Microsoft EXPLAINED zur digitalen Transformation

MS-Chefin Bendiek: Digitalisierung muss Top-Thema werden

30.03.2017
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Big Data, Künstliche Intelligenz (AI), Predictive Maintenance - alle diese Technologien sind mit der digitalen Transformation verbunden. Und diese stand im Mittelpunkt der Microsoft EXPLAINED in Berlin.
Auf der Digitalkonferenz EXPLAINED diskutierten Vordenker und Wissenschaftler über die Herausforderungen der Digitalisierung.
Auf der Digitalkonferenz EXPLAINED diskutierten Vordenker und Wissenschaftler über die Herausforderungen der Digitalisierung.
Foto: agsandrew - shutterstock.com

Bereits zum dritten Mal hatte Microsoft nach Berlin zur EXPLAINED eingeladen. Auf der Digitalkonferenz sollen internationale Vordenker und Wissenschaftler dem Publikum die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung näherbringen. Und in Sachen Digitalisierung hapert es in Deutschland durchaus noch, so dass ein "Digitales Wirtschaftswunder" auf sich warten lässt. So kritisierte Microsoft-Deutschland-Chefin Sabine Bendiek denn auch die verhaltene Investitionsfreudigkeit in Sachen Digitalisierung in Deutschland. Geht es nach Bendiek, müsste die Digitalisierung zu einem der Top-Themen im Wahlkampf werden.

In Deutschland fehlt die Innovationsfreudigkeit

So bemängelt Bendiek, dass Deutschland etwa im Network-Readiness-Index lediglich auf Platz 15 stehe. Ebenso falle Deutschland im internationalen Vergleich bei wichtigen Faktoren wie Innovationsfreudigkeit oder neue Business-Modelle stark ab. "Wir sollten neue Technologien nicht weiter unterschätzen und verteufeln", appellierte die Managerin. Des Weiteren warnte Bendiek davor, sich von der Zahl der IoT/Industrie-4.0-Projekte in Deutschland täuschen zu lassen. So hätten zwar laut KfW vier von fünf KMU in den vergangenen drei Jahren Digitalisierungsprojekte umgesetzt - doch beinahe die Hälfte habe dafür weniger als 10.000 Euro ausgegeben. Und dies, obwohl die Unternehmen durchaus vom Nutzen digitaler Technologien überzeugt waren. "Wir müssen endlich den Fuß von der Bremse nehmen und auch jenseits von Leuchtturm-Projekten flächendeckend in die Zukunft investieren" fordert Bendiek weiter.

Eher sieht sie dagegen die Bereitschaft bei Großunternehmen, in entsprechende Digitalisierungsprojekte zu investieren, wie etwa beim Flugzeugturbinenbauer Rolls Royce. Gemeinsam mit Microsoft hat das Unternehmen eine Predictive-Maintenance-Lösung entwickelt, mit der mittlerweile weltweit 13.000 Düsentriebwerke überwacht werden. Nach Angaben der beiden Unternehmen spart durch die moderne Wartung jede Fluggesellschaft im Schnitt 200 Millionen Dollar pro Jahr.

Industrie 4.0 in der Praxis auf der HMI

Microsoft-Deutschland-Chefin Bendiek kritisiert die verhaltene Investitionsfreudigkeit in Sachen Digitalisierung.
Microsoft-Deutschland-Chefin Bendiek kritisiert die verhaltene Investitionsfreudigkeit in Sachen Digitalisierung.
Foto: Hill

Ein Erklärungsversuch der Deutschland-Chefin für die Zurückhaltung des Mittelstands lautet, "viele Unternehmen wissen nicht, welche Services sie anbieten müssen, damit der Kunde bereit ist dafür Geld zu zahlen." Ein Thema, das Bendiek auf der Hannover Messe Industrie (HMI) adressieren will. Gemeinsam mit Anwendern wie der Maschinenfabrik Rheinhausen, Strabag, Thyssen Krupp etc. will Microsoft dort zeigen, was in Sachen Digitalisierung heute bereits möglich ist. Dazu hat der Konzern seine Standfläche auf der HMI auf das 1,5fache vergrößert. "Auf der HMI treffen wir die Kunden, die wir in dieser Form nicht mehr auf der CeBIT fanden", begründet Bendiek das Engagement des Konzerns.

Insgesamt so glaubt Bendiek, wird die digitale Transformation in den folgenden vor allem die physische, biologische und digitale Welt verändern - im physischen Umfeld etwa durch selbstfahrende Autos, Roboter, 3D Drucker sowie neue Werkstoffe. Im Bio-Bereich sieht die Managerin Veränderungen in der Genom-Diagnostik, Behandlung sowie Gestaltung. Und in der digitalen Welt stehen Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, Blockchain, und disruptive Geschäftsmodelle auf der Agenda. Für die digitale Transformation sorgen dabei Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz, Predictive Maintenance.

