Hintergründe der ersten Fusion am Neuen Markt

MSH-Coup: Ein Schnäppchen für die Systematics AG?

02.06.2000
MÜNCHEN - Die Umwandlung des früheren IBM-kompatiblen Hardwareproduzenten Memorex Telex zum Systemintegrator MSH International Service AG war mühsam. Doch spätestens nach dem Börsengang im vergangenen September standen alle Zeichen auf Expansion - Akquisitionen inklusive. Seit kurzem aber ticken die Uhren in Frankfurt anders. MSH schlüpfte überraschend beim Hamburger E-Business-Integrator Systematics unter. Es war der erste Merger zweier am Neuen Markt gelisteter Unternehmen.Von Beate Kneuse*

Mitte vergangenen Jahres war MSH-Vorstandschef Klaus Hofmann noch in Aufbruchstimmung. Die Zeiten der Negativschlagzeilen um den lange kränkelnden IBM-kompatiblen Hardwarebauer Memorex schienen überstanden, die Wandlung zum Systemintegrator gelungen. Schon im Geschäftsjahr 1998/99 hatten die Frankfurter mehr als 30 Prozent des Umsatzes mit Desktop-Services, Projekt-Management und Wartung erzielt. Und mit dem Vertrieb von IBM-Rechnern aller Größenordnungen samt Speicherkomponenten sowie den Client-Server-Lösungen von Compaq sah Hofmann sein Unternehmen als Full-Service-Company gut positioniert. Der Gang an den Neuen Mark war ebenfalls in Sichtweise und wurde - wenn auch etwas später als geplant - Anfang September 1999 gemeistert. Danach standen alle Zeichen auf Expansion, die der MSH-Chef nicht zuletzt über Firmenzukäufe bewerkstelligen wollte.

Im November vergangenen Jahres schlugen die Frankfurter tatsächlich zu und holten den Sulzbacher Systemintegrator STS an Bord. Das auf System-Management rund um die Suite "CA-Unicenter TNG" sowie Basisberatung im R/3-Umfeld spezialisierte Unternehmen brachte 150 Millionen Mark Umsatz und 250 Mitarbeiter in die MSH-Holding ein. Die Eingliederung gestaltete sich indes schwierig. In den vier Monaten unter dem Dach des neuen Eigentümers produzierte STS einem Bericht des "Handelsblatts" zufolge 2,5 Millionen Mark Verlust - wohl auch deshalb, weil das STS-Management anscheinend das Weite gesucht hatte, kaum dass das Geld bei den Besitzern angekommen war.

Trotzdem strotzte Hofmann noch Ende April vor Optimismus, was die Zukunft seines Unternehmens anbelangte. STS sei reorganisiert worden, was auch einen Personalabbau von 125 Beschäftigten beinhaltete, und werde im laufenden Jahr einen positiven Ergebnisbeitrag von 1,2 Millionen Mark leisten, erklärte er in der Wirtschaftspresse. Man werde zwar bei künftigen Akquisitionen künftig etwas vorsichtiger zu Werke gehen, sich im laufenden Jahr aber mindestens noch mit einem Unternehmen verstärken, um die Position als Value Added Reseller und Systemintegrator weiter zu festigen. Die Kriegskasse sei gut gefüllt - rund 100 Millionen Mark Cash stünden für Akquisitionen zur Verfügung.

Auch die angegebenen Zahlen für das am 31. März 2000 beendete Geschäftsjahr ließen nicht vermuten, dass Hofmann längst mit dem Verkauf seines Unternehmens befasst war. So verzeichnete MSH nach eigenen Angaben einen Umsatzanstieg um 22,5 Prozent auf 724 (Vorjahr: 591,5) Millionen Mark, der operative Gewinn vor Zinsen und Steuern belief sich auf 35,4 Millionen Mark, was gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 38,3 Prozent bedeutete.

Mitte Mai begab sich MSH dann völlig überraschend unter die Fittiche der Hamburger Systematics AG. Die Norddeutschen waren selbst erst Ende September vergangenen Jahres an den Neuen Markt gegangen.

