Keine Vorgangssteuerung ohne Ad-hoc-Abläufe

Münchner IT-Referat startet mit Workflow-Einführung

23.01.1997

Die Untersuchung marktbekannter Produkte gestaltete sich zu Beginn des Münchner Projekts im Jahr 1994 äußerst enttäuschend. Das städtische Amt für Informations- und Datenverarbeitung arbeitete seinerzeit mit der Vorabversion eines Pflichtenhefts, dessen Forderungen von keinem Anbieter zufriedenstellend erfüllt wurden, resümiert DV-Chef Wilhelm Hoegner. 1995 entschloß man sich dann zum Praxistest der DEC-Lösung "Linkworks" und des SNI-Produkts "Workparty" - später wurde noch "CSE/Workflow" hinzugenommen.

Die Installationen sollten sich auf einem Server mit mehreren vernetzten Arbeitsplätzen und einem Mustervorgang aus dem Baureferat bewähren. Doch die von den Herstellern ständig nachgeschobenen Updates ließen Hoegners Mitarbeiter in ihren Prüfverfahren kaum nachkommen. Als einen gewissermaßen aus Verzweiflung gezogenen Schlußstrich beschreibt Abteilungs- und Projektleiter Hans-Volker Winkler den Abbruch der Tests Ende 1995 und die im Anschluß eingeleitete europaweite Ausschreibung.

Die technische Bewertung fiel zugunsten des CSE-Produkts aus, das sich laut Hoegner auch als das günstigste Angebot erwies. Da der in Salzburg ansässige Hersteller nicht selbst in Deutschland auftritt, kam die Offerte von der Debis Systemhaus GmbH, die das Workflow-Projekt der Stadt zunächst auf zwei Jahre befristet begleiten wird.

Neben der Erkenntnis, daß die Verwaltungsaufgaben der Stadt ein weitgehend dokumentenorientiertes Produkt erfordern - diesem Umstand hatten die untersuchten Konkurrenzprodukte nur unzureichend über Add-ons entsprochen -, entdeckten die zwei DV-Experten während der Systemtests noch ein weiteres, für die erfolgreiche Workflow-Einführung entscheidendes Kriterium: Von der anfänglichen Meinung, die elektronisch abgebildeten Vorgänge streng reglementieren zu können, mußten sich die Planer schnell verabschieden. Die Beteiligung verschiedener Dienststellen führte dazu, daß die Mitarbeiter außer durchgängig strukturierten Vorgängen auch Möglichkeiten für flexible Arbeitsschritte (Ad-hoc-Workflow) erwarteten. Wer den Weg zu individuellen Arbeitsabläufen versperrt, wird bei dem Wechsel auf eine elektronische Lösung Schiffbruch erleiden, beschreibt Winkler seine Erfahrung.

Dies gilt nicht für den Verwaltungsvollzug, dessen stark strukturierte Vorgänge durch Gesetze geregelt und über die konventionelle Mainframe- beziehungsweise Client-Server-DV ohnehin weitgehend automatisiert sind. Auch Dienststellen mit Massendaten wie das Einwohnermeldeamt werden weiterhin im alten System arbeiten. Die Workflow-Einführung betrifft in erster Linie interne Bereiche wie das Beschlußwesen, wo individuelle Entscheidungen auf Basis der Systemvorgaben gefordert werden. Potentielle Kandidaten für die ersten 350 Installationen sind deshalb das Bau- sowie Personal- und Organisationsreferat.

