Der Gastkommentar

Multimedia - Profi-Tool oder Millionaersspielzeug?

30.04.1993

Vor Jahren schrieb der Autor unter seinem Pseudonym: "Doch da Prognosen und Visionen so beliebt sind, wagt auch Orcolix eine: Im Jahre 2000 sind Bildtelefone ebenso ausgestorben wie Telefax-, Teletex-, Telex- und spezielle Btx-Geraete. Denn dann hat jeder gute Buerger seinen Multimedia-PC, mit dem er beispielsweise seine persoenlichen Bewegtbilder aufzeichnet und ueberarbeitet, um sie dann - zusammen mit Sprache, Musik, Text und Grafiken - per DFUe und Modem zu uebertragen." Diese Prognose muss der Autor jetzt revidieren, denn: Wer ist schon Millionaer?

Was ein Anbieter konkret unter dem Multimedia-Begriff versteht, haengt natuerlich davon ab, was sein jeweiliges Produkt kann; so sprechen beispielsweise Anbieter von Lehrprogrammen schon von einem multimedialen Konzept, wenn sie neben Software und Buechern auch Tonkassetten mitliefern. Grundsaetzlich geht es bei Multimedia jedoch um die Kombination und Integration von Daten, Texten, Bildern, Sprache und Toenen. Und die wird teuer.

Das zeigt sich heute schon bei der Vorstufe von Multimedia- Loesungen. Moderne Grafikdateien von oftmals sehr fraglichem Wert benoetigen ein riesiges Speichervolumen. Die Anbieter umgehen das damit verbundene Kostenproblem, indem sie einen Teil ihrer "Software" auf CD-ROM oder Videokassetten ausliefern. Das zwingt die Anwender, falls sie diese Optionen nutzen wollen, entsprechende Laufwerke, Steckkarten und Treiber zu installieren; wobei letztere wiederum die Speicherkapazitaet auf der Festplatte verringern.

Aber selbst wer diese Peripherie installiert hat , will auf Dauer sicherlich nicht damit arbeiten, denn schliesslich muesste er bei jedem Laden vom CD-ROM-Laufwerk Mittagspause machen. Also muessen zusaetzliche, groessere und schnellere Festplatten her. Wie schnell aber sogar eine 500-MB-Platte voll ist, glaubt nur jemand, der es selbst einmal erlebt hat. Im Hinblick auf Multimedia-Anwendungen mueeigentlich heutzutage jeder PC mit einer GB-Platte ausgeruestet sein. Doch die Hardware-Anbieter hinken den tatsaechlichen Anforderungen weit hinterher. Was soll man beispielsweise mit 1,4- MB-Disketten anfangen, wenn man eine Grafikdatei weitergeben will, diese aber selbst nach einer Komprimierung immer noch ueber 2 MB gross ist? Zwar gibt es Disketten sowie Wechselplatten mit groesserer Kapazitaet, aber ohne Standards und ohne Kompatibilitaet zur informationstechnischen Ausstattung der Empfaenger.

Und die Dateien per DFUe zum Empfaenger zu uebertragen, wuerde bedeuten, dass beide Seiten unter anderem in schnelle und sichere Modems investieren muessten. Apropos investieren: Wenn schon hochaufloesende Farbgrafik, dann sollte man sie nicht nur am Bildschirm, sondern auch auf dem Papier betrachten koennen. Doch ueber die Preise solcher Farbdrucker und -drucke (Stichwort: Materialkosten) schweigt des Kommentators Hoeflichkeit. Jedenfalls: Wer sich eine vollstaendige Multimedia-Ausruestung - inklusive Hifi- Lautsprecherboxen - leisten will, sollte moeglichst Millionaer sein.

Aber es sind ja nicht nur die einmaligen Investitionen, die Multimedia so (lieb und) teuer machen; denn schliesslich heisst es ja "Zeit ist Geld". Und Zeit, viel Zeit braucht man fuer dieses Faible. Schon das Laden und Speichern einer nicht ganz kleinen Grafikdatei von beziehungsweise auf Festplatte erzeugt - und das sogar bei einem 486er-PC mit SCSI-Drive - ein Kribbeln in den Fingern. Schliesslich moechte man weiterarbeiten und nicht staendig eine sich drehende Sanduhr, die wandernden Zeiger einer kleinen Uhrgrafik oder den Hinweis "Arbeite..." auf dem Bildschirm sehen. Und waehrend so eine Grafik dann ausgedruckt wird, kann man entweder im Pub einen Whiskey trinken oder eine Runde Golf spielen. Auch das koennen sich eigentlich nur Millionaere leisten.

Schon der Aufbau sogenannter Diashows - mit Grafiken vom CD-ROM- Laufwerk und vom Videorecorder sowie eigenen Sound-Dateien - kann den Anwender in den Abgrund der Verzweiflung stuerzen. Vor allem, wenn ein Programmabsturz die Arbeit von Stunden zunichte macht. Sicherlich liessen sich manche Abstuerze, die nicht auf Fehlern im gelieferten Programm basieren, verhindern. Aber dazu muesste man die gesamte Dokumentation lesen, und zwar sowohl die als Handbuch gelieferte als auch die in gespeicherten Dateien versteckte, denn in der Regel sind beide nicht deckungsgleich oder widersprechen sich sogar; erst recht gilt das bei neuen Programmversionen.

Aber ein Jahr Dokumentationslektuere nebst Update-Studium bei neuen Versionen koennen sich wohl auch nur Millionaere leisten. Das Wichtigste lernen sie dabei ausserdem gar nicht; naemlich alles das, was Texter, Grafiker, Toningenieure etc. sich im Laufe ihrer Ausbildung aneignen. Wenn man fuer Datenbanken Datenbank-Manager und fuer die Software-Entwicklung System-Engineers braucht, wieso existiert dann eigentlich keine Ausbildung zum Multimedialisten?

Bereits 1984 gab es auf der CeBIT Multimedia-Praesentationen in Form von Shows, die die Besucher an den jeweiligen Ausstellungsstand locken sollten. Heute scheint es manchmal so, als sollten mit dem griffigen Schlagwort die Anwender zu unnoetigen Investitionen verfuehrt werden. Denn, dass man fuer echte Multimedia- Loesungen sehr viel Geld und Zeit benoetigt, ist die eine Seite der Medaille; auf der anderen steht die Frage nach dem Sinn des Aufwands. Sicherlich gibt es Gestaltungsexperten, fuer die Multimedia-Loesungen eine Hilfe sein koennen. Ferner brauchen Spiele-Freaks den richtigen Sound, wenn sie beispielsweise den Irak-Krieg nachvollziehen oder Weltraummonster abschlachten.

Aber wenn Sie morgens Ihren PC einschalten, reicht doch eigentlich auch eine Folge von Beep-Toenen zur Begruessung. Oder?