Multis im Kreuzverhör

04.12.1974

MÜNCHEN - Drei Tage lang diskutierten 40 führende Vertreter multinationaler Unternehmen hinter verschlossenen Türen im Bonner Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Rolle der multinationalen Unternehmen und ihre Auswirkungen auf weitere wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung und auch die geplante Mitbestimmung in Großunternehmen. Initiator des Multitreffens war Bundeskanzler Helmut Schmidt, der bereits seit gut einem Jahr - damals noch Finanzminister der Regierung Brandt/Scheel - versuchte, in Zusammenarbeit mit den Organisatoren der Ebert-Stiftung einen geeigneten Termin für die deutschen und amerikanischen Manager zu finden.

Verärgerter Präsident des Kartellamtes

Ausgeschlossen von diesem Meeting waren Wissenschaftler und Beamte. Bedingung für die Teilnahme an der Veranstaltung war für einige Vorstandsvorsitzende bekannter Konzerne, daß keine "Anti-Trust"-Leute und Wettbewerbshüter anwesend seien. Nach dieser Forderung legte der Präsident des Berliner Kartellamtes, Eberhard Günther, verärgert sein Amt als Mitglied des Kuratoriums der Ebert-Stiftung nieder.

"Was mit den Multis los sei, müsse vorurteilslos geprüft werden", meinte der Bundeskanzler. "Richtig ist, daß sie sich wie Fremdkörper in der nationalen Wirtschaft benehmen."

Schweigen bei den deutschen Computerfirmen

Die amerikanischen Konzerne entsandten meist ihre europäischen Top-Manager. Vertreter der Computerindustrie waren Honeywell, IBM, ITT, NCR und Siemens. Auf Anfragen seitens der Computerwoche während des Meetings über das erwartete Ergebnis der Veranstaltung wollte keines der Unternehmen eine Stellungnahme abgeben. Teilweise war nicht bekannt, wer von den Top-Managern der in Deutschland vertretenen Firmen anwesend war.

Anfragen an den Veranstalter, die Friedrich-Ebert-Stiftung, brachten folgendes Ergebnis:

"Die deutsch-amerikanische Konferenz wurde von allen Teilnehmern als erfolgreich, sinnvoll und für die Zukunft gerade des deutsch-amerikanischen Verhältnisses als wichtig bezeichnet."

Verhaltenskodex für weltweite Regelung

Bundeskanzler Helmut Schmidt der am 25. November ein Referat hielt und mit den Vertreten der Unternehmen diskutierte, regte hierbei an, daß vielleicht - zunächst einmal auf deutsch-amerikanischer Basis ein Kodex des guten Verhaltens multinationaler Unternehmen ausgearbeitet werden solle, einen "Code of good Behaviour". Dieser Verhaltenskodex könne später durchaus das Modell für eine weltweite Regelung darstellen.

Während der Konferenz, bei der die. Bundesminister Apel, Bahr und Matthöfer sowie mehrere Staatssekretäre der Bundesregierung referierten, trat insbesondere der Mangel an internationalen Rahmenbedingungen für die Behandlung und Bewertung der Aktivitäten multinationaler Unternehmen zutage.

Seitens der Bundesregierung wurde mehrmals auf die wichtige und positive Rolle hingewiesen welche die Multis bei der Ölversorgung der Bundesrepublik während der Ölkrise übernommen hätten.

Inflation der Weltwirtschaft

Bundesminister Bahr kam Zu dem Fazit, daß die multinationalen Unternehmen schneller als die Regierungen der industrialisierten Welt die Konsequenzen aus dem Zusammenwachsen der Weltwirtschaft gezogen hätten.

Allgemein wurden die Probleme, die sich aus der Inflation für die Weltwirtschaft ergeben, als größer und gefährlicher bewertet als die Folgen der Ölkrise.

Mehrere amerikanische Teilnehmer brachten den Wunsch zum Ausdruck, daß es wichtig wäre, eine ähnliche Konferenz, über den deutsch-amerikanischen Rahmen hinausgehend, für die gesamte EG-Ebene durchzuführen. Bereits Anfang November gab es ein Hearing, das von der CDU/CSU beantragt wurde. Der Erfolg und die Aussagekraft ließen zu wünschen übrig: Die Multis gaben sich zugeknöpft, weil wenig sachkundig gefragt wurde. Als typisch deutscher Multi stellte sich die SEL vor, die zu 100 Prozent der amerikanischen ITT gehört, jenem Super-Multi, der mildem Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Allende ins Gerede kam.