Das CSE-Produkt bietet laut Winkler für diese Organisationen eine ausgeprägte Flexibilität, um Benutzerrechte individuell einzuschränken. Zudem läßt sich die Lösung nach Meinung Hoegners ohne größere Probleme in das DV-Gesamtkonzept der Stadt einbinden: Um den BS2000-Host von Siemens mit der Datenbank Adabas C und der Entwicklungsumgebung Natural, beide von der Software AG, gruppieren sich zunehmend Client-Server-Installationen, die auf Unix und Oracle-Applikationen basieren und mit Windows-Front-ends arbeiten. Die Landeshauptstadt betreibe derzeit 11000 Büroarbeitsplätze, von denen theoretisch ein Großteil in die CSE-Vorgangssteuerung eingebunden werden kann. Dabei sei es erforderlich, daß sich die Server-Komponenten des Programms auf die verschiedenen Hauptabteilungsrechner verteilen und miteinander verbinden lassen. Das Server-Domain-Konzept der CSE-Lösung eigne sich hierfür, da es eine lose bis enge Kopplung der Teil-Server erlaube. Außerdem könne beim Ausfall einer Domäne in den übrigen weitergearbeitet werden.

In der Programmanbindung an den Großrechner sehen Hoegner und seine Truppe einen besonderen Reiz. Statt Sonderlösungen sind hier Standardverfahren wie Dynamic Data Exchange (DDE), Object Linking and Embedding (OLE) und Open Database Connectivity (ODBC) erwünscht. Dabei kommt der städtischen IT entgegen, daß die ansonsten proprietären Natural-Tools über einen Windows-Client verfügen, über den man auf BS2000 zugreifen kann, ohne sich um die Transaktionssicherheit kümmern zu müssen.

Die CSE-Einführung startet unter Leitung eines Teams, das sich aus zwei Debis-Beratern und mindestens einem Mitarbeiter jeweils aus der Winkler-Abteilung und dem betroffenen Referat zusammensetzt. Von Vorteil ist, daß die Workflow-Lösung gemischte Arbeitsweisen unterstützt, so daß elektronische und Papierdokumente parallel verwendet werden können. Letzteres erfordert eine Art digitale Karteikarte, in der schriftlich eingereichte Anträge mit einer Referenznummer und einem Leitweg versehen werden. So läßt sich beispielsweise der Umweg über die Registratur einsparen, den die Dokumente bislang nach jedem einzelnen Vorgang durchlaufen müssen, um den aktuellen Verbleib der Papiere zu erfassen.

Dabei handelt es sich nur um ein Beispiel für Arbeitsvereinfachung und effizientere Abläufe, die sich die Stadt von der Workflow-Einführung verspricht. Allein die für die Implementierung notwendige Vorabanalyse einzelner Vorgänge wird dazu beitragen, einige Schwachstellen in der Organisation auszuräumen.

Verdacht der Kontrolle möglichst früh ausräumen

Um hier auf keinen Widerstand zu stoßen, empfehlen Hoegner und Winkler, die Personalvertretung schon zu Beginn der Testphase in das Projekt einzubeziehen. Es müsse deutlich gemacht werden, daß mit den Mitteln des Systems keine Leistungs- beziehungsweise Verhaltensprofile einzelner Mitarbeiter erstellt würden. In München habe die Personalvertretung beispielsweise ein "Privatisieren" der Dokumente gefordert. Gemeint ist damit, daß ein Sachbearbeiter die Einsicht in ein Dokument, das gerade bearbeitet wird, sperren kann - laut Winkler ein Alleinstellungsmerkmal des CSE-Produkts unter den getesteten Systemen.

Abgerundet wird die Münchner Workflow-Einführung von einer Entwicklungskooperation, die das IT-Referat Ende vergangenen Jahres direkt mit CSE vereinbart hat. Geplant ist das Add-on eines Aktenzeichengenerators mit Syntaxprüfung sowie eine weitere Modularisierung des Vollprodukts. Mit Hilfe der Modulbauweise will man den Weg zu einer bedarfsorientierten, sanften Migration ebnen. Diese könnte beispielsweise mit einem Dokumenten-Management beginnen, später mit Funktionen für den Ad-hoc-Workflow angereichert und dann zu einem dedizierten Workflow-Arbeitsplatz ausgebaut werden.