Mysap Technology: SAP startet als Integrator

14.11.2001
Von 
Vice President Software & SaaS Markets PAC Germany
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Alle reden von Web-Services, nun auch die SAP. Unter dem Label "Mysap Technology" kündigte der Hersteller eine technische Infrastruktur für solche Dienste an. Die Umgebung soll sowohl eigene Anwendungen als auch die Software anderer Anbieter integrieren können. Für die Anwendungsentwicklung sehen die Walldorfer J2EE und Abap vor.

"Während ERP zum De-facto-Backbone für unternehmensinterne Geschäftsprozessautomatisierung wurde, versucht die SAP nun den Kundenanforderungen im Hinblick auf Integration mit Frondend-Anwendungen wie CRM und Ende-zu-Ende-Prozessen wie SCM gerecht zu werden", kommentiert Jörg Knebusch, Analyst beim Beratungsunternehmen Meta Group Deutschland, den neuen Ansatz des Softwarekonzerns. Statt traditionsgemäß von "Integration" spricht die SAP gern von "Collaboration", da unterschiedliche Systeme über Standards kommunizieren sollen, die Rede ist von Datenformaten wie XML sowie dem Kommunikationsprotokoll HTTP. Gemeint sind damit elektronische Geschäftsprozesse zwischen Lieferanten und Kunden. Statt einzelne Softwareprodukte direkt miteinander zu verknüpfen, sollen Firmen über Web-Services kommunizieren.

Neuordnung des Portfolios

Bei Mysap Technology handelt es sich im Wesentlichen um eine Zusammenstellung existierender Software, die SAP entweder selbst entwickelt oder hinzugekauft hat. Die Kernkomponenten der Lösung bildet die "Portal Infrastructure", der "Web Application Server", die "Exchange Infrastructure" sowie Infrastrukturdienste für IT-Sicherheit und zur Systemverwaltung.

In der Portal Infrastructure fasst SAP Funktionen zum Browser-basierten Zugriff auf Business-Applikationen zusammen, die bereits heute von der Tochter SAP Portals vermarktet werden. Statt einzelne Softwareprodukte über spezielle Clients zu bedienen, bietet ein solches Portal Funktionen auf einer Web-Seite an, die in verschiedene IT-Systeme durchgreifen, seien sie von SAP oder von Drittherstellern.

Die Semantik unterschiedlicher Applikationen zu verbinden ist Aufgabe der Exchange Infrastructure. Die zugrunde liegende Technik stammt aus dem Portfolio der Tochter SAP Markets. Dabei handelt es sich laut SAP jedoch nicht um eine Vielzahl von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen Anwendungen. Vielmehr sollen die Beschreibungen einzelner Funktionen dieser Applikationen in das "Integration Repository" überführt werden, eine Art Datenbank für Programmverknüpfungen. Dieses Repository hat der Hersteller bereits mit allen eigenen R/3-Schnittstellen gefüllt, als da wären: Business Process Application Programming Interfaces (BAPIs), Intermediate Documents (Idocs) sowie Remote Function Calls (RFCs). Die Beschreibung dieser Schnittstellen erfolgt dabei über die Web Services Description Language (WSDL), die Spezifizierung von Datentypen mit der XML Schema Definition Language (XSDL).

XML-Standards

Informationen über die im Repository verfügbaren Schnittstellen-Beschreibungen liefert die Site ifr.sap.com. Kunden und Partnerunternehmen sollen um Interfaces erweitern, die Zugriff auf Anwendungen von Drittherstellern erlauben. Im Repository werden zudem Geschäftsprozesse modelliert.

In einem "Integration Directory" sind die konfigurationsspezifischen Eigenschaften der im Repository gespeicherten Verknüpfungen enthalten, die zur Laufzeit, sprich beim Ablauf der elektronischen Geschäftsprozesse, erforderlich sind. Die Kommunikation zwischen Anwendungen wickelt eine "Integration Engine" ab. Bei den Kommunikationsprotokollen setzt SAP auf das Simple Object Access Protocol (Soap). An XML-Dialekten will der Hersteller Formate wie etwa Rosettanet, ebXML sowie Biztalk unterstützen. Darüber hinaus können Anwender, wie bei allen Systemen dieser Art, weitere XML-Formate hinzufügen. Über das Integration Directory sind Geschäftsprozesse als Web-Services zugänglich. Nach Angaben des Anbieters sind Firmen in der Lage, diese Dienste in ein globales, öffentliches Web-Services-Verzeichnis auf Grundlage der Spezifikation Universal Description Discovery and Integration (UDDI) zu überführen.

Doch nicht alle Anwendungen lassen sich heute für Web-Services aufbereiten. Um mit Software ohne XML-Interface auf diese Weise kommunizieren zu können, benötigen Firmen Adapter, die applikationsspezifische Datenformate zunächst in XML umwandeln. So dient ein "SAP Adapter" dazu, ältere R/3-Systeme einzubinden.