Mit im Geschäftsjahr 2000 erzielten 566 Millionen Mark ist Systematics umsatzmäßig eigentlich eine leichtere Gewichtsklasse als MSH. Nach Auskunft von Reinhard Clemens, seit 1. April 2000 im Systematics-Vorstand für den Vertrieb zuständig, verliefen die Verhandlungen unproblematisch. Von MSH-Hauptaktionär Schroder Ventures, immerhin mit knapp 72 Prozent beteiligt, sei das Zeichen gekommen, "sich aus dem Investment bei MSH lösen zu wollen". Die Systematics-Lenker, auf der Suche nach einem bezahlbaren Übernahmekandidaten mit einem lohnenden Serviceportfolio und internationaler Präsenz, überprüften die Frankfurter und kamen zu dem Schluss, das MSH eine Übernahme wert sei. Hofmann, selbst mit acht Prozent an MSH beteiligt, stimmte zu.

Die Beweggründe für Hofmanns Sinneswandel - denn ohne sein Plazet hätte Schroder aufgrund der Verträge mit dem MSH-Chef nicht verkaufen können - bleiben im Dunkeln, zumal sich Hofmann öffentlich nicht äußern wollte. So lässt sich nur auf Branchengerüchte zurückgreifen. Gemunkelt wird, dass das Minus von STS im MSH-Ergebnis tiefe Löcher hinterlassen hat. Vermutlich deshalb hielten sich die Frankfurter in puncto Bilanz-Nettogewinn hartnäckig bedeckt. In den folgenden Quartalsberichten hätte man aber Farbe bekennen müssen. Zudem macht die Runde, dass Hofmann zuletzt viele Mitarbeiter weggelaufen sind.

Nicht auszuschließen ist auch, dass angesichts dieser Negativeinflüsse der MSH-Chef nach strapaziösen Jahren des Umbaus schlichtweg keine Lust mehr auf weitere Kraftakte hatte. Hofmann war im Oktober 1997 maßgeblich am Management-Buyout der MSH-Vorgängergesellschaft Memorex Telex beteiligt gewesen und hatte nachfolgend als treibende Kraft für die Umwandlung des Hardwareherstellers hin zum Value Added Reseller und IT-Servicespezialisten gesorgt. Im Rahmen seiner neuen Position im Vorstand von Systematics dürfte er künftig einen überschaubareren Wirkungskreis haben - wenn er überhaupt an Bord bleibt.

Für die Systematics AG sind solche Gedankenspiele unerheblich. Mit einem Umsatzpotenzial von nunmehr 740 Millionen Euro (umgerechnet etwa 1,4 Milliarden Mark), 2700 E-Business- und IT-Professionals, 38 Standorten in Deutschland sowie der internationalen Präsenz in Schweden, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien und den USA machten die Hamburger nach eigenem Bekunden einen großen Schritt hin zu ihrem Ziel, zu einem der führenden E-Business-Integratoren und IT-Solution-Provider in Europa zu werden. Dass man mit dieser Performance zu den wenigen (soliden) Schwergewichten am Neuen Markt zählt, versteht sich von selbst.

Dass der Zukauf von MSH für die Hanseaten lohnenswert war, unterstrich auch die Marktforschungsgesellschaft Meta Group in einer Kurzanalyse der Fusion. Die von MSH entwickelte "i-Supply"-Plattform, eine Handels- und Integrations-Lösung für Internet-basierte Einkaufs- und Verkaufsprozesse, passe gut zu der E-Business-Strategie von Systematics, heißt es dort. Darüber hinaus, so Meta Group-Consultant Markus Huber, erwerben die Hamburger "einen gut positionierten Dienstleister im IT-Servicemarkt mit einer breiten Flächendeckung in Deutschland und einem festen Kundenstamm". Auch die MSH-Tochtergesellschaften in England, Frankreich, Spanien und den Niederlanden bedeuten einen Zugewinn, da diese Länder von Systematics bislang schlecht abgedeckt gewesen sind, so Huber.

