Risikokapitalmarkt steht die erwartete Konsolidierung bevor

Nach dem Hype: VCs bangen um ihre Geldmaschine

07.07.2000
MÜNCHEN - Der Pleitegeier, der seit Monaten über einigen US-Internet-Firmen kreist, hat auch die deutschen Risikofinanciers aufgeschreckt. Nach der Kurskorrektur an den internationalen Finanzplätzen hieß es zuletzt in Sachen Börsengänge am Neuen Markt: Nichts geht mehr. Mit fatalen Folgen nicht nur für die IPO-Kandidaten. Denn auch für einige der Venture Capitalists dürfte der Traum von schnellen Renditen fürs erste geplatzt sein.Von Andrea Goder*

Von der spürbaren Nervosität an den Aktienmärkten und dem Kurseinbruch bei Internet-Werten lässt sich Bernd Schnell nicht aus der Ruhe bringen. "Wir haben keine Angst davor, da der Markt etwas überhitzt war", stellt der Chef der Frankfurter IVC Venture Capital AG klar. Die 1997 gegründete Risikokapitalgesellschaft ist auf Internet-Startups fokussiert und führt derzeit 25 Beteiligungen im Portfolio. Noch im Februar dieses Jahres planten die hessischen VC-Geber, ihre insgesamt fünf Beteiligungsfirmen aus dem Jahr 1998 bis zum Jahresende an den Neuen Markt zu bringen. Die Krönung sollte schließlich der eigene Börsengang sein.

Von diesem ehrgeizigen Zeitplan mussten sich die IVC-Lenker nach der Ernüchterung im Internet-Markt jetzt distanzieren. Den Sprung aufs Parkett schaffte bislang erst eine Beteiligung - die in Petersberg bei Fulda ansässige Intraware AG. Seit Mai am Neuen Markt gelistet, notieren die Aktien des Lotus-Notes-Spezialisten derzeit allerdings 40 Prozent unter Emissionspreis. Vor kurzem musste zudem die auf Unified-Messaging-Systeme spezialisierte Media Service Group, eine weitere IVC-Beteiligung, ihr für das zweite Quartal geplantes IPO verschieben. Und auch die Münchner Webfair AG will - entgegen früheren Aussagen - den Börsengang nicht vor dem Jahr 2002 ins Auge fassen.

Wie die Frankfurter sind zuletzt auch zahlreiche andere etablierte VC-Gesellschaften, etwa 3i oder Atlas Venture, auf ihren Beteiligungen regelrecht sitzen geblieben. Dabei lief das Millionengeschäft mit Wagniskapital noch vor wenigen Monaten wie geschmiert - ein Ende des Booms schien nicht in Sicht. Allein in Deutschland stieg das Fondsvolumen für neue Investments im zurückliegenden Jahr auf 5,5 Milliarden Mark, davon entfielen rund 40 Prozent auf die IT- und TK-Branche (siehe Abbildung "Venture-Capital-Fonds" auf dieser Seite). Wie der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) in Berlin weiter herausfand, floss ein Drittel des Kapitals in die Frühphasenfinanzierung - also in Startups reinsten Wassers.

Das sind Zahlen, von denen man hierzulande lange Zeit nur träumen konnte, gemessen am großen "Vorbild" USA. Dort hat man es jedoch immer noch mit anderen Dimensionen zu tun.

Laut dem US-Marktforschungsinstitut Venture Economics wanderten allein im ersten Quartal 2000 stolze 22 Milliarden Dollar in neue Beteiligungen. Doch mit dem Marktumschwung bei Internet-Werten ist die "Money Machine" an den Kapitalmärkten auf beiden Seiten des Atlantiks ernsthaft ins Stocken geraten. "Sicher haben die Konsortialbanken, aber auch die VCs den Fehler gemacht, dass Unternehmen blindlings und zu früh an die Börse gebracht wurden", sieht IVC-Chef Schnell als eine der Ursachen für den momentanen Katzenjammer in der internationalen Risikokapitalszene.

