Munro und Bechtel verlassen das Board IBM-Chairman Gerstner will mehr IT-Expertise im Verwaltungsrat

30.07.1993

ARMONK (CW) - IBM-Chef Louis Gerstner will "frisches Blut" fuer das 18koepfige Board of Directors. Kurz vor der am 27. Juli stattfindenden Sitzung des IBM-Verwaltungsrats mehren sich die Zeichen dafuer, dass Gerstner vorhat, mehr Expertenwissen in das Aufsichtsgremium zu bringen. Der Spielraum fuer Neuernennungen ist vorhanden. Schliesslich warfen Helmut Siehler und Jack Kuehler bereits vor Monatsfrist das Handtuch und in der vergangenen Woche haben auch Richard Munro und Stephen Bechtel ihr Ausscheiden aus dem Board angekuendigt.

Munro, frueher Co-Chairman bei Time Warner, nannte gegenueber "Business Week" seine mangelnden Kenntnisse der Computerindustrie als einen Grund fuer seinen Ruecktritt: "Das Geschaeft ging ein wenig an uns vorbei", raeumte er ein. Diese Begruendung kommentiert das amerikanische Wirtschaftsblatt bissig als "bemerkenswerte Einsicht". Schliesslich gehoere Munro nicht nur seit 1979 dem IBM- Verwaltungsrat an, sondern sei ausserdem Mitglied des maechtigen "Executive Committee" gewesen. Eine dem Board nahestehende Quelle habe sogar den Ruecktritt aller Mitglieder des achtkoepfigen Executive Committees gefordert: "Niemand hat gewusst, was vor sich gegangen ist, aber jeder haette es wissen muessen", zitiert "Business Week".

Der Rest des Boards habe auch nicht gerade ruhmreich agiert. Es sei mit Vertretern fuehrender Firmen gespickt, die den Herausforderungen in der Computerindustrie nicht mehr gewachsen seien. Dazu einer der Outside-Directors: "Vor fuenf Jahren waren wir Weltklasse, aber es macht fuer Dick Munro oder Thomas Murphy keinen Sinn mehr, Mitglieder des

Boards zu sein." Auch Munro selbst raeumte ein, dass "sich die Anforderungen an den Verwaltungsrat geaendert haben". Deshalb erwartet er noch weitere Ruecktritte. "Ich denke, dass Lou (Gerstner, Anm. d. Red) ein juengeres Board verdient hat. In einer schnell fortschreitenden Industrie braucht man juengere Beine", sagte er dem Wirtschaftsblatt.

Unter Berufung auf die "New York Times" berichtete "vwd", dass Gerstner in der Tat viel daran liegen wuerde, im Board mehr Expertenwissen ueber die Computerindustrie und Know-how ueber High- Tech-Management zu versammeln. Damit wuerde der IBM-Chef auf die Kritik der Aktionaere reagieren, die auf der letzten Hauptversammlung im April ueber die mangelnden Industriekenntnisse des Verwaltungsrats geklagt hatten.

Damals hat sich laut "Financial Times" einer der Aktionaere darueber beschwert, dass die Direktoren wie "alte Seilschaften" operieren wuerden und sich wie "Cheerleeder" des Managements verhalten haetten, anstatt als "Wachhunde" der Aktionaere zu agieren.

Die Erneuerung des Boards sei eines der wenigen positiven Signale, die Gerstner kurzfristig geben koenne, berichtet "Business Week" weiter. Allerdings koennte der IBM-Chairman bei der Ernennung neuer Board-Mitglieder auf Gegenwehr seiner Aktionaere stossen, die es lieber sehen wuerden, wenn ein unabhaengiges Komitee von "Outsidern" Kandidaten fuer den Verwaltungsrat vorschlagen wuerde. Der fruehere Chairman der Bechtel Group, Stephen Bechtel, gab keine Stellungnahme zu seinem Ruecktritt ab.

Positive Signale hat Gerstner bitter noetig. Denn Analysten prognostizieren einen Quartalsverlust von 20 Cent pro IBM-Aktie. Die Boerse hat bereits auf die noch ausstehenden Hiobsbotschaften reagiert. Am Freitag vergangener Woche sank der Kurs der Big-Blue- Aktie auf das historische Tief von 41,6 Dollar.

Dieser Kurs war fuer Rick Martin, Director Research der Chicago Corp., Anlass fuer weitere duestere Prognosen. Laut "Computergram" erwartet Martin einen Aktienkurs von 36 oder 37 Dollar. IBM wuerde in diesem Jahr wahrscheinlich 50 000 Mitarbeiter von der Lohnliste streichen. Gehe man davon aus, dass pro 10 000 gestrichenen Stellen der Buchwert pro Aktie um 1,25 bis 1,50 Dollar sinke, liesse sich dieser Wert leicht errechnen. Dann allerdings werde IBM ein attraktives Ziel fuer Akquisition und Aufsplittung.