Multimedia/Home Automation mit, aber auch ohne PC moeglich

Multimedia-PC als Leitstand fuer innovative IT- und Haustechnik

08.03.1996

In den USA gibt es bereits ein breites Spektrum von Home- Automation-Systemen und Dutzende von Anbietern entsprechender Hard- und Software. Die Zeitschrift "Electronic House" widmet sich exklusiv diesem Thema, und im Internet existiert gar eine Newsgroup dazu (news:comp. home.automation - "The newsgroup for the home automation enthusiast").

Dafuer sprechen insbesondere zwei Gruende. Zum einen besteht in den Industrienationen die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu reduzieren. Dies ist ohne Einbussen im Komfort ueber ein gezieltes Energie-Management zu realisieren. Genau dies leisten Home- Automation-Systeme. Sie sorgen dafuer, dass Energie nur dann verbraucht wird, wenn man sie benoetigt beziehungsweise reduzieren sie die Energieverschwendung. So lassen sich gezielt nur die Raeume beheizen, die genutzt werden. Oder ein Heizkoerper wird kurzfristig abgestellt, solange das Fenster geoeffnet ist. Ist das Fenster wieder geschlossen, bringt das System die Raumtemperatur wieder auf das gewuenschte Niveau. Auch bei der Beleuchtung helfen Home- Automation-Systeme den Energieverbrauch und damit die Kosten zu senken: Lampen werden etwa nur dann eingeschaltet, wenn sich jemand im Raum befindet, oder die Beleuchtungsstaerke wird entsprechend der tatsaechlichen Helligkeit in einem Raum geregelt. Eine Untersuchung am Fraunhofer-Institut fuer Systemtechnik und Innovationsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass durch den Einsatz von intelligenten Gebaeude-Management-Systemen Energieeinsparungen bis zu 30 Prozent moeglich sind.

Zum anderen bringt die Steuerungsfaehigkeit einen Zugewinn an Komfort und Sicherheit im Wohnbereich mit sich. Neben der gesteigerten Wohnqualitaet durch automatische Licht- und Temperaturregelung lassen sich in vernetzten Gebaeuden komplexe Alarm- und Ueberwachungssysteme realisieren. Meldet etwa der Bewegungssensor bei Ihrer Abwesenheit einen Besucher vor dem Haus, kann das System mit Musik, TV und Beleuchtung Ihre Anwesenheit simulieren.

Gebaeude werden "intelligent", wenn die verschiedenen Geraete und Komponenten untereinander Informationen austauschen und damit aufeinander reagieren koennen. Voraussetzung dafuer sind eine einheitliche Kommunikationsebene und ein Steuerungssystem.

Mit dem Einzug der Computer in die Privathaushalte steht ein solches System zur Verfuegung. Fuer die Datenuebertragung laesst sich - mit Einschraenkungen - das Stromnetz nutzen. Lediglich an der Kommunikationsfaehigkeit der Elektrogeraete mangelte es bislang.

Doch die Elektrogeraetehersteller sehen bereits die Absatzmoeglichkeiten, die sich ihnen durch kommunikationsfaehige Produkte eroeffnen und arbeiten an der entsprechenden Umsetzung. Andererseits besteht die Moeglichkeit, die Kommunikationsfaehigkeit und die lokale "Intelligenz" einfach zwischen Netzdose und Endgeraete zu packen.

Diesen Weg geht IBM und bringt als erster Hersteller ein Home- Automation-System fuer den Privatkunden auf den deutschen Markt. Arigo ist ein verteiltes, mit lokaler "Intelligenz" ausgestattetes Kontroll- und Steuerungssystem, das mit Sensor-, Aktor- und Kontrollelementen sowie der Software ausgestattet ist. Die einzelnen Stationen bestehen aus Steckdosen, die zwischen die Netzdose und das Endgeraet gesteckt werden. Die Kommunikation der Stationen findet ueber das Stromnetz (die Powerline) statt.

Arigo basiert auf dem Lonworks-Konzept des amerikanischen Unternehmens Echelon, einem als LON (Local Operating Network) bezeichneten Netzwerk. An das modular aufgebaute System lassen sich im Endausbau mehr als 32 000 Stationen innerhalb einer Netzwerkdomaene verwalten. Die Programmierung der Funktionen des Netzwerks erfolgt ueber den PC. Dieser ist via Einsteckkarte und Netzadapter an das Stromnetz angeschlossen. Die Software laeuft unter den Betriebssystemen OS/2 und Windows. Die Regeln fuer die Stationen legt der Anwender auf einer grafischen Oberflaeche fest, wobei ein "Wenn-Bereich" die Bedingungen fuer die Schalter und Sensoren definiert und im "Dann-Bereich" die entsprechenden Aktionen festgelegt werden.

Nach der Programmierung, die auch von Laien durchzufuehren ist, wird der PC nicht mehr benoetigt und kann ausgeschaltet werden. Zur Grundausstattung des Systems gehoert ein Modul mit Schalter sowie eine Station mit integrierter Echtzeituhr und Helligkeitssensor. Das Startset ist seit einigen Monaten fuer rund 1300 Mark erhaeltlich.

In einer Ausbaustufe sind Stationen mit Bewegungsmelder, Sensoren fuer Temperatur, Luftdruck und Feuchtigkeit, Stationen fuer den Einbau in Deckenlampen und ein Telefonmodem fuer den externen Zugriff vorgesehen.

