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Multimedia-Nachwuchs: Nicht von gestern

01.07.1999
Wie lassen sich Studium und Beruf frühzeitig verbinden? Wie werden aus Hochschularbeiten Geschäftsideen? Beim bundesweiten Nachwuchswettbewerb Multimedia Transfer ’99 wurden neun vorbildliche Projekte ausgezeichnet. Zwei Beispiele.

von Helga Ballauf*

Zwei bis drei Fachzeitschriften hat der Arzt jede Woche in seiner Post. Erst stapelt er sie, schließlich landen sie beim Altpapier. Dabei wäre er beim Lesen auf eine neue Behandlungsmethode für seine MS-kranke Patientin gestoßen.

Eine Ausgangslage, die nicht nur Medizinern bekannt vorkommen dürfte: Wie gehe ich mit der Überfülle an verfügbaren Informationen um? Was ist für meine Arbeit wichtig? Wie lassen sich Zusammenhänge herstellen? Auf diese Fragen versucht Danijela Djokic mit einem grafischen Informations-Interface für den Arzt, genannt "Inform", eine digitale Antwort zu geben. Mit ihrer an der Fachhochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd eingereichten Diplomarbeit hat sie bei Multimedia Transfer ’99 den Sonderpreis MFG/Milia für die beste Nachwuchsarbeit aus Baden-Württemberg im Bereich "Arbeiten" gewonnen. "Der Benutzer erhält mit diesem Interface die benötigten Informationen vorsortiert und nach möglichen Prioritäten geordnet", erläutert die Studentin ihre Idee. "Der Benutzer kann sich einen Überblick verschaffen, bevor er tiefer einsteigt. Er weiß jederzeit, welche Informationen wann und aus welchem Bereich eingetroffen

sind, wie wichtig sie sind und ob es Verknüpfungen zu seinen eigenen Dateien gibt."

Konkret sieht ihr Modell so aus: Dentist Z. registriert sich per Computer bei der Fachdatenbank und legt fest, daß er nicht nur alles über Zähne, sondern auch über Schmerzforschung bekommen will. Wenn er nun auf seinem Bildschirm ein sieben mal sieben Schubladen großes Inforegal öffnet, findet er im Kasten links unten die für ihn wichtigsten Neuigkeiten. Bis zum Fach rechts oben nimmt die Bedeutung der vorsortierten News sukzessive ab. Natürlich kann er diese Ordnung verändern.

Alles zur Frontzahnlücke

Weitere Hilfen bieten Piktogramme und Farbkodierungen: Was ist brandaktuell, was hat er ungelesen gespeichert? Wenn er das Stichwort "Frontzahnlücke" öffnet, lassen sich die verfügbaren Texte, Bilder und Filme nach weiteren Schlüsselbegriffen gewichten. Er kann per E-Mail beim Zahntechnik-Entwickler Infos zu einem neuen Instrument anfordern oder dieses gleich bestellen. Wenn ein unerwartetes medizinisches Problem auftaucht, hilft die system-eigene Suchmaschine: Wo steckt beispielsweise eine Erläuterung über Ultraschallwellen?

Djokic ist keine Medizinspezialistin. Der Diplom-Designerin geht es bei "Inform" ums Prinzip: "Noch ist die Datenbank, die im Hintergrund des Interface steht, fiktiv. Aus einer Fülle von ständig eingehenden Informationen wählt sie aus und verschickt, was den Prioritäten des einzelnen Benutzers entspricht." Für die Diplomarbeit hat sie Blindtexte und -bilder aus medizinischer Fachliteratur kopiert. Jetzt geht es um die Umsetzung der Gestaltungsidee für dieses oder andere Berufsfelder.

Zusammen mit Martin Grothmaak und Jürgen Späth hat Djokic die Firma "projekttriangle" gegründet. Der erwähnte Preis wurde der Nachwuchs-Designerin auf der europäischen Multimedia-Messe MILIA ’99 im französischen Cannes überreicht. Es war das ideale Umfeld für die junge Firma, um erste Kontakte zu mehreren Unternehmen zu knüpfen, "die an der Oberfläche oder am Gesamtsystem von Inform interessiert sind", berichtet Djokic. (Weitere Infos unter www.projekttriangle.com)

Insgesamt wurden beim vierten bundesweiten Nachwuchswettbewerb Multimedia Transfer ’99 Preise im Wert von 70 000 Mark an neun Projekte verliehen. Das Spektrum der rund 200 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingereichten Programme umfaßte interaktive Lernsoftware ebenso wie MultimediaTools oder CD-ROMs aus diversen Anwendungsbereichen. Veranstalter ist die Akademische Software Kooperation ASK der Universität Karlsruhe in Kooperation mit dem Land Baden-Württemberg und rund 20 Unternehmen.

Erst probieren, dann bestellen

"Ready - steady - takeoff - into the new dimension". Wer diesen Schriftzug in Englisch und Deutsch auf der Homepage entziffern will, muß querlesen. Denn die Firma VRAP stellt sich und ihr Angebot auf einem orangefarbenen Band vor, das sich von rechts nach links über den Monitor ziehen läßt. "Virtual Reality Architecture + Production" bedeutet das Kürzel. Sobald man in dem Streifen die Bilder eines Wagens oder eines Schreibtisches anklickt, wird eine dreidimensionale Kostprobe des Geschäftskonzepts präsentiert.

"Gestern war Homepage, heute ist Web-Foyer" - so heißen die Produktpräsentationen im 3-D-Format, für die Daniel Böger einen der Existenzgründerpreise bei Multimedia Transfer ‘99 erhielt. Welche Computerbrücke paßt am besten zu meinem Schreibtisch? Wie soll die Ausleuchtung sein? Das kann der Möbelkunde virtuell ausprobieren, bevor er bestellt, ebenso wie der Besucher des "automobil-event-web-foyer" die optische Wirkung ausgewählter Spoiler oder Felgen testen kann.

Architekt Böger hat sich noch an der Technischen Hochschule Aachen mit einem Datenbank- und einem Software-Spezialisten zusammengetan. Seit diesem Jahr sind sie mit der Firma VRAP am Markt. "Wir brauchen jetzt Referenzprodukte, um zeigen zu können, welche knallharten Vorteile ein Kunde hat, der dreidimensional wirbt und anbietet," meint Börger. Gearbeitet wird vor allem mit der Technik VRML, das Ergebnis kann ein beliebiges digitales Medium sein - von der CD-ROM bis zum Kiosksystem. Was wäre nun der "knallharte Vorteil" beispielsweise eines Baustoffhändlers, der sich von VRAP betreuen läßt? "Sein Kunde, der Bauingenieur, muß keine dicken Handbücher mehr wälzen, wenn er einen bestimmten Dämmstoff sucht. Zudem fällt die Abstimmung mit dem Bauherrn leichter. Der kann sich am Monitor die Stelle in der Wand ansehen, die isoliert werden muß, kann sich Alternativen und den jeweiligen Preis präsentieren lassen," erläutert

Existenzgründer Böger seine prämierte Geschäftsidee. (Weitere Infos unter www.vrap.de)

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.