IT in der Medienwirtschaft/Das Data-Warehouse in der Pay-TV-Abonnementverwaltung

Nach geglückter Generalprobe geht Premiere an den Start

18.07.1997

1994 lief in der Abonnentenverwaltung von Premiere ein System für Online-Transaktionsverarbeitung (OLTP) an. Es sollte ein Informationssystem entstehen, das Auswertungen und Standardberichte aus den Abonnentendaten erstellt.

Seine Grenzen zeigten sich jedoch bald: Erstens ließen sich die Abonnentendaten nicht ohne weiteres anderen Unternehmensdaten für Plan/Ist-Vergleiche gegenüberstellen. Die Möglichkeiten des eingesetzten Front-ends waren darüber hinaus schnell ausgereizt. Sie erwiesen sich als unflexibel und bereiteten Probleme beim Datendurchsatz. Und nicht zuletzt war die IT-Abteilung sehr damit belastet, die Anwender sowohl bei der Interpretation der Informationen, als auch bei der Navigation durch die Daten zu unterstützen.

Diese Schwächen legten die Idee eines Data-Warehouse nahe. Ziel war eine gemeinsame, konsistente und einheitliche Datenbasis für das gesamte Unternehmen. Die Informationen sollten für die Endanwender einfach und schnell zugänglich sein.

Der Anwenderkreis wurde größer als erwartet

Mit Beginn des Projekts im Februar 1996 bildete sich ein Projektteam aus IT-Experten (ein Berater von Apcon Professional Concepts und ein Premiere-Mitarbeiter) sowie aus Anwendern der Fachabteilungen Marketing, Controlling und Kundenservice.

In einem ersten Schritt war der aktuelle Informationsbedarf zu ermitteln, um den Inhalt des Data-Warehouse zu bestimmen. Die zukünftige Größe ist damit aber keineswegs auf längere Sicht festgelegt, sondern unterliegt weitaus stärker als in OLTP-Applikationen ständigen Entwicklungsprozessen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde klar, daß der Anwenderkreis wesentlich größer sein würde als ursprünglich angenommen.

Die Aufgabe der IT-Experten lag in der Konzeptionierung eines Data-Warehouse und der Evaluierung von Produkten. Dabei war zu berücksichtigen, daß die Erstellung einer Basisarchitektur Dreh- und Angelpunkt des Data Warehousing ist. Sie dient im weiteren Projektverlauf als Orientierungs- und Konzeptionierungsgrundlage.

Nach Abschluß des Konzepts waren verschiedene Werkzeuge für Online Analytical Processing (Olap) zu untersuchen. Die Konzentration auf die Front-end-Seite brachte eine schnelle Akzeptanz beim Endanwender. Die Daten stellte zunächst das alte Informationssystem bereit. Somit war das Projektteam in der Lage, schnell Ergebnisse zu präsentieren, und erst später konzentrierten sich die DV-Mitarbeiter auf den Prozeß der Datenextraktion und -kumulation.

Als nächstes fanden Workshops mit den Anbietern der zwei verbliebenen Olap-Werkzeuge statt. Die Endanwender beurteilten die dabei erstellten Prototypen und beantworteten einen von der Projektgruppe vorbereiteten Fragebogen. Aus IT-Sicht standen die Kriterien Performance, Administration und Entwicklungsumgebung im Vordergrund. Die abschließende Bewertung erfolgte nach einem Multifaktoren-Schema.

Dabei machte "Gentia" von der Planning Sciences/Milestone GmbH das Rennen. Ausschlaggebend waren neben der objektorientierten und leicht erlernbaren Entwicklungsumgebung die Produktivität bei der Erstellung von Analysen. Hinzu kommt, daß Software-Agenten die problemlose Eingliederung in die automatischen Abläufe der Client-Server-Umgebung erlauben. Auch die Anwender erteilten dem Produkt die besseren Noten.

Nachdem im Juli 1996 die erste Umsetzungsphase begann, folgte im November 1996 die Einführung des Data-Warehouse. Verschiedene Data-Warehouse-Komponenten waren in die Client-Server-Umgebung von Premiere zu integrieren.

Systemadministration nutzt alte Host-Operationen

Die operativen Daten wurden im ersten Schritt täglich, wöchentlich und monatlich über Nacht durch Cobol-Programme aufbereitet und auf den Data- Warehouse-Server transferiert. Zukünftig werden Einzeldaten in das Data-Warehouse einfließen, wobei das Werkzeug "Data Propagator Relational" (DPropR) von IBM helfen soll. Ziel ist es, die relevanten Daten täglich im Data-Warehouse zu aktualisieren.

Als relationales Datenbank-Management-System (RDBMS) läuft Oracle 7.3. Für den Client-Server-Betrieb nutzt die DV dieselbe zentrale Ablaufsteuerung und Überwachung mit dem vorhandenen Operating wie für das Host-Geschäft. Eine plattformübergreifende Lösung entwickelte die Firma Bertelsmann Media Systems mit "Bagjas/NT".

Eine automatisierte Ablaufsteuerung kontrolliert, daß Transferdaten in das RDBMS geladen und Daten für die multidimensionale Datenbank aufbereitet werden. Diese Prozesse sind mit Oracle PL/SQL (Stored Procedures) und Perl-Scripting entstanden. Die multidimensionale Datenbank wird mit Hilfe der Agententechnik aus Gentia aktualisiert.

Das Olap-Werkzeug Gentia besteht aus zwei Teilen: einer multidimensionalen Datenbank und einer Entwicklungsumgebung, die sowohl der Front-end-Erstellung als auch dem multidimensionalen Modellaufbau dient. Gentia findet Verwendung für umfangreiche Analyseapplikationen, die eine multidimensionale Datenhaltung erfordern.