Einen grundsaetzlich anderen Weg beschreitet Siemens. Hier setzt man nicht auf das amerikanische LON-Konzept, sondern auf den European Installation Bus, kurz EIB oder auch Instabus genannt. Hier ist die Kommunikation bislang lediglich ueber Twisted Pair moeglich, weshalb sich das System nur in Neubauten mit einer entsprechenden Elektroinstallation einsetzen laesst. Dementsprechend wendet sich die EIB Association nicht an Privatkunden, sondern vorwiegend an Handwerker und Installateure. In rund zwanzig EIB- Schulungsstaetten in Deutschland werden Elektrofachleute mit den Vorzuegen des Bussystems vertraut gemacht. Diese beraten anschliessend die Bauherren und sollen dafuer sorgen, dass sich der Benutzer nicht mit dem professionell installierten System herumschlagen muss und nur dessen Vorzuege geniessen kann.

Das HES-System (Home Electronic System) der Bosch Siemens Hausgeraete GmbH (BSHG) basiert auf dem EIB. Im Mittelpunkt steht ein multimediafaehiger PC mit der entsprechenden Kontrollsoftware, die jedoch ueber einen Touchscreen-Monitor gesteuert werden soll. "Wir halten die Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit fuer ein entscheidendes Kriterium, um einen relevanten Markt ansprechen zu koennen", erlaeutert das Konzept Bernhard Kuhlin, Vertriebs- und Marketingleiter bei der Bosch Siemens Home Systems GmbH in Muenchen. Insbesondere fuer alte und behinderte Menschen muesse das System problemlos bedienbar sein. Bei der Praesentation vor einem Jahr sei man auf eine "ueberwaeltigende Resonanz gestossen", so Kuhlin, weshalb man im Spaetsommer dieses Jahres ein erstes Produkt auf den Markt bringen werde.

Die Kommunikation ueber das Stromnetz ist fuer Kuhlin derzeit noch der falsche Weg. In puncto Sicherheit und Uebertragungssicherheit genuege die Powerline-Kommunikation noch nicht den Anforderungen des EIB. So sei beispielsweise nicht gewaehrleistet, dass die ueber das Stromnetz gesendeten Daten auch nur im Haus empfangen werden koennen. Ein Aspekt, den man bei IBM mit der Codierung der Befehle in den Griff zu bekommen glaubt.

Ein weiterer Grund, weshalb man bei BSHG das EIB-System favorisiere, ist die Herstellerunabhaengigkeit - derzeit unterstuetzen etwa 77 Hersteller mit ueber 3000 Applikationen diesen Standard. Nur ein offenes System koenne den unterschiedlichen Beduerfnissen der Anwender gerecht werden und einen Markt fuer Home- Automation-Systeme etablieren.

Gemeinsam ist beiden Konzepten, den PC im Zentrum der Steuerung und Bedienung einzusetzen. Obwohl hinsichtlich der Bedienung und Akzeptanz nicht alle Zielgruppen angesprochen werden koennen, bietet doch dessen Flexibilitaet weitreichende Ausbaumoeglichkeiten. So lassen sich etwa mit Mikrofon und Spracherkennungssoftware bereits heute - mit Einschraenkungen - PC-basierte Home-Automation- Systeme realisieren, die direkt auf Sprachbefehle reagieren.

Ludwig Brackmann, Geschaeftsfuehrer der Atticon Home Automation GmbH in Braunschweig, glaubt jedoch, dass die Nutzungsgewohnheiten dem PC als zentralem Element eines Haus-Management-Systems entgegenstehen. "Der PC wird nicht der Leitstand fuer Home- Automation-Systeme sein", so Brackmann. Die PC-basierten Systeme sind seiner Ansicht nach fuer den technischen Laien zu kompliziert.

Sein Unternehmen hat in Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig ein System entwickelt, bei dem der Fernseher im Zentrum der Steuerung steht. Ueber eine GUI-Oberflaeche soll per Fernbedienung die Steuerung der Haushaltselektronik erfolgen. Grundlage des Systems ist ein grafikfaehiger Videotext-Chip. Als Medium fuer das Netzwerk fungiert entweder das Strom- oder das Antennenkabel.

Dieses Konzept basiert auf dem European Home System (EHS), einer Softwarespezifikation, die als Standard fuer die Gebaeudevernetzung etabliert werden soll. EHS deckt die Powerline, das Koaxialkabel und das verdrillte Adernpaar als Uebertragungsmedien ab. Bislang ist ein Markt fuer die private Home Automation in Deutschland noch nicht existent. Die Anwendungsmoeglichkeiten und der potentielle Nutzen fuer die Anwender (und die Umwelt) sind jedoch enorm. Immerhin hat bereits ein Hersteller den Schritt in diesen Markt gewagt. Bleibt zu hoffen, dass die konkurrierenden Standards und untereinander inkompatiblen Systeme den Anwendern den Spass an der Home Automation nicht verderben. Sonst koennte es sein, dass die Uneinigkeit der Hersteller einen Markt zerstoert, ehe er entstanden ist.

*Peter Wolf ist freier Fachjournalist in Muenchen.

Kurz & buendig

Der neueste Trend im Home-Computing ist der Einsatz des PCs als Steuerungssystem fuer die gesamte Hauselektronik. Mit der entsprechenden Software kann der Rechner Beleuchtung, Alarm- und Klimaanlagen, Heizung, Musikanlage, Fernseher und Videorekorder regeln. Die Moeglichkeiten, die sich fuer ein solches PC-basiertes Steuerungs- und Automatisierungssystem ergeben, sind faszinierend.

Intelligent Homes

Entwickelte sich der PC in den Achtzigern von der Rechenmaschine zum Schreibgeraet und in den Neunzigern vom Arbeitsgeraet zum Kommunikations- und Unterhaltungsmedium, so beginnt sich ein neues Einsatzgebiet fuer den privaten Computer abzuzeichnen: der PC als zentrales Steuerungsinstrument fuer die gesamte Haushaltselektronik. Unter dem Stichwort Home Automation werden Systeme entwickelt, die das Haus "intelligent" machen sollen.