Adapter für .NET

Für neuere ERP-Software ist dieser Adapter nicht erforderlich, da diese direkt über einen Applikations-Server eingebunden werden. Adapter sind zudem vonnöten, wenn beispielsweise selbst entwickelte Software etwa auf Mainframes einzogen werden soll.

Ein weiterer, für das zweite Quartal des nächsten Jahres angekündigter Adapter bindet auch die .NET-Systeme ein, so dass die Web-Services-Technik von Microsoft nicht außen vor bleibt. Für die künftige Entwicklung von Adaptern insbesondere zu Java-basierten Systemen setzt der Hersteller auf die von Sun spezifizierte "J2EE Connector Architecture".

Die wichtigste Komponente von Mysap Technology stellt der Web Application Server dar. Er fungiert als Laufzeitumgebung für Web-Anwendungen. SAP hatte sich durch die Übernahme von Prosyst Applikations-Server-Technologie eingekauft und vermarktet diese über die Tochtergesellschaft In-Q-My. Der Web Application Server ist eine Weiterentwicklung dieser Lösung und soll im zweiten Quartal 2002 mit vollem Funktionsumfang verfügbar sein. Er enthält mit "Web Dynpro" ein Entwicklungswerkzeug für Web-Anwendungen. Mittels Java Server Pages (JSPs) erzeugen Unternehmen HTML-Seiten für Browser-basierte Anwendungen. Ihnen steht zudem eine Bibliothek ("Taglib") an vorgefertigten HTML- sowie Wireless-Markup-Language-(WML-) Modulen zur Verfügung, Letztere sind für mobile Endgeräte erforderlich.

Wie eine Reihe anderer Hersteller bietet auch SAP demnächst J2EE-Funktionen in seinem Server an. Zusätzlich stattet der ERP-Spezialist das Produkt mit einer Programmierumgebung für Abap-Anwendungen aus. Die Geschäftslogik ihrer Internet-Anwendungen sollen Firmen entweder in Business-Objekte auf Basis von Abap oder in Enterprises Javabeans gießen können. Allerdings steckt SAP das Terrain vorsorglich ab: Die heute verfügbaren J2EE-Umgebungen würden sich zwar gut zum Entwickeln von Präsentationslogik eignen, doch für den Zugriff auf R/3 stellt Abap zurzeit noch eine leistungsfähigere Lösung dar. Auch das Aufbereiten von Tabellen gelinge mit der SAP-eigenen Programmierumgebung einfacher als mit Java. "SAP wird sein J2EE-Angebot so weiterentwickeln, dass geschäftskritische Anwendungen auch damit möglich sind", heißt es in einem White Paper. Schon in der Vergangenheit hat der Hersteller verkündet, sich langfristig von Abap verabschieden zu wollen.

Noch viel zu tun

So weit die Theorie. Denn bestehende Systeme auf diese Weise zu verknüpfen, erfordert erhebliche Anpassungsarbeit. "SAP selbst wird noch viel Entwicklungsleistung vollbringen müssen, damit R/3-Module über Web-Services angesprochen werden können", meint Helmuth Gümbel, Managing Partner beim Beratungshaus Strategy Partners International in München. Der Hersteller müsse rund 150.000 Screens von Dynpro nach Java umstellen, damit diese in Browser-basierten Anwendungen verwendet werden können. "Ich bin gespannt, wie und in welchen Schritten die SAP diesen Weg beschreiten wird."

Dem entgegnet SAP-Mann Barth, dass die meisten der besagten, mit Dynpro entworfenen Bildschirme keiner Änderung bedürfen, da die Web-Dynpro-Technik des Applikations-Servers entsprechende Importfunktionen bereitstellt. "Nur einige müssen wir anfassen", bemerkt der Hersteller, ohne eine genaue Zahl zu nennen.

Einsparungen fraglich

Generell will Gümbel nicht an die versprochenen Einsparungen bei der Entwicklung von Web-Anwendungen durch die Mysap Technology glauben. Trotzdem rechnet er mit guten Erfolgschancen für SAP mit dem neuen Ansatz, da sich die Kundschaft zum Großteil für Produkte aus Walldorf entscheiden werde, statt für die Lösungen von EAI-Spezialisten wie IBM/ Crossworlds, Vitria oder Tibco.

Gespannt auf weitere Details ist auch Gümbels Kollege Dieter Sinn, Chef der Münchner Unternehmensberatung Sinn-Consulting. Denn Hinweise darauf, wie nun Fremdapplikationen eingebunden werden sollen, fehlen ihm noch. "Der bunte Teller, dass auch Abap und .NET unterstützt werden, belegt den Marketing-Charakter, quasi Offenheit durch Vielfalt."