Eines zog sich - egal ob Big Data oder KI - wie ein seidener Faden durch die Konferenz: Die Politik ist gefordert, die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zu definieren - und zwar schnell. "Wir haben keine fünf Jahre mehr Zeit", so das Credo in vielen Gesprächsrunden. Einige Diskutanten gaben der Politik lediglich ein Zeitfenster von zwei bis drei Jahren, wenn sie bei der digitalen Transformation nicht zum großen Bremser werden wolle. Eine entsprechende Geschwindigkeit vorausgesetzt, ist auch die Bereitschaft vorhanden, handwerkliche Schwächen wie jetzt etwa beim GDPR zu akzeptieren. Bei der EU-Datenschutz-Grundverordnung vermissen viele konkrete Aussagen zu Big Data und sehen hier Bedarf für eine Nachbesserung.

Erwartungen an die Politik

Die digitale Transformation wird laut Bendiek physische, biologische und digitale Welt verändern.
Die digitale Transformation wird laut Bendiek physische, biologische und digitale Welt verändern.
Foto: Hill

Auffallend in Gesprächen mit den Teilnehmern war, dass der Politik in Sachen Digitalisierung durchaus gute Noten gegeben wurden. So befasse sich die Politik ernsthaft und sachlich mit den Problemen und stelle die richtigen Fragen. Angekreidet wird ihr allerdings, dass sie nicht den Mut aufbringt, die längst überfällige gesellschaftliche Diskussion rund um die Digitalisierung anzustoßen. Etliche vermuten, dass die Politiker Angst haben, im Superwahljahr 2017 ein solch komplexes Thema öffentlich zu diskutieren.

Eine Diskussion, die in den Augen etlicher Teilnehmer aber längst überfällig ist. Was ist wichtiger, der persönlich Datenschutz, oder die Chance, Krankheiten schneller zu heilen, weil IT-Systeme mit Millionen von Daten individueller Krankheitsbilder gefüttert werden und diese in kürzester Zeit vergleichen und auswerten, lautet denn eine der Fragen in Richtung Politik. Oder wie sieht es mit dem Cloud Service Vitabook aus, der eine digitale Patientenakte in der Cloud anlegt? Ist das ein Verstoß gegen den Datenschutz oder medizinisch gewollter Fortschritt? Fragen, denen man sich auch im politischen Berlin bewusst ist. So diskutiert man hinter den Kulissen, wie zu hören war, neue Ansätze des Datenschutzes und der Datenverarbeitung. Ein Ansatz ist, zwischen anonymisierter und pseudonymer Datenverarbeitung zu unterscheiden und so der unterschiedlichen Interessenslagen gerecht zu werden.

AI demokratisieren

Diskussionsbedarf herrscht auch rund um das Thema Künstliche Intelligenz und etliche Teilnehmer forderten gar eine Demokratisierung der AI. Ein Demokratisierung, bei der es nicht nur um die günstige Verfügbarkeit von AI für Unternehmen jeder Größe geht, sondern auch um die Aufklärung von Bürgern und Entscheidern, um überhaupt mitdiskutieren zu können. Sebastian Stiller, Mathematiker und Professor an der TU Braunschweig, appellierte an die Anwesenden, sich ein Grundwissen in Sachen Algorithmen anzueignen, denn "im AI-Zeitalter sind Algorithmen das neue Zentrum der Macht".

AI - the winner takes it all

Gleichzeitig entzaubert Fabian Westerheide, CEO bei Ansgard und AI Venture Capitalist, das Thema AI etwas, "denn KI-Systeme sind Fachidioten, denen das Transferwissen des Menschen fehlt. Aber auf ihrem spezialisierten Gebiet ist die AI schneller als der Mensch." Und für Westerheide gibt es im Geschäft mit der AI noch eine Besonderheit: "Im Rennen um Marktanteile gibt es bei der KI keine zweiten und dritten Plätze, sondern der Gewinner bekommt alles." Und da sieht es für Deutschland im internationalen Vergleich nicht gut aus, Westerheide ordnet die Bundesrepublik auf Platz vier oder fünf ein.

Vor diesem Hintergrund malt Westerheide für Europa ein düsteres Bild, wenn die EU nicht bald kräftig in die AI-Forschung und Entwicklung investiert: "Sonst haben die Europäer nur noch die Wahl, ob sie in einer US-amerikanisch oder chinesisch bestimmten digitalen Welt leben wollen." Denn diese beiden Länder würden in Zukunft das Gros der KI-Systeme trainieren, "und die Systeme orientieren sich an den Eigenschaften ihrer Trainer." Auch dies ist eine der Zukunftsperspektiven der digitalen Welt: AI-Maschinen werden aufgrund ihrer Komplexität (neuronale Netze auf Chipebene) nicht mehr programmiert, sondern trainiert.