Durch den MSH-Deal habe man nun "genügend Schwungmasse für den nächsten geplanten Schritt - nämlich eine größere Akquisition im Ausland", bestätigt auch Systematics-Vorstand Clemens. Wie die Integration im Einzelnen vonstatten gehen wird, wenn alle börsenrechtlichen Klippen umschifft sind, und welche Konsequenzen sich daraus für die MSH-Mitarbeiter ergeben, wollte er allerdings noch nicht verraten. Man habe "einen detaillierten Plan ausgearbeitet" und sei "gut vorbereitet". In Sachen Mitarbeiter habe man allerdings weniger Probleme mit einer eventuellen Freistellung von Beschäftigten als vielmehr damit, sie zu halten. "Seit der Deal publik ist, sind die Headhunter dabei, die MSH-Leute abzuwerben", konstatiert Clemens.

Weitere Zukäufe sollen demnächst folgenUnabhängig davon dürfte die MSH-Übernahme nur der Beginn einer größeren Einkaufstour sein. Die Hanseaten wollen zum einen im weiten Feld der IT-Consultants wildern. Darüber hinaus liebäugelt Systematics mit der Übernahme eines E-Media-Spezialisten in der einschlägigen Agentur- und Dienstleisterszene. "Wir sind heute in der Lage, eine relativ geschlossene E-Service-Kette anzubieten", konstatiert Clemens. "Was uns fehlt, ist der gesamte Kreativanteil." Ernsthafte Verhandlungen laufen bereits. Clemens geht davon aus, dass sein Unternehmen schon innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate hier "sauber vertreten ist".

Die Gefahr, sich mit der Vielzahl von Zukäufen zu verzetteln, sieht er nicht. Natürlich müsse die MSH-Eingliederung erst abgeschlossen sein, bevor man die Expansion weiter vorantreibe. Dass seine Company selbst Opfer einer Übernahme werden könnte, glaubt er auch nicht. Seine Strategie: "Wichtig ist zum einen eine breite Streuung der Aktien. Ein Hauptinvestor wie bei MSH mit einem Anteil von 40, 50 oder mehr Prozent ist gefährlich. Zum anderen gilt es, durch einen hohen Börsenkurs zu erreichen, damit man für einen Aufkäufer zu teuer ist." Das eine Kriterium ist erfüllt. Der Freefloat beträgt bei Systematics derzeit 42,8 Prozent, der größte Investor hält 19 Prozent. In Sachen Börsenkurs aber müssen die Hanseaten noch zulegen. Die Übernahme von MSH ließ den Kurs von Systematics erst einmal weiter fallen. "Das liegt wohl daran, weil MSH noch immer den Ruf des Boxenschiebers hat", mutmaßt Clemens. "Aber unsere nächsten Schritte werden den Kurs in den nächsten zwei, drei Monaten in die Höhe treiben."

* Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.

Deals am Neuen MarktKeine leichte AngelegenheitFast wäre Systematics mit dem MSH-Coup nur als Zweiter in die Geschichte des Neuen Marktes eingegangen. Ende April hatten die ebenfalls am Frankfurter Hightech-Handelssegment notierten Teleplan und D. Logistics ihre Zusammenschlusspläne bekannt gegeben, diese aber Anfang Mai wieder zurückgenommen. Begründung: Die Synergieeffekte hätten nicht den Erwartungen entsprochen. Dahinter steckt mutmaßlich aber mehr - vor allem die Tatsache, dass die Aktionäre nicht mitgespielt haben. Generell ist es nicht einfach, einen Merger oder eine Übernahme durchzuziehen, wenn beide Unternehmen am Neuen Markt gelistet sind, denn man kann einen Wert nicht ohne weiteres streichen. "Normalerweise reicht der Erwerb von 75 Prozent der Anteile aus, um ein Unternehmen zu delisten. Dazu muss dieses aber drei Jahre in der aktuellen Form bestanden haben", erklärt Systematics-Vorstand Reinhard Clemens. Da dies bei den Unternehmen am Neuen Markt meist nicht gegeben ist, sind mindestens 90 Prozent der Anteile zu erwerben. Systematics angelte sich im ersten Schritt rund 80 Prozent und wird den Kleinaktionären ein Tauschangebot im Verhältnis eins zu 2,5 auf den Tisch legen. Treten nicht noch Störmanöver seitens der Kleinaktionäre auf, dürfte die Übernahme in gut zwei Monaten rechtskräftig sein.

Abb: Anleger gleichgültig: Auch mit der Ankündigung der MSH-Marktübernahme konnte die Systematics-Aktie der Marktschwäche nicht trotzen. Quelle: Consors