmen wollen: Ja - solche Reaktionen haben wir bei ICL Deutschland durchaus gespürt. Denn heutzutage werden EDV-Entscheidungen so rational und im Rahmen einer umfassenden Investitionsplanung getroffen, daß nicht eingehaltene Lieferzusagen Enttäuschungen auf breiter Front und damit Neuorientierungen auslösen können.

Wir wurden aber durch die Meldungen über Probleme bei der IBM /38 nicht besonders überrascht. Über unsere ICL-Marktbeobachter sind wir stets über den Liefer- und Leistungsstand der wesentlichen Bewerber informiert; wir wußten, was kommen würde und haben uns darauf eingestellt. Wir haben daher von Anfang an mit offenen Karten gespielt, das heißt, wir haben das was wir unseren Partnern als Problemlösung anboten, in der Realität gezeigt und stets mit kurzen Lieferzeiten zu überzeugen vermocht.

Trotz des versuchten IBM-Störfeuers sind indessen unsere Erwartungen im Auftragseingang dieser Systeme voll erfüllt worden. Und, daß diese gestaffelten IBM-Freigaben in den letzten Monaten den Markt stören und aufrütteln sollten, haben auch inzwischen die Anwender erkannt, die sich jetzt fragen werden, welches Maß an Verbindlichkeit sonstige Hardware- und Software-Zusagen in Wirklichkeit haben. Aufgerüttelt haben die IBM-Ankündigungen den Markt tatsächlich, aber auch mit dem Erfolg, daß sich viele traditionelle Bindungen und Verkrustungen aufgelöst haben. Und das ist eigentlich das atmosphärisch Neue im heutigen EDV-Markt. Wir von ICL werden - zusammen mit unseren Interessenten und Anwendern - davon profitieren.

Horst Gellert

Geschäftsführer, Honeywell Bull AG, Köln

Die Auslieferungsverzögerung der /38, von der IBM am 3. 8. 79 mitgeteilt, brachte einen neuen Touch in die Computerszene, über den die Betroffenen allerdings wenig erfreut sein dürften. Hier wird gleichwohl ein neuer Aspekt skizziert: Der Marktführer leistet einen Beitrag zur Entzerrung des Wettbewerbs, unfreiwillig zwar, aber wirksam.

Natürlich auch schmerzlich wenn man bedenkt, daß bei einem Teil der abzulösenden Erzeugnisse die Mietpreise erhöht wurden. Immerhin, der Beweis für das Funktionieren der marktwirtschaftlichen Einflußfaktoren wurde schon früher angetreten, als nämlich aus einer zwingenden Marktwettbewerbssituation heraus der Marktführer die /38 ankündigte (ankündigen mußte, und zwar zu früh, wie sich jetzt zeigt). Ob dadurch eine Klimaveränderung im Computervertrieb eintritt?

Sicher ist es noch zu früh, diese Frage schlüssig- das heißt mit Erfahrungswerten - zu beantworten. Jeder Hersteller kann dabei nur für sich selbst sprechen. - Die Produktpalette der Honeywell Bull AG weist hierzu generelle und nicht nur situative Vorteile auf. Die Systeme 62/25 und 62/35, die einschließlich Software pünktlich, ausgeliefert

werden, sind voll kompatibel zu den bisherigen IBM-Modellen, deren Ablösung durch die /38 vorgesehen ist. Wir haben diese Kompatibilität in vielen Installationen bewiesen. Der Trend zum steigenden Absatz ist dabei klar erkennbar.

Inwieweit diese für uns günstige Entwicklung auch von den aktuellen, durch die erwähnten Lieferverzögerungen bestimmtes Klima beeinflußt oder gefördert wird, können und wollen wir nicht analysieren. Jedenfalls scheint festzustehen daß der mündige Benutzer den Slogan: "in der Masse stirbt sich's leichter", nicht mehr für sich gelten läßt: die Alternativen sind da und werden genutzt.

Walter Löffel

Geschäftsführer der Data General GmbH, Eschborn und Area Manager Mitteleuropa

Trotz hochautomatisierter Fertigungsverfahren, großer Fabriken und erfahrenem Produktions-Management gibt es auch in unserer Branche gelegentliche Lieferengpässe.

Der teilweise Ausfall eines einzigen kleineren Zulieferanten oder auch der unerwartet gute Verkaufserfolg eines vom Marketing eher "normal" eingeschätzten neuen Computersystems können die differenziertesten Vorausberechnungen über den Haufen werfen. Pannen dieser Art können jedem Hersteller unterlaufen. Kein Platz also für Häme oder Schadenfreude - zumal der Anwender wohl am übelsten dran ist, wenn er mit ausbleibender neuer Hard- und Software sein EDV-Konzept nicht termingemäß realisieren kann. Schwerwiegender einzustufen sind die Pre-Announcements der Computerindustrie, bei denen "Erlkönige" als ausgereifte und verfügbare Systeme offeriert werden. Hier liegen oftmals Markt-regulierungsabsichten vor, wenn mit einem Reißbrettprodukt von der Anwenderschaft möglichst viele Präjudizierungen für das eigene - oftmals futurologische - System ausgelöst werden sollen.

Langjährige EDV-Experten und Rechenzentrumsleiter kennen mehrere Fälle, in denen ihnen zu einem bestimmten Termin zugesagte neue Hardware nicht geliefert wurde.

Der aktuelle Anlaß der System /38-Lieferverzögerung - in dieser Zeitschrift ausgiebig dargestellt und kommentiert - zeigt meines Erachtens jedoch nur die negative Seite des Liefer-Flops. Hat man vergessen, daß es Alternativen gibt?

Im Klartext: Wer mit einer /38 hängengelassen worden ist und nicht warten will, bis er mit der Lieferung an der Reihe ist, der hat eigentlich nur eine echte Alternative:

Leistungsfähige Minicomputer mit genormten Sprachen, ausgefeilten Utilities, Familien-Kompatibilität, DFÜ-Fähigkeit und Multiterminal-Dialogeigenschaften.