Um mit geringem Aufwand Applikationen zu erstellen, die auf einer relationalen Datenbank basieren, nutzt Premiere "Insight" von Arcplan. Auf dieser Grundlage konzipierten IT-Mitarbeiter des Senders gemeinsam mit einem externen Berater beispielsweise ein Marketing- Planungssystem.

Es zeigte sich jedoch, daß eine Vielzahl von Anforderungen Ad-hoc-Auswertungen sind. Um in der IT-Abteilung hier eine Entlastung zu schaffen, testet Premiere momentan "Esperant" von der Software AG. Dieses Werkzeug ermöglicht es dem Endanwender, eigenständig Abfragen zusammenzustellen und auszuführen.

Zur Zeit evaluiert das Team außerdem Metadatenwerkzeuge verschiedener Anbieter. Der Einsatz eines solches Tools ist allerdings nicht in nächster Zukunft geplant. Mit zunehmenden Daten- und Informationsvolumen wird jedoch der Bedarf an einem entsprechenden Werkzeug steigen.

Das Data-Warehouse hat mittlerweile breite Anwendung gefunden. Ursache dafür ist der geringe Schulungsaufwand und die intuitiv bedienbare Oberfläche. Außerdem hat sich der laufende Betrieb von Gentia mit 60 angeschlossenen Anwendern sowohl im LAN- als auch im WAN-Bereich als stabil erwiesen. Die automatische Ablaufsteuerung sowie die Aktualisierung der multidimensionalen Datenbank durch Gentia-Agenten funktionieren nahezu reibungslos. Aus technischer Sicht ist die Installation der Clients unproblematisch.

Aber nicht nur qualitative Vorteile resultieren aus dem Einsatz eines Data-Warehouse, auch meßbare Einsparungen sind zu verbuchen. Bereits jetzt sind fachbereich- und plattformübergreifende flexible Auswertungen möglich, die zudem wirtschaftlich und zeitsparend sind.

Neue Informationen von unkalkulierbarem Wert

Und: Das Data-Warehouse liefert Informationen, die sich bisher oftmals nicht ermitteln ließen - ein nicht zu unterschätzender Aktivposten. Die Einsparpotentiale entlasten die IT-Abteilung auf mehrfache Weise: Auswertungsanforderungen entfallen, der Programmieraufwand verringert sich, und Host-Batch-Kosten lassen sich einsparen. Eine Gesamtbeurteilung wird erst nach der kompletten Implementierung aller Komponenten der Data-Warehouse-Architektur möglich sein.

Der Einstieg ins Client-Server-Computing erfordert einigen Basisaufwand. So war auch hier eine gewisse Durststrecke zu überwinden, bis die ersten Erfolge sichtbar wurden. Dennoch: Jede Abkehr von einer echten Data-Warehouse-Architektur führt letztendlich zu unbefriedigenden Teillösungen.

Auch Design und zusätzlicher Administrationsaufwand sind bei multidimensionalen Datenbanken mit zu berücksichtigen. Wünschenswert wäre mehr Offenheit, eine verbesserte Administration und standardisierte Abfragemöglichkeiten, wie sie heutzutage mit SQL bei relationalen Datenbanken möglich sind.

Momentan werden die letzten Anwendungen des alten Informationssystems in das Data-Warehouse intergriert. Die Anwender profitieren von der verbesserten Form und Informationen. Als nächstes steht der Umbau der Back-end-Komponente an. Ziel ist es, Detaildaten aus dem OLTP-Geschäft zu extrahieren, um damit eine höhere Flexibilität für weitere Auswertungen zu erreichen. Damit entstehen gleichzeitig Historiendaten, die in Zeitreihenanalysen nötig sind. Auf dieser zukünftigen Data-Warehouse-Informationsbasis werden die Mitarbeiter der Fachbereiche Ad-hoc-Abfragen selbständig formulieren und ausführen.

Apcon

Die Apcon-Gruppe ist ein international tätiges Beratungsunternehmen für Organisation und Informationstechnologie mit mehr als 200 Mitarbeitern. Aufgabenschwerpunkte sind die Beratung über zukunftsweisende Methoden, Verfahren und Technologien, eingebunden in ein zertifiziertes Qualitäts-Management.

Premiere

Der Hamburger Pay-TV-Anbieter Premiere hat seit seinem Sendestart am 28. Februar 1991 rund 1 500 000 Abonnenten gewonnen. Mit einem weitgehend exklusiven Angebot zu den Schwerpunkten Spielfilm, Fußball sowie Events aus Sport und Kultur hat sich Premiere eine feste Position neben den öffentlich-rechtlichen Sendern und dem werbefinanzierten Privatfernsehen erobert.

Angeklickt

Die Architektur sollte das Herzstück eines jeden Data-Warehouse sein, an der sich alle nachfolgenden Entwicklungen und Produkte orientieren. Bei einem entsprechenden Projekt des Pay-TV-Senders Premiere erarbeiteten zwei IT-Mitarbeiter die Basisarchitektur und die Konzepte. Darauf aufbauend wählten sie die Produkte aus und setzten Konzepte und Anwenderanforderungen um. Entscheidend für den Erfolg, früh genug die erforderlichen Mitarbeiter aus den verschiedenen Fachbereichen zu integrieren. Das Data-Warehouse ist seit einem Jahr in Betrieb und wird schon ausgebaut.

*Renate Hein ist Beraterin bei der Apcon Professional Concepts in Hamburg, Peter Kolkmann Projektleiter bei Premiere Medien GmbH & Co.KG Hamburg.