Die Konsequenz dieser "Internetmania" an den Börsen ist jetzt um so einschneidender. Viele Anleger verloren das Vertrauen in einschlägige Titel, es kam zu regelrechten Panikverkäufen. Nach einer Untersuchung der US-Investment-Bank Morgan Stanley ist die durchschnittliche Bewertung von Internet-Firmen an der Nasdaq gegenüber den vergangenen 52 Wochen um 80 Prozent zurückgegangen - ein Sturz ins Bodenlose, auch wenn sich die meisten Cyberspace-Aktien gegenüber dem Vorjahr immer noch leicht im Plus befinden. Nicht enden wollen zudem die Meldungen aus Übersee, denen zufolge immer mehr der vermeintlichen Internet-Highflyer der Weg vor den Konkursrichter droht. Unangenehm zu spüren bekam die Abkühlung aber auch so manch "alter Hase" der New Ecomomy. So musste beispielsweise die Suchmaschine Altavista, eine Tochter der US-Internet-Holding CMGI, ihren Börsengang auf September verschieben. Bis dahin will der Web-Pionier den Sprung in die Gewinnzone schaffen.

Die in den USA um sich greifende Verunsicherung im Internet-Markt sorgt nun auch in der deutschen VC-Szene zunehmend für Nervosität. Hinzu kommt: Seit Wochen kursieren auch Spekulationen über vermeintliche schwarze Schafe unter den Web-Companies am Neuen Markt, die dieses Jahr finanziell nicht überleben werden - zuletzt angeheizt durch eine allerdings noch unveröffentlichte Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers. Immer häufiger müssen sich jedenfalls auch hiesige Venture Capitalists die Frage gefallen lassen, ob sie richtig investiert haben. Das gilt insbesondere für Internet-Werte. Doch auch hier liegen zwischen den USA und Europa Welten. Angaben des BVK zufolge waren 1999 in Deutschland erst zwölf Prozent aller Investments "Internet-related". Deutlich risikofreudiger zeigten sich die VC-Gesellschaften in den USA, deren Portfolio sich derzeit zu über 60 Prozent aus Repräsentanten der New Economy zusammensetzt.

Mit den geradezu paradiesischen Zuständen für Newcomer, bei denen die VC-Gesellschaften zeitweise regelrecht Schlange standen, scheint es jedenfalls bis auf weiteres vorbei zu sein. Immer häufiger blieb den Youngsters schon zuletzt der Zugang zu (immer noch) überquellenden Fonds der Wagniskapitalisten versperrt. Vor allem B-to-C-Neugründungen sind bei den Investoren in Ungnade gefallen - allen voran die berüchtigten "Cash-Burner", deren Business-Plan Millionen allein für den Aufbau einer "virtuellen Marke" vorsah.

Eine der VC-Gesellschaften, die aus der jüngsten Entwicklung bereits Konsequenzen gezogen hat, ist die 1997 in Hamburg gegründete Earlybird Venture Capital. Rund ein Drittel der insgesamt 34 Beteiligungen sind Internet-Startups, darunter die Online-Lotto-Annahmestelle Tipp24.de oder Crazyclick.de, ein Internet-Wettbüro. "Typische Internet-Themen schauen wir uns überhaupt nicht mehr an", zieht Earlybird-Partner Christian Nagel eine sehr ernüchternde Bilanz. Doch der neue Bannstrahl der Geldgeber trifft nicht nur Startups mit einer offenkundig exotischen und damit unrealistischen Geschäftsidee, sondern auch schon halbwegs etablierte Firmen. Immer mehr Companies blitzen Insidern zufolge auf der Suche nach Kapital für eine zweite Finanzierungsrunde ab - vielen hoffnungsvoll gestarteten Newcomern droht damit ebenfalls das schnelle Aus.

Einig sind sich Kenner der Szene aber auch noch in einem anderen Punkt: Dass die Auslese bei Internet-Firmen die Konsolidierung innerhalb der deutschen VC-Szene beschleunigen wird, in der sich momentan an die 220 Akteure tummeln. Dabei bildete der Verkauf der Münchner Technologieholding an die Londoner 3i Group nur den Auftakt einer Entwicklung, die jetzt an Fahrt gewinnen wird. "In Zukunft müssen VC-Gesellschaften global aufgestellt sein. Mit der vorhandenen Management-Konfiguration wäre dieser Schritt nicht möglich gewesen", nahm Falk Strascheg, Mitbegründer und langjähriger Chef der Technologieholding, bei der Begründung seiner Entscheidung kein Blatt vor den Mund. Um ihre internationale Schlagkraft zu erhöhen, wollen die britischen VCs, die sich bereits heute als Marktführer in Europa sehen, ihre Aktivitäten in den USA und Singapur forcieren. "Der Globalisierungsdruck wird lediglich fünf bis zehn große Wettbewerber entstehen und überleben lassen" prognostiziert 3i-Deutschland-Geschäftsführer Andrew Richards.

Als ernsthafte Bedrohung werden bereits heute große US-Fonds gesehen, die von Firmen wie General Atlantic, Benchmark Capital oder Carlyle betreut werden - allesamt etablierte VC-Gesellschaften, die in den europäischen Markt drängen. Einer der erfolgreichsten US-Wagniskapitalisten, Accel Partners, kündigte für den Herbst die Auflage eines 500 Millionen Dollar schweren "Europa-Fonds" an. Als neue Wettbewerber im VC-Markt wird man aber zunehmend auch renommierte US-Investmentbanken wie Merrill Lynch oder Goldman Sachs betrachten müssen, die nun im Fondsgeschäft ihr Glück versuchen. Ganz zu schweigen von "IT-Giganten" wie Oracle, Sun, Deutsche Telekom oder Siemens, die mit so genanntem Corporate Venture Capital um lukrative Deals buhlen. Last, but not least haben auch einige der Newcomer am Neuen Markt (zum Beispiel Tria Software, Plenum, Internetmediahouse) das Beteiligungsgeschäft entdeckt und schnappen den Big Playern immer häufiger interessante Investments weg.

Und was noch schlimmer ist: Trotz nach wie vor prall gefüllter Kassen beziehungsweise Fonds dürfte die Zeit der schnellen (Zufalls-)Gewinne - von der Gründung bis zum IPO verstrichen oft keine zwei Jahre - fürs Erste vorbei sein. "Die Venture-Capital-Firmen werden wieder genauer hinsehen, was und vor allem wen sie finanzieren", fasst BVK-Geschäftsführer Frommann die Ernüchterung der Branche nochmals zusammen. Studententrupps, denen noch im Januar "zwei Millionen Mark für eine Website für Hundehalter" nachgeworfen wurde, dürften in Zukunft leer ausgehen.

Doch die Spreu dürfte sich auch in anderer Hinsicht vom Weizen trennen. Denn zu besagter Konsolidierung in der VC-Szene kommt es nicht nur, weil sich immer mehr Anbieter im Markt tummeln. Es wird auch eine Frage der Qualität sein. "Viele VCs behaupten, Know-how und Kontakte mitzubringen, können das aber von ihrer Struktur her gar nicht leisten", so Frommann. Zu schaffen macht den Risikofinanciers vor allem der eklatante Mangel an Fachkräften mit "Track Record". "Die Personaldecke unserer Mitglieder ist verdammt dünn", weiß Frommann. Eine Aussage, der auch 3i-Deutschland-Chef Richards beipflichtet.

Bleibt zum Schluss die Frage, ob der VC-Boom trotz des gegenwärtigen Rückschlags bei Technologiewerten anhält. Branchensprecher Frommann geht davon aus, dass das Neugeschäft im Jahr 2000 nicht wieder die Rekordmarke des vorausgegangenen Jahres mit einer Steigerungsrate von 60 Prozent erreichen wird. "Aber der Markt wird auch nicht kippen", ist der BVK-Geschäftsführer überzeugt. Entscheidend für die weitere Marktentwicklung in Deutschland dürfte seiner Meinung nach der Ausgang der Unternehmenssteuerreform sein. Geplant sind von der Bundesregierung die Senkung des Körperschaftssteuersatzes auf maximal 25 Prozent und die steuerliche Freistellung von Veräußerungsgewinnen. "Dadurch würde der VC-Boom noch eine Weile am Leben erhalten", meint Frommann. Auch Richards gibt sich optimistisch. Der 3i-Chef glaubt, dass nach der "vorgezogenen Sommerpause" die Geldmaschine Neuer Markt spätestens im Herbst wieder in die Gänge kommt.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.

Abb.1: Venture-Capital-Fonds

Boom ohne Ende? Firmenpleiten und Verkäufe von Beteiligungen eingerechnet, ist das in Deutschland in VC-Fonds verwaltete Kapital 1999 um 4,5 Milliarden Markt gestiegen. Quelle: BVK

Abb.2: Bruttoinvestitionen

Ranking: Schon jetzt stellt die IT bei den neu aufgelegten VC-Fonds in Deutschland den größten "Einzeletat". Quelle: BVK